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Irak soll geben, was Türkei verwehrt?

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Über 200.000 Kurden wurden nach Schätzungen der Göttinger „Gesellschaft für bedrohte Völker" zwischen 1968 und 1990, also noch vor dem Golfkrieg, durch das irakische Regime „vernichtet", 5.000 Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Und in der Vorwoche präsentierte die Menschenrechtsorganisation „Middle East Watch" dem Auswärtigen Ausschuß des US-Senates einen Bericht, nach dem allein seit den achtziger Jahren zwischen 100.000 und 300.000 Kurden spurlos verschwunden seien. Der Völkermord hat System.

Tod droht den irakischen Kurden nicht nur von Bagdad. Auch die türkische Armee operiert grenzüberschreitend in der nordirakischen „Schutzzone" der Kurden. Jetzt wiederum bombardieren türkische Kampfflugzeuge im Südosten des eigenen Landes kurdische Aufständische, rollen Panzer.

Es stimmt schon, daß die marxistische Kurdische Arbeiterpartei mitsamt ihren Guerillas selbst den Weg der Gewalt zu gehen versucht, ein Kurs, von dem sich auch der irakische Kurdenführer Massoud Barzani distanziert. Aber Ankara selbst treibt durch seine Politik die Kurden zu gewalttätigem Extremismus: Bis heute leugnet die Türkei überhaupt die Existenz einer kurdischen Minderheit - dabei lebt rund die Hälfte der insgesamt 20 Millionen Kurden auf ihrem Gebiet. Etwa ein Fünftel ist im Irak angesiedelt. Offiziell gibt es für Ankara nur „Bergtürken".

Wer von Bagdad die Respektierung der Rechte der Kurden und eine Autonomieregelung fordert, muß das ebenso entschieden auch gegenüber Ankara vertreten. Oder werden an den „bösen" Saddam Hussein strengere Maßstäbe angelegt als an den NATO-Partner und KSZE-Staat Türkei, der nicht nur im Europarat vertreten ist, sondern auch in die EG drängt?

Die Türkei legt großen Wert darauf, der westlichen Staatengemeinschaft zugeordnet zu werden. Ihre Kurden-Politik entspricht aber nicht einmal den Mindeststandards eines Minderheitenschutzes, widerspricht sogar elementar dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte.

Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Welche Rücksichten die NATO auch immer zu nehmen hat: am KSZE-Verhandlungstisch und im Europarat muß Ankara klargemacht werden, daß es ohne verbrieften Minderheitenschutz - für Kurden ebenso wie für Armenier und Griechen - keine normalen Beziehungen geben kann. Das hat auch für die bilateralen Beziehungen zwischen Ankara und Wien zu gelten. Mit Unrecht kann man einfach nicht ungetrübte Freundschaft pflegen.

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