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Geheimdienst: Satire und blutiger Ernst

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Geheimdienst! Kriegsschauplatz im Dunkeln. Turnierfeld fanatischer Idealisten und eiskalter Rechner genauso wie Tummelplatz dunkler und zweifelhafter Existenzen. Nicht gerechnet die Unzahl kleiner und großer Hochstapler, gescheiterter Existenzen, Sparafuciles des 20. Jahrhunderts. Alle wissen dies. Trotzdem hat diese Welt im Zwielicht wenig von ihrer verderbenbringenden Anziehungskraft eingebüßt. Immer wieder fliegen Motten in die düstere Flamme . ..

Zwei Bücher liegen vor uns. Ein Roman und ein Bericht. Beide sind der Welt der geheimen Dienste gewidmet. Ihrer Desillusionierung. Wer vermag dies besser? Der bekannte Schriftsteller, der mit den Waffen der Ironie arbeitet, oder der ehemalige Geheimdienstoffizier einer Weltmacht mit seinem Rapport?

Der Roman: Graham Greene stellt uns hier seinen „fünften Mann“ vor. Nach Harry Lüne, der in den Kanälen des Nachkriegs-Wien unter den Zitherklängen von Toni Karas sein Ende fand, und dem in Vietnam ums Leben gekommenen „stillen Amerikaner“ begegnen wir auf Kuba „unserem Mann aus Havanna“. Als solcher wird natürlich der harmlose Mr. Wormmold in den Tagen des Diktators Batista vom geheimnisumwitterten Mandrill, der für den englischen Geheimdienst „das karibische Netz organisiert“, angeheuert. Aus einem kleinen, von Geldsorgen für die Erziehung seiner extravaganten Tochter geplagten Staubsaugervertreter wird der Agent 59.200/1. Was tut ein liebender Vater nicht alles für sein Kind, noch dazu, wenn die Mutter auf und davon ist ... So auch Mr. Wormmold. Er fabriziert „Geheimberichte“, die jedermann aus der Zeitung lesen kann, er erfindet Unteragenten usw. Kurz und gut, er entwickelt eine blühende Phantasie für 150 Dollar pro Monat und 150 Dollar Spesen — belegt selbstverständlich. Schließlich treibt ihn seine Phantasie und die wohlwollende Aufnahme, die seine Berichte „höheren Orts“ gefunden haben, dazu, die Düsen seiner Staubsauger zu kopieren und unter Angabe eines riesigen Maßstabes als geheimnisvolle Anlagen in der Provinz an die Zentrale abzusenden. .. Aus dem Gaukelspiel wird schließlich Ernst. Nicht nur der englische Geheimdienst, auch konkurrierende Dienste nehmen die liebenswürdig harmlosen Schwindeleien des Mr. Wormmold in Havanna ernst und setzen sich auf seine Spur. Mitten im skurrilen Spiel tritt der Tod auf. Wormmold muß nun seine Rolle weiterspielen. Und auch London, wo man den Schwindel inzwischen durchschaut hat, aber sich nicht blamieren kann.

Die milde Laune des Verfassers, am Tage, als er die letzten Seiten dieser seiner Satire über die vordergründig-hintergründige Tätigkeit der „geheimen Dienste“ schrieb, gewährte Mr. Wormmold schließlich ein Happy-End.

Der Sieg der Revolution Fidel Castros, der im Widerspruch zu den Berichten des (wirklichen) englischen Geheimdienstes stand, machte Graham Greenes Buch schließlich zu einem vollen Erfolg.

Nut ein Engländer konnte es wagen, dem Geheimdienst seines Landes diesen Zerrspiegel öffentlich vorzuhalten. Nur ein englisches Leserpublikum hat die nötige innere Festigkeit und Balance, um eine solche Satire amüsiert und gelassen aufzunehmen. An anderen Orten sind die Bräuche strenger ...

Das zeigt uns der Bericht: Vor ungefähr sechs Jahren ging der Name Nikolaj C h o c h 1 o w durch alle Zeitungen. Der Hauptmann des russischen Geheimdienstes war vor einem Auftrag, der die Ermordung eines Emigranten zum Ziel hatte, zurückgescheut und hatte sich seinem Opfer anvertraut. Das Ergebnis war der „Fall Chochlow“. Wer ist nun dieser Chochlow? „Ein Verräter“, so sagte Moskau. „Ein Paradestück für jede antikommunistische Propaganda“, so meinte eine gewisse Presse und handelte darnach. Und die Wahrheit? letzt, da es seit Jahren still um den Namen Chochlow geworden ist, spricht dieser selbst. Es ist der Bericht eines zutiefst enttäuschten und getäuschten Mannes. Und diese Enttäuschung geht nicht allein auf das Konto des Kommunismus. Um so mehr verdient dieser Rapport Interesse. Doppeltes Interesse, da er nicht mit „Enthüllungen“ arbeitet, sondern einfach das Schicksal eines jungen Russen (Jahrgang 1922), dem sein Metier zum Verhängnis wurde, erzählt. . Als der Soldat Chochlow 1941 einer Sondereinheit zugeteilt wurde, waren für ihn die Würfel gefallen. Der Geheimdienst hatte seine Hand nach ihm ausgestreckt. Der junge, aus dem Komsomol hervorgegangene Russe wird in gefährliche Einsätze hinter der deutschen Front gesandt und erfüllt diese zur vollen Zufriedenheit seiner Vorgesetzten. Gut dekoriert geht er aus dem großen vaterländischen Krieg hervor. Als er jedoch ins Zivilleben zurückkehren will, wird ihm deutlich zu verstehen gegeben, daß es für einen ausgebildeten Geheimdienstoffizier kein Abrüsten gibt. Neue Aufträge führen Chochlow — und dieses Kapitel ist aus verständlichen Gründen vor allem für uns interessant — nach Österreich, wo er sich in einen unserer Mitbürger mit Namen Josef Hofbauer verwandelt. Mit einem österreichischen Paß reist Hofbauer-Chochlow in der Folgezeit. In seinem Herzen den Zwiespalt zwischen einem seinem Land ergebenen Russen und der wachsenden Abneigung gegenüber seinem „Gewerbe“. Seelische Spannungen und ideologische Zweifel, wie sie in den letzten Jahren des drückenden Stalinismus in der jungen Generation Rußlands weit verbreitet waren, kommen hinzu. Sie verdichten sich in dem Herzen eines jungen Mannes mit nicht alltäglicher Profession. Zu all dem kommt, daß Chochlow eine frühere Studienkollegin heiratet, die ihn mit dem Christentum und seinem Gebot konfrontiert. Du sollst nicht töten... Da er keine Möglichkeit sieht, seine Bindung an den Geheimdienst loval zu lösen, reift der Gedanke an ein „Aussteigen“ gemeinsam mit seiner Familie anläßlich einer Auslandsmission. Der letzte Auftrag, der die Beseitigung des Führers einer von Moskau bedeutend überschätzten russischen Emigrantenorganisation zum Ziel hat, drängt zur Entscheidung. Chochlow kann sich jetzt nicht mehr gemeinsam mit seiner Familie empfehlen, er kommt — entgegen seiner ursprünglichen Absicht — in die Kreise des amerikanischen Geheimdienstes. Was weiter geschah, ist bekannt; nicht bekannt ist, daß die festen Zusagen der amerikanischen Gewährsleute, Chochlows Frau und Kind den Repressalien der sowjetischen Behörden zu entziehen, nicht nur nicht gehalten, sondern nie ernstlich in Erwägung gezogen wurden. (Eine Zwischenfrage: Wie konnte der in den Praktiken der Geheimdienstarbeit wohleingeweihte Mann dieses beinahe naive Vertrauen haben?) Dementsprechend ist die Reaktion des Autors: Während bei der Schilderung seinej sowjetischen Vorgesetzten, bei aller nunmehrigen Distanz, mitunter auch heute noch Respekt herauszulesen ist, kommen von den Repräsentanten des amerikanischen Geheimdienstes, denen Chochlow begegnet ist, nur wenige gut weg. Eigentlich müßte Washington an dem vorliegenden Bericht noch weniger Freude haben als Moskau.

Was bleibt: ein Mensch zwischen den großen Mühlsteinen und das ungeklärte Schicksal einer Frau und eines Kindes. Dazu die Mahnung, daß jeder, der sich der Arbeit in den „geheimen Diensten“ verschreibt, gut daran tut, rechtzeitig sich von allen inneren Bindungen freizumachen. Und das Gewissen? Nun, das ist auf jedeji Fall ein kostspieliger Luxusgegenstand, den man besser in der Garderobe deponiert.

Wen es ,nach der Lektüre dieser beiden Bücher noch drängt, da oder dort „mitzuspielen“, der melde sich bei... (Namen und Adresse sind in der Redaktion nicht bekannt.)

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