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Schwierigkeiten innen und außen

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Kenner der Verhältnisse glauben daher, die Rücktrittsgerüchte seien von Abdel Nasser selbst ausgestreut worden. Ihr Hintergrund sind die zahllosen inneren und äußeren Schwierigkeiten des Regimes. Die notorische Glücklosigkeit der aufgeblähten Armee wird verschlimmert durch außenpolitische Mißerfolge. Dem Fiasko der ersten folgte das der zweiten „Vereinigten Arabischen Republik“ zwischen Ägypten, Syrien und dem Irak die niemals verwirklicht wurde. Die ägyptische Infiltration des Iraks, die eine dritte ermöglichen soll, trifft auf wachsenden Widerstand. Die von Kairo als „reaktionär“ angefeindeten Monarchien in Jordanien und Saudiarabien und die reichen ölfürsten-tümer am Persischen Golf konnten sich nicht nur behaupten, sondern wurden durch den Thronwechsel in Er-Riad gestärkt. Keine der häufigen arabischen Gipfelkonferenzen brachte einen ägyptischen Prestigezuwachs,und die Blockfreien bestätigten Abdel Nasser nicht als Nachfolger Nehrus in einer internationalen Schiedsrichterrolle. Die antiwestliche und prokammunistische Außenpolitik, die in der Bevölkerung unpopulär ist, kostete Ägypten die amerikanische Hilfsbereitschaft, ohne die sowjetische steigern zu können. Aus der permanenten Versorgungskrise zeigt sich kein Ausweg.

Knapp 13 Jahre nach seinem Staatsstreich hat es sich Nasser mit fast allen Bevölkerungsschichten verdorben. Die Paschas entmachtete er, dem Mittelstand nahm er durch inflationäre Währungspolitik die Ersparnisse und hindert ihn an Auslandsreisen; den Arbeitern macht er Versprechungen, die er infolge geringer wirtschaftlicher Zuwachsrate unmöglich einlösen kann; die Bürokratie bringt er durch lästige Korruptionskontrollen und Minderbezahlung, die Armee durch leichtsinnige militärische Abenteuer gegen sich auf.

Geblieben ist die Anhänglichkeit des Bodensatzes der Gesellschaft. Das Heer der Arbeitsscheuen, das tatenlos auf den Straßen herumzulungern pflegt, von der Bettelei lebt (die amtlicherseits als verboten und abgeschafft gilt) und die beste Informationsquelle der Geheimpolizei ist, hat nur zu gewinnen und gibt sich willig zu Demonstrationen her. Wer von 3 Piastern täglich letot, läßt sich gern auf Lastwagen verfrachten und vor der Nationalversammlung Sprechchöre brüllen heißen.

Das Regime — darüber ließ alter und neuer Präsident Abdel Nasser in seiner Dankrede zur (einstimmig beschlossenen) Kandidatur keinen Zweifel — betrachtet organisierte Massenaufmärsche ekstatische Tänze auf der Straße und sinnlose Blut-spenderei als Alibi, gewagte innerpolitische Experimente und mörderische außenpolitische Amokläufe, koste es, was es wolle, fortzusetzen. Ob die aus allen Himmelsrichtungen herbeigekarrten etlichen Tausend Demonstranten repräsentierten, was in westlichen Ländern oder auch nur im Ostblock als „Volkswille“ gilt, ist fraglich.

Es blieb für diesm.ai.bei halbwegs geordneten Demonstrationen, niemandem wurde ein Haar gekrümmt. Niemand wagt indes, vorauszusagen, was geschehen wird, sofern im Frühjahr Versorgungskrise und Wirtschaftslage ihren Tiefpunkt erreichen. Die Devisenkassen sind leer. Nachprüfbare Angaben über die Staatseinnahmen existieren nicht. Um wenigstens die dringendsten Auslandsschulden zu tilgen und das Kreditklima in westlichen Ländern zu verbessern, wurde zum Jahresende ein Teil der Goldreserven verkauft, die dadurch auf etwa 45 Millionen L. E. absanken. Silberne Piastermüntzen verschwinden aus dem Verkehr und werden eingeschmolzen. Die Vereinigten Staaten haben einen 35-Millionen-Doilar-Notkredit abgelehnt und wollen die im Frühjahr auslaufende Lebensmittelhilfe, die Lieferungen im Wert von über 400 Millionen Dollar enthielt, nicht verlängern. Die Sowjetunion versicherte zwar — durch den Mund ihres stellvertretenden Ministerpräsidenten Scheljepin, der kürzlich in Kairo weilte — sie stehe unbeirrt an der Seite Ägyptens. Moskau ist aber offensichtlich nicht willens oder fähig, über die schon sehr weitgehenden Zusicherungen Chruschtschows hinausgehende Kredite zu gewähren. Einzige realisierbare Hoffnung sind die Kredite, die Abdel Nasser bei seinem bevorstehenden Besuch in Bonn erhalten dürfte und für die er wohl oder übel die arabische Zustimmung zur deutschen Anerkennung Israels verkaufen muß...

Besonnene Ägypter meinen, es sei gefährlich, den Pöbel zu mobilisieren. „Erinnern Sie sich?“, fragen sie, „mit dem — amtlich provozierten — Sturm auf das“,Shepheards Hotel' begann, 1952, der Sturz Faruks!“ In Kairo wird denn auch zum erstenmail leise an der Fortdauer des bislang so stabilen nasseristischen Regimes gezweifelt.

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