Christlicher Exodus im Nordirak

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Christen im Irak geraten zunehmend unter Druck. In Mossul ist die Situation völlig außer Kontrolle. Eine österreichische Delegation besuchte die Flüchtlingslager.

Mitten in der Nacht drang das schwer bewaffnete Terrorkommando in das Haus einer christlichen Familie in Mossul ein, riss die Familienmitglieder aus dem Schlaf und drohte, das Haus in die Luft zu jagen, sollten sie nicht sofort verschwinden. Einem christlichen Neugeborenen hielten Extremisten eine Pistole an die Schläfe, um seiner Mutter die Drohung deutlich zu machen. Rund 280.000 Christen sind bisher vor der Gewalt und dem Chaos im Nachkriegs-Irak geflohen, vor dem Einmarsch der Amerikaner machten sie noch rund drei Prozent der Bevölkerung aus. Bis vor Kurzem war allerdings keine Systematik in den Aktionen gegen Christen erkennbar, da alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen vom Terror betroffen waren. In Mossul, neben Bagdad eine der wichtigsten christlichen Siedlungsgebiete, ist das jetzt anders. "Christen, verlasst die Stadt oder wir bringen euch um", verkündeten Autos mit Megafonen vor rund einem Monat. Seitdem ist die nordirakische Stadt im Ausnahmezustand.

Randvolle Flüchtlingslager

"Christen werden verschleppt, gefoltert, erpresst und getötet", berichtet Caritas-Auslandshilfechef Christoph Petrik-Schweifer. Er war Teilnehmer einer Delegation der österreichischen Bischofskonferenz unter der Leitung von Weihbischof Franz Scharl, die vor Kurzem in den Nordirak gereist ist. Ziel der Reise war es, "den stummen Schrei der gequälten, vertriebenen und bedrohten Menschen im Irak hörbar zu machen". Zwar hat die irakische Regierung 900 zusätzliche Polizisten nach Mossul entsandt. Doch Einheimische erzählen, dass sich manche dieser Ordnungshüter nachts selbst in Terroristen verwandeln. Einschüchterungen und nackte Gewalt taten ihre Wirkung. Seit Ende September sind mindestens 15.000 Christen aus Mossul geflohen. Tausende wurden in den sicheren kurdischen Provinzen im Nordirak aufgenommen. Hier ist die Lage relativ ruhig, die Militärpräsenz hoch. Aber es fehlt am Nötigsten. Die Flüchtlinge mussten häufig innerhalb weniger Minuten ihre Häuser verlassen und sind mit dem geflohen, was in zwei Koffer passt. Die Wasserversorgung und der humanitäre sowie medizinische Bereich sind mangelhaft, berichtete die Delegation aus der Krisenregion. Allein nach Karakosh, einer mehrheitlich christlichen Stadt mit 40.000 Einwohnern, sind 750 Familien geflüchtet. Die Notquartiere platzten aus allen Nähten, obwohl die Einheimischen dem Pfarrer sogar ihre Schlüssel brachten, um den Flüchtlingen möglichst rasch Übernachtungsmöglichkeiten zu geben.Auch einige Muslime bekunden ihre Solidarität. Petrik-Schweifer erzählt von zwei LKWs mit Hilfslieferungen für die Vertriebenen Christen von einer muslimischen Familie in Mossul. Der Großayatollah Ali al Sistani hat die Attentate aufs schärfste verurteilt. Wer hinter dem Terror steckt, ist bisher unklar.

Rätsel um Hintermänner

Heinz Hödl, ein Delegationsteilnehmer und der Geschäftsführer der "Koordinierungsstelle der österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission", glaubt nicht an den Beginn eines religiösen Dschihads gegen Christen. Zwar sei in Mossul eine zunehmende Radikalisierung des Islams erkennbar, er sehe aber eher den Versuch "extremistischer Gruppen, Brandherde zu zünden und Chaos zu stiften". Neben El-Kaida-Terroristen kämen auch Saddam-Getreue und kurdische Kämpfer, sogenannte Peschmergas, als Urheber der Gewalt in Frage.

Zukunft der irakischen Christen

Auch politisch weht den Christen im Irak ein rauer Wind entgegen. Der Artikel 50 der irakischen Verfassung, der Minderheitenrechte schützt, wurde vom Parlament abgeändert. Damit ist die christliche Repräsentanz in vielen Regionalparlamenten fraglich. Der chaldäisch-katholische Erzbischof von Kirkuk, Louis Sako, mahnte trotz der schwierigen Situation vor einem Exodus christlicher Iraker: "Das Bestreben, eine größere Anzahl von Christen in Europa aufzunehmen, wird nicht gutgeheißen. Es wäre eine unnotwendige Ermutigung für noch mehr Christen, das Land zu verlassen", erklärte Sako der Delegation aus Österreich. Die Geschichte der Christen im Irak verweist auf eine 2000 Jahre alte Tradition. Außerdem stellen die Christen einen überproportional hohen Anteil an Händlern und Akademikern. Werden sie vertrieben, verliert nicht nur eine der ältesten Religionsgemeinschaften ihre Heimat, sondern auch der Irak wichtige Helfer für den Wiederaufbau.

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