Zündler im "Herd der Nation"

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Am 30. August übernimmt der neue türkische Armeechef sein Amt - trotz einiger innenpolitischer Niederlagen der Generäle kann er sich seiner Macht sicher sein. Und auch die Regierung kann aufatmen: Die Putsch-Offiziere sitzen im Gefängnis.

Wenn sie Kinder hätte, würde sie nicht wollen, dass diese Militärdienst leisten und gegen kurdische Rebellen kämpfen müssten, hat eine der beliebtesten Popsängerinnen am Bosporus unlängst in einer türkischen Fernsehshow gesagt. Jetzt steht Bülent Ersoy dafür vor Gericht. Ihr drohen zwei Jahre Haft. Der Staatsanwalt wirft Ersoy vor, die türkische Öffentlichkeit gegen den Militärdienst aufzubringen. Zur weiteren Begründung der Anklage zitiert er das türkische Sprichwort: "Jeder Türke ist ein geborener Soldat!"

Popstar Ersoy kann über diese "dumme Gleichsetzung" nur bitter lachen. Ilker Basbug hingegen, der neue türkische Armeechef, der Ende des Monats sein Amt antritt, bestätigt das martialische Sprichwort wie kein anderer: Basbug bedeutet auf Alttürkisch "Oberster Heerführer". Mit 65 wird der Militär seinem Nachnamen gerecht und als Armeechef zu einem der mächtigsten Männer der Türkei. Der bisherige Vize beerbt Yasar Büyükanit als Generalstabschef. Wie sein Vorgänger gilt Basbug als "Falke", der kompromisslos für die Verteidigung des laizistischen Erbes des Staatsgründers Kemal Atatürk eintritt. "Der Eiskrieger" lautet deshalb der Spitzname, den Basbug in der Armee genießt.

"Eiskrieger" gegen Erdogan

Basbug war es auch, der die latent frostige Stimmung zwischen Armee und Regierung auf einen ersten Tiefpunkt gebracht hatte: Vor zwei Jahren warnte er bei einer Rede in einer Istanbuler Militärakademie vor einer "reaktionären islamistischen Bedrohung". Jedem Zuhörer war klar, welche Politiker er damit meinte. Diese Rede bildete den Anfang des offenen Schlagabtauschs zwischen den Streitkräften und der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Mit einer Reihe von Erklärungen, die jeweils mitten in der Nacht auf der Internetseite des Generalstabs veröffentlicht wurden, machte die türkische Generalität daraufhin Stimmung gegen die Regierung.

Erdogan griff den Fehdehandschuh dieser "Mitternachtserklärungen" auf, setzte Neuwahlen an und letztlich seinen Kandidaten Abdullah Gül als türkischen Staatspräsidenten durch. Ein Spiel mit dem Feuer, denn seit 1960 haben die Generäle vier gewählte Regierungen aus dem Amt gedrängt. Die in die Enge getriebenen Militärs griffen aber nicht zu den Waffen, sondern in die Tasten und veröffentlichten im Internet erneut eine Erklärung, in der sie klarstellten, den Laizismus entschieden verteidigen und dies auch mit Taten unter Beweis stellen zu wollen. Diese Putschdrohung wird seither "Coup per Internet" genannt. Doch der Warnschuss ging nach hinten los: Erdogans Partei AKP fuhr einen fulminanten Sieg bei den Wahlen im Sommer letzten Jahres ein und Güls Ernennung zum Staatsoberhaupt konnten die Generäle nur verzögern, aber nicht verhindern.

Nicht zuletzt, weil sich die öffentliche Meinung in der Türkei zunehmend gegen die selbsternannten "Wächter des Laizismus" stellte: "Wer glaubt ihr eigentlich wer ihr seid?" fragte der Kolumnist Ali Bayramoglu stellvertretend für viele in einem Offenen Brief an die Militärs. Und in der regierungsnahen Zeitung Yeni Safak setzte er seinen publizistischen Angriff fort: Die Armee müsse endlich verstehen, dass sie sich aus der Politik herauszuhalten habe. Andere Medien schlossen sich dieser Kritik an, rügten vor allem, dass die Militärs ihrem eigenen Oberbefehlshaber den Respekt verweigern. Basbugs Vorgänger hatte Präsident Gül bei offiziellen Anlässen regelmäßig düpiert, seine Abneigung gegen das Staatsoberhaupt und vor allem seine kopftuchtragende Frau demonstrativ zur Schau gestellt.

Auch im Verbotsverfahren gegen die AKP vermutet man, dass die Armeeführung ihren Einfluss zum Nachteil der Erdogan-Partei geltend machte. Gerüchte schossen ins Kraut, nachdem regierungsnahen Medien Informationen über ein Treffen des zweiten Vorsitzenden des Verfassungsgerichts mit Basbug zugespielt bekommen hatten. Letztlich gingen Erdogan und Gül und ihre AKP aber auch in diesem Konflikt als Sieger und gestärkt hervor.

Heißt das im Umkehrschluss, der innenpolitische Einfluss der türkischen Generalität, bislang das absolute Machtzentrum am Bosporus, ist geschwächt? Oder zugespitzt formuliert: Brennt der Hut im "Herd der Nation"? Als solcher definiert sich das türkische Militär nämlich gerne, als "der eigentliche Staat", in dem sich alle sozialen und anderen Unterschiede im Feuer für den türkischen Nationalismus auflösen.

Heinz Kramer, Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, winkt ab; er sieht den innenpolitischen Einfluss der türkischen Generalskaste auch nach "den Kemalisten-Schlappen nicht wirklich geschwächt". Angefangen von Basbugs Karrieresprung sind alle vom Hohen Militärischen Rat vorgeschlagenen 40 Ernennungen und Beförderungen in der Armee ohne Einwände aus der Politik bestätigt worden. Kramer sieht darin einen ersten Beleg für seine These, dass (fast) alles beim Alten, also im Sinn der Generäle bleibt.

Parlament in Ankara kuscht

Weiters wird das türkische Militärbudget nach wie vor ausschließlich von der Armeeführung festgelegt und vom Parlament durchgewunken. Und das, obwohl die AKP fast die Zweidrittel-Mehrheit unter den Abgeordneten stellt. Für Kramer ein weiteres Indiz, dass man es tunlichst vermeidet, sich mit den Generälen anzulegen. Wo doch die Armee auch einen veritablen Wirtschaftskonzern ihr Eigen nennt.

Dass Premier Erdogan den Ausgleich mit General Basbug sucht, sieht Kramer durch ein Vieraugengespräch zwischen den beiden bestätigt, über das - entgegen allen Usancen - nichts in die Öffentlichkeit getragen wurde. Für eine Annäherung zwischen Politik und Militär scheint Basbugs Persönlichkeit bestens geeignet. Ihm wird ein besonneneres Wesen nachgesagt als seinem Vorgänger - und mehr diplomatisches Geschick: Nachdem das türkische Parlament den USA die Eröffnung einer zweiten Front im Irakkrieg verweigert hatte, wurde Basbug mit der heiklen Aufgabe betraut, den Kontakt mit den zutiefst enttäuschten Amerikanern aufrechtzuerhalten - mit Erfolg.

Und Basbug war 2004 neben seinem Vorgänger und seinem Vorvorgänger der Dritte im Bunde jener höchsten Militärs, die einen Putsch von Generälen aus der zweiten Reihe gegen die AKP-Regierung verhinderten. Die damaligen Möchtegernputschisten sitzen seit einigen Wochen im Gefängnis, gegen weitere Verschwörer wird wegen Mitgliedschaft im ultranationalistischen Geheimbund "Ergenekon" ermittelt.

Putschgelüste unerwünscht

Die Verhaftungen der Offiziere sind ein Tabubruch. Bislang bewahrte die Armee ihre Soldaten vor dem Zugriff der zivilen Justiz und nützte das Privileg der Militärgerichtsbarkeit. Dass es mit der Immunität der Militärs vorbei zu sein scheint, deutet Kramer als "Signal der Armeeführung, dass sie keine Putschgelüste in den eigenen Reihen duldet". Solange die Regierung bestimmte rote Linien nicht überschreite, brauche sie nicht um ihre Macht fürchten, glaubt Kramer und fasst die Situation in der Formel zusammen: "Das Risiko für einen Militärputsch ist außergewöhnlich gering - aber es ist größer als Null!"

Bedeutend mehr als nichts, sollte aber die Reaktion der EU auf das nach wie vor existierende türkische Machtgefälle zwischen Armee und Politik sein, fordert Kramer die "Beseitigung dieses demokratischen Defekts". Die türkische Bürgerrechtsgruppe "Junge Zivilisten" sieht das genauso - und mit viel Humor: Sie fordert von Staatspräsident Gül, die Kriegsakademie zu schließen und stattdessen eine Demokratie-Schule für Militärs zu gründen. Und wenn ein General sich weiterhin ohne Erlaubnis der Zivilisten öffentlich äußert, dann soll er zur Strafe 1000-mal den Satz schreiben müssen: "Ich bin ein Soldat, ich kenne meine Grenzen!"

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