6822021-1973_42_07.jpg
Digital In Arbeit

„Orientalische Preußen“

Werbung
Werbung
Werbung

Die „Feigheit der Araber“, sprichwörtlich geworden in drei verlorenen Kriegen gegen das zahlen- und materdalmäßig weit unterlegene Israel, war vor allem die Feigheit des arabischen Offizierskorps. Die Offl-zierslaufbahn ist traditionell der einzige Zugang für begabte Söhne aus der Unterklasse zu höherem sozialen Rang. In den arabischen Ländern wird man nicht Offizier, um Krieg zu führen, sondern um an der Macht teilzuhaben. In den meisten dieser Staaten sitzen denn auch folgerichtig Offiziersputschisten auf den Präsidenten- und Ministersesseln, bis sie früher oder später von anderen Offi-ziersputschdsten verdrängt werden. Diese „Zweckentfremdung“ des Offiziersberufes entspricht dem ambivalenten Verhältnis arabischer Armeen zu ihren Waffen. Ein Europäer wunderte sich einmal über den schlechten Zustand veralteter britischer Panzer in der irakischen Armee. Darauf sagte ein irakischer Offizier: „Die Panzer sollen ja auch keinen Krieg gewinnen, sondern nur am Unabhängigkeitstag vor dem Präsidenten paradieren.“ Hinzu kommt, daß die aus der Militärkaste hervorgegangenen politischen Führungen den ehemaligen Kollegen zwangsläufig das gleiche zutrauen müssen, was sie selbst taten. Um Staatsstreichen vorzubeugen, erhält die Armee daher nur selten scharfe Munition. Wie also soll sie den Umgang damit lernen? Neutrale Beobachter haben in allen drei arabischisraelischen Feldzügen übereinstimmend festgestellt, daß die panische Flucht der überlegenen arabischen Streitkräfte ausgelöst wurde durch den „geordneten Rückzug“ der Offiziere von der Front. 1948 behauptete sich nur ein ägyptischer Truppenkommandant bis zum Waffenstillstand gegen die Israelis: er hieß Gamal Abd el Nasser. 1956 lagen die ägyptischen Verteidiger beim Ausbruch des Suezkonfliktes im Haschischrausch in ihren Unterständen. 1967 war nur die jordanische Armee für die Israelis ein ebenbürtiger Gegner, weil ihr Oberbefehlshaber

König Hussein an vorderster Front mitkämpfte, während Präsident Abd el Nasser und sein Armeechef im hinteren Hauptquartier auf der Kairoer Nilinsel Gesdra geblieben waren.

Nach dem katastrophalen Ausgang des Sechstagekrieges zeigten sich viele ägyptische Offiziere nur noch in Zivil in der Öffentlichkeit. Taxifahrer weigerten sich, uniformierte Militärs zu befördern. Mehrfach wurden sie von Zivilisten angespuckt oder geschlagen. Ein Offizier wurde von einer erregten Menge sogar umgebracht.

Dieses Bild machte in den Tagen seit Ausbruch des vierten Nahost-kriegs einem anderen Platz. Wie der wechselhafte Kampfverlauf zeigt, hatten die Araber nicht nur Anfangserfolge, sondern wurden für die aus der Defensive heraus operierenden israelischen Streitkräfte zu sehr ernstzunehmenden Gegnern. Eine Ursache dieses erstaunlichen Wandels ist die offenkundige Änderung der arabischen Offlziersmentalität. Ägyptens Präsident Mohammed Anwar es-Sadat hält sich seit Ausbruch der Kämpfe ununterbrochen im vorgeschobenen Befehlsstand, in der Nähe der Suezkanalstadt Ismailia auf, sein Oberbefehlshaber General Saad eddin esch-Schasli leitet die Operationen der Nilarmee in vorderster Front.

General Moshe Dayan, auf israelischer Seite der legendäre Held dreier gewonnener Feldzüge, ist seinen Untergebenen bis hinunter zum einfachsten Soldaten ein Vorbild an Wagemut und Tapferkeit. Diesmal hat er auf arabischer Seite zum ersten Mal einen ebenbürtigen Gegner. General esch-Schasli war im Sechstagekrieg der einzige öffentlich belobigte und ausgezeichnete ägyptische Troupier. Der 51jährige ist seit 1940 Berufssoldat und kämpfte bereits 1948 an der Palästinafront. Im Suezkanalkonflikt befehligte er 1956 eine Fallschirmjägerkompanie. 1967 war er Divisionskommandant auf der Sinaihalbinsel. Der Luftwaffengeneral gilt als Spezialist für den

Luftkrieg. Dieser Umstand war wohl auch ausschlaggebend für seine im Mai 1971 erfolgte Berufung zum Generalstabschef der ägyptischen Streitkräfte.

Esch-Schasli gilt in der ägyptischen Öffentlichkeit wie bei Offizieren und Mannschaften seiner Armee als ein kein Risiko scheuender Hau-

degen. Er liebt ein offenes Wort und geht Kritik nicht aus dem Weg. Seine Beliebtheit ist so groß, daß man in ihm einen möglichen Nachfolger von Präsident es-Sadat sehen kann. Der General scheint bei aller Risikofreudigkeit jedoch vorsichtig zu taktieren. Seine Luftwaffe setzte er bislang nur zurückhaltend ein und bewahrte sie dadurch wahrscheinlich vor großen Verlusten. Möglicherweise will er abwarten, bis die geg-

nerische Luftwaffe durch ihre pausenlosen Einsätze und die damit verbundenen 'höhen Ausfälle so geschwächt ist, daß die arabische Seite die für einen militärischen Sieg unerläßliche Luftüberlegenheit an sich reißen kann.

Auch auf syrischer Seite steht den Israelis heute ein militärisches Talent von hohen Graden gegenüber. General Mustafa Tlass, der die früher gern als „Preußen des Orients“ bezeichneten syrischen Streitkräfte als Generalstabschef befehligt, erhielt 1968 diese Stellung. Vorher be-

fehligte er die in der Region Horns stationierte fünfte Division. Tlass ist außerdem stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister. Mißt man sein erklärtes Ziel, den Syrern eine ähnliche Schlappe wie 1967 zu ersparen, am Verlauf der Kämpfe auf den Golan-Höhen, hatte er unbestreitbar einen gewissen Erfolg. In I?rael sah man in ihm schon vor der „vierten Runde“ einen gefährlichen Gegner.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung