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Die Armee spielt Polizei

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Die linksextreme außerparlamentarische Opposition der Türkei scheint den Versuch wagen zu wollen, durch eine guerrillaähnliche Terroraktivität das von der Armeeführung noch einmal vor dem Zusammenbruch bewahrte und durch die Büdung eines „Kabinettes der Technokraten” unter dem parteilosen Rechtsprofessor Nihat Erim vorerst gefestigte traditionelle parlamentarisch-demokratische System des Landes zu verunsichern und dadurch eine revolutionäre Machtübernahme zu erzwingen. Obwohl es den Behörden gelang, sich noch vor dem Amtsantritt Ministerpräsident Erims des linksradikalen Studentenführers Deniz Gezmis und zweier weiterer steckbrieflich gesuchter Terroristen zu bemächtigen, macht deren Organisation, die Studentenbewegung „Dev Gene”, weiter von sich reden.

Die Sicherheitspolizei macht sie für den mißlungenen Anschlag auf die Privatwohnung des Generalleutnants Atif Ercikan verantwortlich, durch den erheblicher Sachschaden entstand. Ercikan ist Chef der Planungsabteilung im Generalstab und gilt als einer der Hauptverantwortlichen für die Entscheidung der Armeeführung, einer parlamentarischen Regierung der nationalen Konzentration eine einjährige Chance zur Lösung der dringendsten innenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Türkei zu geben.

Die Linksextremisten wollen anscheinend mit Gewalt verhindern, daß eine gemäßigte Regierung die Reformen verwirklicht, die sie als Ziel ihrer Revolution ausgewählt haben. Sie fürchten, daß ihnen der revolutionäre Wind aus den Segeln genommen wird, falls das Kabinett Erim seine ehrgeizigen Reformpläne mit Hilfe der Armee und unter stillschweigender Duldung der westlichen Verbündeten durchsetzen kann. In einem Gespräch erklärten

Vertreter der „Dev Gene” ganz offen, ihr Nahziel sei, die Regierung durch ständigen gezielten Terror so zu verunsichern und ihr Reformprogramm so zu verzögern, daß die Streitkräfte sich gezwungen sehen, das demokratische Experiment durch eine Militärdiktatur abzulösen. Die jugendlichen Terroristen folgen damit der traditionellen marxistischen Theorie, wonach eine faschistische Diktatur zwangsläufig zur Diktatur des Proletariates führen müsse.

Während der Ostertage verübten Parteigänger der Studentenorganisation im Zentrum der türkischen Hauptstadt wieder Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen. Daraufhin besetzten Truppen und bewaffnete Bereitschaftspolizisten die Regierungsgebäude und strategischen Schlüsselpositionen Ankaras. Von der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Einführung von Ausgehbeschränkungen wurde zunächst jedoch abgesehen. Das Armeeoberkommando möchte nicht von vornherein die Amtszeit des Kabinettes Erim dadurch belasten, daß es in die Regierung .hineinregiert”. Die Offiziere hoffen, daß sich die angestrebten Reformen schon bald bemerkbar machen und den politischen Spielraum des Ministerpräsidenten gegenüber den extremen Kräften erweitern.

Wie hoch man aber die Gefahr einschätzt, zeigt die Verhaftung eines früheren Kriegsmarineofflziers und eines weiteren Kadermitgliedes der „Dev Gene”. Die Sicherheiitskräfte haben außerdem eine Anzahl revolutionärer Umtriebe verdächtiger Studenten an den Universitäten von Ankara und Istanbul und an der türkischen Militärakademie unter Beobachtung gestellt. Der revolutionäre Spaltpilz ist, nach Ansicht westlicher militärischer Beobachter, inzwischen schon weit über die mittleren Frührungsränge der Armee hinaus vorgedrungen.

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