Schnee, Schnee, bitte Schnee!

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Wenn der Wettergott ein Einsehen mit den Kurden im Nordirak hat, dann schickt er einen strengen Winter. Der kühlt die Heißsporne und friert den Konflikt ein - zum Nutzen aller.

Noch mehr als in den Wintersportgemeinden wird derzeit im Nord irak um einen schnellen Wintereinbruch mit sehr viel Schnee gebetet. Und noch mehr als den Liftbetreibern in den Alpen sei den Kurden an der irakisch-türkischen Grenze das weiße Gold in rauen Mengen gegönnt - denn hier lässt der Schnee nur die Herzen der Wintersportler höher schlagen und die Kassa klingeln; den kurdischen Ortschaften Barch, Sinad, Dihone, Qesrok, Tacha Schtat oder der Stadt Zakho sichert der Schnee aber den Frieden.

Nicht ganz: Die türkische Armee wird ihre Luftangriffe gegen die PKK-Rebellen in dieser Gegend fortsetzen - schlimm genug! Doch viel schlimmer wäre es, würden die 100.000 an der Grenze stationierten türkischen Soldaten in den Nordirak einmarschieren. Das mag, wenn schon nicht die Vernunft der türkischen Politiker und Militärs, so doch ein Wintereinbruch, der das Überqueren der Gebirgspässe unmöglich macht, verhindern.

Vernunft ist auch die falsche Kategorie, die man in dieser Frage von türkischer Seite erhoffen darf - derzeit nicht, so wie fast immer in all den Jahren seit dem PKK-Aufstand 1984 nicht. Das Thema Kurden wird in der Türkei nicht rational diskutiert: Das Kurdische rührt an der türkischen Identität, stellt diese in Frage, macht Angst - wie sehr, das lässt sich an dem Meer an roten Fahnen ablesen, in dem die Türkei dieser Tage versinkt, an den Racheschwüren, an den in Brand gesteckten kurdischen Geschäften, an den bis nach Deutschland und Österreich reichenden Konflikten zwischen türkischen und kurdischen Nationalisten. Doch vielleicht tue ich dem türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan Unrecht. Nach seinem Gespräch mit US-Präsident George W. Bush am Montag sagte er zu den versammelten Journalisten: "Ich werde Ihnen nicht alles erzählen, was besprochen wurde. Aber ich bin zufrieden." Vielleicht hat Erdogan der Presse ja verschwiegen, dass er mit Bush geredet hat, was Sache ist: Dass dem türkischen Premierminister seine Militärs im Genick sitzen; dass die natürlich ein großes Interesse daran haben, das Kurdenproblem allein als Sicherheits- und nicht als Wirtschafts-, Sozial-, Armuts- und Bildungsproblem zu definieren und dass die Generäle heiß sind, nachdem sie alle innenpolitischen Schlachten dieses Jahres verloren haben.

Und hoffentlich hat Bush sich bei Erdogan nach dem Verdacht erkundigt, ob türkisches Militär und PKK einander brauchen? Ob "ohne PKK viele Leute in der Türkei ihre Abende beim Kreuzworträtsel verbringen müssten" (© Süddeutsche Zeitung)? Vielleicht hat Bush auch zu Erdogan gesagt, dass es für ihn definitiv kein Zufall ist, dass die anti-kurdische Stimmung in der Türkei zum jetzigen Zeitpunkt so aufgeheizt wird, wo das Land Reformen und eine neue, zivile Verfassung diskutiert.

Vielleicht haben Bush und Erdogan so geredet, hoffentlich - das würde heißen, türkische und amerikanische Seite haben die eigentlichen Kriegstreiber erkannt, die auf eine Eskalation dieses Konflikts hinarbeiten und denen nichts lieber ist als ein großer Krieg gegen die PKK und ein Einmarsch im Nordirak. Das würde ebenfalls heißen, dass Bush und Erdogan jetzt auf Zeit spielen wollen, dass auch sie auf den Winter, auf den Schnee hoffen.

Der auch den kurdischen Politikern im Nordirak zupass käme. Die brauchen auch noch Zeit, um die PKK-Kämpfer in den Bergen von der Sinnlosigkeit ihres bewaffneten Kampfes zu überzeugen und davon, dass sie damit der kurdischen Sache nur viel schaden, niemals aber mehr nützen können. Im Gespräch mit der Furche hat ein hochrangiger kurdischer Politiker (siehe www.furche.at/Redaktionsblog) vor kurzem geklagt, die PKK-Kämpfer würden nicht auf ihn hören. Er sollte das Gespräch noch einmal suchen, ihnen diese Legende erzählen: Ein Kurde verliebte sich in die Tochter eines türkischen Gendarmen, aber der Vater verweigerte die Heirat. Da setzte der Kurde das Mädchen auf ein weißes Pferd und ritt über die Grenze nach Kurdistan, wo das Paar heute glücklich lebt. - Sowas setzt man doch nicht aufs Spiel! Das muss die PKK einsehen! Doch zum Erzählen dieser Geschichte braucht es Zeit - und diese Zeit bringt der Winter, der Schnee, bitte!

wolfgang.machreich@furche.at

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