Rette sich, wer kann!

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Immer mehr Christen müssen den Irak verlassen, um nicht Opfer der Gewalt zu werden.

Worte wie Massenflucht oder Exodus drängen sich auf, wenn man die Situation der Christen im Irak schildern möchte, mit der sich auch ein aktueller Bericht des Hohen Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) auseinander setzt. Denn ein Großteil der irakischen Flüchtlinge sind christlichen Glaubens. Und während sich immer mehr irakische Christen in den Lagern der Flüchtlingshilfe in Syrien und Jordanien drängen, blutet die Minderheit in ihrem Heimatland aus. Besorgnis erregend ist vor allem die Tatsache, dass sich ihre Zahl in den letzten Jahren von 1,4 Millionen auf knapp 700.000 halbiert hat. Damit stellen die Christen nur noch drei Prozent der irakischen Gesamtbevölkerung dar.

Die Zufluchtsorte der christlichen Flüchtlinge sind mit Syrien und Jordanien zwei Länder, die nicht zu den Unterzeichnern der Genfer Flüchtlingskonvention zählen. Dennoch gewähren sie den irakischen Christen grundsätzlich Abschiebeschutz. Daher reißt auch der Flüchtlingsstrom aus dem Irak nicht ab. Seit Ende Jänner verzeichnen beide Länder einen starken Anstieg christlicher Flüchtlinge, was direkt mit der Anschlagsserie auf christliche Kirchen und ihre Würdenträger zusammenhängt. Inzwischen sind in Syrien knapp 18 Prozent der irakischen Flüchtlinge Christen, in der Hauptstadt Damaskus sind es sogar 44 Prozent. Das UNHCR sieht diese Zahlen als "ernst zu nehmendes Indiz für eine Zuspitzung der Situation der Christen im Irak".

Prekäre Rechtslage

Die Verantwortung für die verheerende Entwicklung liegt auch in der problematischen Rechtslage für religiöse Minderheiten im Irak, die sich in Zukunft noch verschärfen könnte. Während die Übergangsverfassung noch die Religionsfreiheit schützt, enthält der neue Verfassungsentwurf keine absoluten Garantien mehr. Der gewährleistete Schutz für die Minderheiten, die überwiegend Christen sind, wurde unter Vorbehalte gestellt und gerät in Konflikt mit einigen Staatszielen. Ein Beispiel ist die Verpflichtung der staatlichen Autorität zum Schutze des Islam und der islamischen Identität. Die rechtlichen Aspekte sind jedoch nicht alleine für die schlechte Lage der Christen im Irak verantwortlich. Sie gelten in weiten Teilen des Landes als Kollaborateure mit den Koalitionstruppen und dem Westen und als Verräter am irakischen Volk. Diese Vorurteile, die seit dem Beginns des Irak-Krieges grassieren, sind eng mit der Rhetorik einiger islamistischer Terrororganisation verwoben, die mit der Metapher des Kreuzzuges weitere Missstimmung gegen Christen schüren. All das führt zu einer vergifteten Stimmung, insbesondere im sunnitischen Dreieck rund um Bagdad, mit der sich die christliche Minderheit konfrontiert sieht. Die vielen christlichen Kirchen haben auf die Ablehnung noch keine gemeinsamen Antworten gefunden.

Aversionen und Vorurteile

Nicht nur wegen politischen Themen wie dem Irakkrieg und der vermeintlichen Unterstützung der irakischen Christen für die usa, wird die religiöse Minderheit zum Opfer von Anschlägen und Diskriminierungen. Häufig sind die Übergriffe auch rein religiöser Natur. Im Zentrum stehen dann Vorwürfe eines nicht-islamischen Verhaltens - was von zu freizügiger Kleidung bis zum Ausschenken von Alkohol reicht. Extremistische Gruppen üben dabei verstärkt Druck auf die christlichen Gläubigen aus, um sie aus ihren Gebieten zu vertreiben. Organisationen wie die Modjahedin-Armee machen sich dabei allerlei Techniken zunutze: Flugblätter werden verteilt, Plakate gedruckt, Drohbriefe verschickt, und auch das Internet wird zur Plattform von weit angelegten Aktionen zur Diffamierung der religiösen Minderheiten. Den christlichen Gläubigen bleibt oftmals nicht viel mehr übrig, als dem Druck nachzugeben. So mussten vor einem Jahr über 1500 Studentinnen nach einer breit angelegten Aktion gegen sie die Universität in Mossul verlassen. Der Karikaturenstreit ließ die rein religiösen Vorbehalte der muslimischen Mehrheit gegenüber den Christen noch einmal entflammen. Sogar irakische Rechtsgelehrte schlossen sich Forderungen an, wonach Christen aus Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen vertrieben werden sollten, da sie den Propheten beleidigt hätten. Milizen riefen sogar zur Ermordung und Entführung von Christen auf. Die dänischen Mohammedkarikaturen zogen nirgends so weite Kreise wie im Irak: Die schwere Anschlagsserie vom 29. Jänner ist als Reaktion darauf geplant worden.

Keine Wahl

Die Eskalation der Gewalt zwingt immer mehr irakische Christen zur Flucht nach Syrien oder Jordanien. Denn eine innerstaatliche Fluchtalternative gibt es nicht mehr. Die kurdischen Provinzen im Nordirak galten zwar lange Zeit als Rückzugsgebiet für die christliche Minderheit, doch das Erstarken der Kurdisch-Islamischen Union (kiu) führt auch im Nordirak zu verstärkten Aggressionen gegen religiöse Minderheiten. UNHCR-Sprecher Schönbauer meint, dass "eine innerstaatliche Fluchtalternative in vielen Fällen weder relevant noch vernünftig ist". Es gebe kaum weniger gefährliche Gebiete im Irak, in die sich vertriebene Christen zurückziehen könnten. "Und wenn, dann warten so harte Bedingungen, dass weder ein ökonomisches Überleben noch eine Einhaltung von Menschenrechten gewährleistet wären."

Mit einer Entspannung der Situation ist kaum zu rechnen. Die Ankündigung der Türkei, im Nordirak gegen die Kurden vorzugehen, stellt sogar noch eine Verschärfung dar. Denn immer noch sind viele der christlichen Gemeinden in Städten wie Mossul oder Kirkuk zu finden. Eine militärische Intervention würde auch noch die letzten Christen in die Emigration zwingen. Aber auch für die Flüchtlinge spitzt sich die Lage zu. Nach dem Flüchtlingsstrom der Libanonkrise, den das UNHCR auf knapp 500.000 schätzt, muss man hoffen, dass sowohl Syrien als auch Jordanien den irakischen Christen auch weiterhin Asyl geben - denn die Perspektiven im Irak sind so schlecht wie noch nie.

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