6653272-1959_14_04.jpg
Digital In Arbeit

ABD EL KERIM KASSEM / DOPPELSPIEL AM EUPHRAT?

Werbung
Werbung
Werbung

Aus dem Zwischenstromland kommen immer neue Ueberraschungen. Nun trat Irak aus dem Bagdadpakt aus. Harte Worte fallen zwischen Nasser und Kassem, den feindlichen Brüdern am Nil und am Euphrat. Kassem soll sich angeblich nur noch mit kommunistischer Hilfe und der Gewalt halten können. Kairo behauptet, er sei eigentlich ein verkappter Kommunist. Auch jetzt, sieben Monate nach der Revolution, ist manches ungewöhnlich. Etwa der protokollarische Stil in Bagdad, der die Auftritte des irakischen Ministerpräsidenten auf diplomatischen j Cocktailempfängen auszeichnet. Oberst Taher, Kassems Adjutant, bahnt immer mit der Maschinenpistole für seinen Chef einen Weg durch die wartenden Gäste. Die Sicherheitsvorkehrungen sind nicht unbegründet, zweimal wurde eine Verschwörung aufgedeckt. Ein Korrespondent, den Kassem in seiner sandfarbenen verdrückten Uniform mit umgehängter blanker Coltpistole empfangen hatte, schreibt von seinem Gesicht: hart, fast brutal, sehr bleich, entflammende Augen eines Aktivisten, die nicht in den Orient passen, weil sie mehr einen rücksichtslosen Willen als Fanatismus verraten. Der Gesamteindruck des Journalisten war: der gefährlichste Mann, dem er bisher im Nahen Osten begegnet sei. Im Vergleich zu ihm wirke Nasser fast wie ein Playboy.

Kassem war nur wenigen bekannt, als er durch den Königsmord an Peisai II. über Nacht zum Helden der irakischen Nationalisten wurde. Der im syrischen Aleppo geborene General mit den zupackenden Bewegungen ist nur 164 Zentimeter groß, ein drahtiger Typ, den der Wüstensand ausgedorrt und die Wüste schweigsam gemacht hat. Nur wenn er eine Ansprache an die fanatischen Massen hält, vom Balkon eines Hauses oder von einem flachen Dach, funkeln seine Augen voll Wildheit; da erinnert er mit seinem kleinen Schnurrbart etwas an

Chaplin im „Diktator”. Er rühmt sich des Doppelspiels, das er getrieben hatte. Skrupellos unterstreicht er seine Rolle, als er Nuri- es-Said in Sicherheit wog, ihn glauben machte, er sei eines Sinnes mit ihm, und ihn dann verriet. An die Macht kam er mit Hilfe der Armee, der er seit 20 Jahren angehört. 1555, nach einer erfolgreichen Laufbahn als Stabsoffizier, die ihn einmal sogar zur Ausbildung an die englische Militärakademie von Sandhurst führte, zum General befördert, übernahm er das Kommando über die 19. Infanteriebrigade der 3. irakischen Division.

Diese Spezialtruppe hatte die Aufgabe, bei inneren Unruhen einzugreifen, sie galt ah eine der Säulen des Bagdader monarchistischen Regimes. Heute noch besteht seine waffenstarrende Leibwache aus den Soldaten dieser ihm völlig ergebenen Brigade. Der heute erst 45 Jahre alte Junggeselle ist von persönlicher Anspruchslosigkeit. Die Unrast Kassems dokumentierte am besten jenes Bild, das durch die Weltpresse ging. Es zeigte ihn auf improvisiertem Nachtlager in seinem Arbeitszimmer schlafend So ist er stets sprungbereit an den Hebeln der Macht, repräsentiert durch eine Batterie von Fernsprechapparaten auf seinem Schreibtisch. Er spricht fließend englisch, aber er benützt bei Gesprächen mit westlichen Besuchern immer einen Dolmetscher. Das scheint zu dem aus Stolz und Klugheit bestehenden arabisch- t.ationdistischen Stil zu gehören, den sich a”th Kassem zu eigen macht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung