Die türkische AKP - von der Glühbirne zur Sonne

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In der Türkei macht dieser Tage die Geschichte vom kleinen Sünder, der in die Hölle kommt, die Runde: Dieser sieht dort zwei Zellen voll mit verzweifelten Seelen; doch nur vor einer steht ein Wärter. Warum vor der anderen Zelle keine Wache stehe, fragt der Neuankömmling den Teufel. Der grinst und erklärt ihm, das sei nicht nötig. In der zweiten Höllenzelle sitzen nämlich die Türken drin - "und die ziehen sich immer wieder selbst gegenseitig runter!"

Es sind nicht nur die Anhänger der dieser Tage vom türkischen Verfassungsgericht mit einem Verbot bedrohten Regierungspartei AKP, die sich diese fatalistische Geschichte zuraunen und mit ihrem Staat und dessen Justiz hadern. "Der angebliche Kampf gegen den Islamismus ist nur ein Deckmantel, unter dem die alte Elite gegen die Demokratie vorgeht", sagt Murat Belge, ein Istanbuler Schriftsteller und Altlinker in der Süddeutschen Zeitung. Und Ergun Özbudun, Rechtsprofessor in Ankara sowie bekanntester Verfassungsrechtler des Landes, stimmt zu: "Der Scharia-Vorwurf gegen die AKP ist ein Unsinn. Bestimmte Kreise im Land wollen einfach nicht, dass Kurden oder gläubige Muslime an Freiheit und Macht gewinnen."

Die Kurden erwähnt Özbudun, weil diese bei den letzten Wahlen für zwei Parteien gestimmt haben: für die AKP und für die Kurdenpartei DTP, gegen die ebenfalls ein Verbotsverfahren läuft. Mit "bestimmten Kreisen", meint der Verfassungsrechtler, der sich einen "gestandenen Säkularen" nennt, die Kemalisten, die selbsternannten Erbwalter von Republiksgründer Kemal Atatürk.

Republiksadel wehrt sich

Dass es den Kemalisten tatsächlich um Atatürks Vermächtnis geht, ziehen die meisten Kommentatoren in und außerhalb der Türkei in Zweifel. Das Verbotsverfahren gegen die AKP sei vielmehr der auf die Spitze getriebene institutionalisierte Abwehreflex des alten Republiksadels, heißt es, der Befreiungsschlag des türkischen "Ancien régimes", das seinem schwindenden Einfluss im Staat nicht länger zusehen wollte.

Und dass es eine neue türkische Elite gibt, war nach dem triumphalen AKP-Wahlsieg mit 47 Prozent der Stimmen im letzten Jahr nicht mehr zu leugnen. Schon die Bestellung von AKP-Vize Abdullah Gül - trotz heftigsten Widerstands der Armeeführung - zum Staatspräsidenten ließ bei den Kemalisten alle Warnglocken läuten. Und sie reagierten wie immer. Ihre Strategie macht die Türkei zum "Weltrekordhalter im Parteien verbieten". Seit 1962 hat die Justiz nicht weniger als 24 Parteien verboten - die AKP könnte als Nr. 25 dazukommen.

"Parteien-Friedhof" nennen türkische Zeitungen deswegen die politische Landschaft in der Türkei. Ein Friedhof jedoch mit lauter Auferstehungen: So ist die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) aus der 1998 verbotenen islamistischen Wohlfahrtspartei (Refah) hervorgegangen. Und auch jetzt sollen die AKP-Verantwortlichen bereits eine Nachfolgepartei planen. Die leuchtende Glühbirne, das heutige AKP-Symbol, soll bei der Neugründung von einer strahlenden Sonne ersetzt werden. Vielleicht denkt die neue Partei aber auch an die Geschichte vom Sünder, der in die Hölle kommt. Dann wählt sie einen Höllenwächter als Symbol - damit sich die Türken nicht immer wieder selbst gegenseitig "runterziehen" müssen. WM

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