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Statt Regen nur Revolution

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„Unsere Geschichte kennt nur eine Kontinuität, die der Staatsstreiche!“ Der Bagdader Umsturz bestätigt diese resignierende Feststellung von arabischer Seite. Der Verlauf war wie gewohnt, und es überraschte nur, wie schlecht sich die jeweiligen Machthaber gegen die perfekte Nachahmung ihres eigenen Putschmodelles durch die Gegenspieler zu schützen wissen. Der gestürzte Präsident Arif fiel demselben Plan zum Opfer wie Diktator Kassem (1963) und König Feisal (1958). Der schon zitierte arabische Gewährsmann beurteilt das so: „Bei uns gibt es noch keinen für jedermann akzeptablen demokratischen Regierungswechsel . Machtaiblösungen sind aber unumgänglichen Und Staatsstreiche nun einmal ihre uns gemäßeste Form.“

Die Bagdader Ereignisse beweisen denn auch, daß Bevölkerung und potentielle Revolutionäre die verborgenen Schwächeerscheinungen eines Regimes rasch aufspüren und darauf reagieren. Der Putsch überraschte niemand. Der Geheimdienst registrierte schon kurz nach dem Sechstagekrieg seine ersten . Anzeichen. In den Klubs und politischen Zirkeln erörterte man im Herbst 1967 ganz offen die Umsturzaussichten. Der Präsident verließ sich aber offenbar auf seine als zuverlässig eingeschätzte Leibwache. Die Quittung dafür erhielt er, als deren Befehlshaber ihm eröffnete, er sei abgesetzt und werde ausgewiesen. Arif, der an das Schicksal sein Vorgänger dachte, fügte sich wiederspruchslos und bestieg die auf dem Flughafen wartende Kursmaschine pach Istanbul und London.

Denn König Feisal war niedergemetzelt, Diktator Kassem bestialisch umgebracht worden und Präsident Arif der Ältere bei einem niemals aufgeklärten Hubschrauberabsturz umgekomnen. Der jüngere Arif behielt wenigstens sein Leben. Er verdankt es allerdings keiner humanitären Aufwallung der neuen Machthaber, sondern ihrer Erkenntnis, der farblose ehemalige General sei für niemand eine Gefahr.

Zwischen Euphrat und Tigris fühlt man sich mittlerweile wie nach einem reinigenden Gewitter. Die Bagdad!s leiden in dieser Jahreszeit besonders unter dem feuchtheißen Klima. Sie arbeiten langsamer und diskutieren mehr und werden reizbar und aufsässig. Auf Regen können sie nicht hoffen, so hoffen sie auf eine Revolution. Diese hebt zwar nicht das körperliche Wohlbefinden, doch sie kühlt wenigstens vorübergehend die politischen Leidenschaften. Der Sommer ist daher traditionell die Zeit der Staatsstreiche, und als der schon lange erwartete jetzt endlich losbrach, löste er mühsam unterdrückte Spannung. Das ist das ganze Geheimnis des für europäische Beobachter erstaunlichen ebenso spontanen wie verbreiteten Beifalles der Bevölkerung für die neuen Herren.

Es gab keine echten politischen Gründe für den Regimewechsel. Präsident Arif war ein, für arabische

Verhältnisse, eher, vorsichtig taktierender Staätschef. In dem genau 40 Jahre alten Kurdenkonflikt steuerte er einen Kompromißkurs. Den von ihren arabischen Landsleuten verfolgten, unterdrückten, gewaltsam arabisierten und häufig betrogenen kurdischen Irakern winkte echte Gleichberechtigung und möglicherweise ein autonomes Kurdistan. Der Bürgerkrieg, der militärisch nicht entschieden werden konnte, die Armee schwächte, das Offizierskorps demoralisierte und sich katastrophal auf die wirtschaftliche Stabilität auswirkte, erlebte eine gewisse Dämpfung. — In der arabischen Politik vermittelte Arif zwischen „Gemäßigten und „Radikalen“. Vor dem Sechstagekrieg entsandte er ein Truppenkontingent nach Jordanien, das noch dort stationiert ist, vermied aber jede Einmischung in dessen innere Angelegenheiten. Im Sechstagekrieg blieb er praktisch neutral; irakische Truppen beteiligten sich nicht an den Kämpfen. Nach dem Sechstagekrieg unterstützte er die ägyptische Haltung; wie Abdel Nasser war er gegen eiben Friedensschluß, aber auch gegen einen neuen Krieg. Gegenüber der Sowjetunion blieb er zurückhaltend, mit Frankreich schloß er aufsehenerregende Abkommen über Waffenlieferungen und Erdölkonzessionen.

Hinter dem Putsch standen keine wesentlichen politischen oder ideologischen Meinungsverschiedenheiten, sondern er hatte personalistische Gründe. Die Putschisten gehören zwar zur Baaspartei, jedoch nicht zu dem in Syrien herrschenden linken Flügel. Sie zählen sich, wie der gestürzte Präsident, zur (nasseristi- schen) Rechten. Abd er-Rachman Arif und der neue Staatschef, Achmed Hassan el-Baker, sind sich erstaunlich ähnlich. Beide sind Berufsoffiziere, der eine brachte es zum Generalmajor, der andere zum Brigadegeneral. Beide beteiligten .sich an der gegen die Haschimiten- monarchie gerichteten Revolution und an dem Putsch des älteren Arif. Beide sind Baasisten und beide Bewunderer Abdel Nassers. Doch zwischen beiden bestand von jeher eine persönliche Animosität. Unter Präsident Abd es-Salam Arif wurde dessen jüngerer Bruder General stabschef, el-Bakr wurde, von Februar bis November 1963, Ministerpräsident, und, von November 1963 bis Jänner 1964, Vizepräsident. Darnach war er Botschafter, ohne verwendet zu werden, und verschwand dann in der Versenkung. Er beteiligte sich an allen seither aufgedeckten oder niedergeschlagenen Putschversuchen.

Als der ältere Arif, im Frühjahr 1966, bei einem mysteriösen Flugzeugunfall getötet wurde, war el-Bakr ein aussichtsreicher Nachfolgeaspirant. Doch die „Hinterbliebenen“ entschieden sich für den weniger mächtigen, nicht so ehrgeizigen und ziemlich unbedeutenden jüngeren Arif. Dieser hatte jedoch gegen den gefährlichen Konkurrenten, der die Niederlage nicht vergaß und großen Anhang in der Armee besaß, kein Mittel. Mehrfach versuchte er, el-Bakr in die Regierung zu ziehen, scheiterte aber an dessen

Ablehnung oder an seinen eigenen Befürchtungen.

Hinter dem neuen Staatschef ste- heb die wichtigsten Armeebefehlshaber. Zum „Rat des Kommandos der Revolution“ gehören der stellvertretende Chef der Bagdader Militärregion, General Saad el-Cha- ran, die Kommandanten der ersten, zweiten und fünften Heeresdivision, die Generäle Nassif Samarai, Adnan Abdel Jalil und Mohanmed Nuri Chalil, der neue Chef des in Jordanien stationierten Expeditionskorps, General Hassan en-Nakid sowie General Asis Emin. Ihr Staatsstreich verlief nicht so unblutig, wie sie behaupteten. Präsident und prominenteste Repräsentanten des bisherigen Regimes wurden zwar geschont. In den an den Iran grenzenden Gebieten und in der Hauptstadt kam es jedoch zu bewaffneten Auseinandersetzungen, und es gab Verletzte und Todesopfer.

Kenner der Verhältnisse befürchten nachteilige Auswirkungen auf die arabische Haltung, insbesondere ge- gegenüber Israel. Das neue Bagdader Regime verurteilt die „falsche und oberflächliche Palästinapolitik“ seiner Vorgänger. Das legt es in dieser

Frage fest, verringert die Friedens- aussichten und dürfte den ägyptischen Präsidenten davon abhalten, friedliche Lösungsversuche für den Konflikt, wie immer er sie sich vorgestellt haben mag, weiter zu verfolgen. Auch in Kairo befürchtet man seit einigen Monaten einen Umsturz, und, so argumentiert man dort, das Bagdader Beispiel .müsse dessen potentielle Urheber zwangsläufig ermutigen. Denn Nasser werde ihnen kaum durch eine konziliantere Palä- stinapolitik den Vorwand für seihen eigenen Sturz liefern.

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