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Vor großen Entscheidungen am Nil

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„George“ wird er von Teheran bis Kairo gerufen, mag sein Negername wie immer sein, und ist der Typ des nubischen Negers in weißem Kaftan, roter Schärpe, mit rotem Fez und weißen Handschuhen, der in allen englischen und Kolonialhäusern und in allen „Palace-Hotels“ des Nahen Ostens geräuschlos serviert und die Türe, die Kinder und die Flunde hütet. „Georges“ Vater wandelte vielleicht noch mit oder ohne Lendenschurz durch die glühende Sahara oder die Urwälder des oberen Sudans, ließ sich durch die scheußlichsten Tätowierungen verunstalten, gehörte zu der fanatischen Gefolgschaft eines Mahdi, wie sie periodisch im Sudan aufstanden und das Land in Feuer und Blut tränkten, im Frieden aber als „kindisch und faul, unzuverlässig und feige“ bezeichnet wurden. Noch leben sie am oberen Weißen und Blauen Nil in primitivster Art dahin, die stattlichen Bantu-neger, die kleinen Sudanesen, die Silluk und Dinka, Nuer-, Bari- und Donkalineger, ein Gemisch von semitischen und hamitischen Völkern, aber in staunenswert raschem Fortschritte haben die britische Verwaltung und Christenmissionen — darunter zwei berühmte österreichische — die letzte Generation zivilisiert und nicht nur den „George“ hervorgebracht, sondern auch die Sudanstudenten, die gelegentlich im Gordon-Memorial-College von Kartum Sympathiestreiks für die Vereinigung mit Ägypten veranstalten. Es ist das Schicksal der Zivilisatoren, daß sich die erweckte Seele zunächst gegen sie wendet, aber die stete Arbeit der britischen Gouverneure, wie Lord Cromer, Lord Kitchener, Sir Reginald Wingate, in diesem Lande, das fast so groß ist wie Mitteleuropa, kann keine deutlichere Anerkennung finden als die Behauptung der Sudannationalisten, daß sie nun für die Selbstbestimmung reif seien.

Darunter verstehen sie den Anschluß an Ägypten. In Kairo beginnen eben die Verhandlungen zur Revision des anglo-ägyp-tischen Vertrages von 1936, deren beide Hauptpunkte die Räumung Ägyptens und des Sudans von den britischen Truppen und

die Auflösung des anglo-ägyptischen Kondominiums über den Sudan

sein sollen. Die zweite Frage ist sicher die

weitaus heiklere. An ihr scheiterten schon vor 20 Jahren anglo-ägyptische Verhandlungen, an ihr konnte auch Nahas Pascha im Jahre 1936 nichts ändern. Es gibt im Sudan noch eine starke Partei, welche die Frage für verfrüht erklärt, die Verdienste der britischen Verwaltung voll anerkennt und von einstiger ägyptischer Mißwirtschaft und Sklavenfängerei her eine Abneigung gegen Kairo pflegt. Die Ägypter von heute trifft ein solcher Vorwurf freilich nicht mehr. Die Geschichte hat die beiden Länder oftmals zusammengeschmolzen, und die Epoche der nubischen Pharaonen, die Ägypten erobert hatten, war eine der glorreichsten. Die fanatischen Moslim-heere des Mahdi standen unter arabischer Führung, bestanden aber zum“ großen Teile aus Sudannegern. Die Ägypter beklagen sich ferner, daß die im Vertrage von 1936 zugesagte Parität in der Sudanverwaltung in Wirklichkeit nicht eingehalten worden sei, und berufen sich auf ihre wirksame, von den Engländern immer anerkannte Mithilfe im Kriege. Historische und nationale, religiöse und wirtschaftliche Gemeinsamkeiten schlagen heute die Brücke, welche die beiden Länder vereinigen soll.

Dies anerkennend, hat daher der britische Außenminister B e v i n im Unterhause erklärt:

„Die britische Regierung wartet darauf, wann die Sudanesen imstande sein werden, ihre politische Zukunft selbst zu bestimmen. Es ist nicht die Absicht der britischen Regierung, ihre Entscheidung irgendwie zu beeinflussen.“

Als Voraussetzung für diese politische Reife nannte er: Sicherung einer stabilen Verwaltung, Einsetzung von Selbstverwaltungen, Einführung“ von Südanesenx in höhere Verwaltungsposten. Die britische Regierung unterstütze die Sudanregierung bei diesen Vorbereitungen. Inzwischen solle aber kein Wechsel im Status eintreten, bevor nicht die Sudanesen auf verfassungsmäßigem Wege befragt worden seien.

Um das Nilwasser

Von entscheidender Bedeutung ist aber für die Ägypter die Sorge um das Nilwasser. Ägyptens Leben steht und fällt mit der jährlichen Überflutung und Befruchtung durch den Nil. Von den 5700 km Flußlänge besitzt Ägypten nur 1500 km. Daraus erklärt sich sein Bestreben, sein

Niltal über Wadi Haifa hinaus nach Süden zu erstrecken, um die Flußregulierung zu sichern. Wiederholt haben abessinische Pläne zur Nilregulierung Ägypten in Bestürzung versetzt, 1924 hat General Allenby einmal als Generalgouverneur sogar mit dem Entzüge des Nilwassers gedroht, und 1935 hat die Besetzung Abessiniens durch Italien diese Gefahr noch deutlicher vor Augen geführt.

Von den 994.000 qkm ägyptischen Landes sind nur 35.000 qkm bebaut, nur das Niltal, von dessen Fruchtbarkeit das Leben von 16 Millionen Ägyptern abhängt. Im S u d a n leben auf 2,600.000 qkm nur gegen sechs Millionen, 1910 schätzte man sie nur auf 1,800.000 Menschen — sosehr war der Sudan damals noch terra incognita — und die Ägypter wünschen daher den Anschluß auch, um ihrem Bevölkerungsüberschuß einen Abfluß zu schaffen. An erster Stelle aber steht die Ausdehnung des Besitzrechtes am Strome. Weshalb ihnen englische Stimmen vorläufig einen „N i 1 v e r t r a g“ anbieten, der die Bewässerung Ägyptens auf internationaler Basis sichern würde.

Eine gewisse Rolle würde beim Anschluß auch die soziale Frage spielen. Es ist bekannt, daß der Lebensstandard des ägyptischen Fellah bisher tiefer war als der in den meisten anderen arabischen Ländern des NJahostens, aber immer noch weit höher als der im Sudan. Noch im Kriege hat, sobald die günstige finanzielle Entwicklung Spielraum bot, König Faruk eine moderne, großangelegte Aktion für die soziale Hebung des Fellah unternommen, um den ägyptischen Bauern Menschenrechte zu verschaffen. Ägypten war eines der ersten Länder, die das Sozialprogramm Lord Beaver-brooks in Beratung gezogen haben. Wenn diese Aufgabe in Ägypten ganz riesengroß ist, die Einbeziehung des Sudans würde sie wohl fast aussichtslos belasten.

Die Räumungsfrage Die zweite Hauptfrage der Verhandlungen wird die der Räumung Ägyptens — und des Sudans — von britischen Truppen sein. Hier ergibt sicfT eine sonderbare Parallele:

1919: Nach dem Weltkriege war Ägypten von fieberhaften Unruhen erschüttert, als Z a g 1 u 1 -Pascha zusammen mit dem heutigen Ministerpräsidenten Sidky-Pascha an der Spitze einer neuen nationalen Bewegung nach der Befreiung von der türkischen Souveränität die volle Unabhängigkeit erkämpfen wollte. Zaglul-Pascha mußte damals in die Verbannung gehen, kam aber nach einigen Jahren nach dem Siege des Wafd, der heute von N a h a s -Pascha geführten Nationalpartei, im Triumphe zurück. Ägypten war ein britisches Protektorat geworden.

1936: In dem von Nahas-Pascha in London geschaffenen Unabhängigkeitsvertrage reifte die Frucht, aber auch der Wafd mußte dabei eine Einschränkung zugestehen: die Engländer durften eine Besatzung von 10.000 Mann und 400 RAF-Piloten samt dazugehörigem Bodenpersonal zum Schutze des Suezkanals beibehalten. Der Sudan bleibt Kondominium.

1946: Nach dem zweiten Weltkriege dieselben Unruhen, dieselbe Entwicklung. Regierung und Parlament in Kairo forderten die volle Unabhängigkeit, die vollständige Räumung, den Anschluß des Sudans. In Alexandrien schlagen die Flammen der Revolte hoch empor und finden in Kairo und anderen Städten ihren Widerschein. 20 Tote und Hunderte .von Verwundeten. Der 3. März, der zum Gedenken der Opfer der Unruhen vom 3. Februar zum „Tage der Märtyrer“ erklärt worden war, wurde zum Höhepunkte der Kämpfe. N o k r a s i-Pascha tritt zurück. Auch seine Regierung hatte die durchschnittliche Lebensdauer der letzten ägyptischen Regierungen von einem Jahre nicht überschritten. Sein Vorgänger Ahmed Mäher -Pascha hatte den Widerstand gegen den nationalen Radikalismus mit dem Leben bezahlt und war ermordet worden. Von einem Protestschritte der britischen Borschaft bedrängt, wandte sich König Faruk nun an den 71jähr;gen Ismael Sidky-Pascha, den „starken Mann“, der, keiner Partei zugehörig, seit 1921 wiederholt Regierungschef gewesen war und als einer der hesten Finanzkenner des Landes gilt. Auch diesmal behält er sich neben dem Präsidium das Innere und die Finanzen vor.

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