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Karl May aus Osterreich

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Wer hat als Knabe nicht mit Begeisterung die drei Bände „Aus dem Land des Mahdi“ von Karl May gelesen? Natürlich war der sächsische Volksschullehrer niemals im Sudan gewesen, aber seine Phantasie hatte ausgereicht, um auch hier eine überaus plastische Schilderung dieses merkwürdigen mohammedanischen Reiches zu geben, das sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Mittelafrika gebildet hatte. Aber ein geborener Österreicher erlebte um diese Zeit wirklich dieses Reich und spielte hiebei eine Rolle, die zu erfinden weit über die Grenzen jeder Phantasie hinausgehen würde. Dieser Österreicher war Rudolf Sla-tin, der am Ende seines Lebens den englischen Sir-Titel trug und ebenfalls den Titel eines österreichischen Barons, der wirklicher k. u. k. Geheimer Rat war, in der ägyptischen Armee den Rang eines Generalleutnants und in der britischen eines Generalmajors und im Sudan die Stellung eines Generalinspektors bekleidete und den Königin Viktoria von Großbritannien sowie König Eduard VII. zu ihren Vertrauten zählten.

Rudolf Slatins Eltern stammten, wie es sich für einen echten Wiener gehört, natürlich aus Böhmen. Sie waren Juden, die aber keine große Beziehung zu ihrer Religion gehabt haben müssen, denn sie gaben bald ihre väterliche Religion auf und traten aus Utilitätsgründen zur katholischen Kirche über. Der Vater Rudolfs war in Wien in der Textil-branche tätig. Nach Absolvierung der Handelschule und des Einjährigenjahres ging der junge Rudolf nach Kairo, um dort tätig zu sein. Und hier beginnt nun die sagenhafte Karriere dieses Österreichers. In Kairo lebte damals der britische General Gordon, der von der ägyptischen Regierung den Auftrag erhalten hatte, den Sudan,der damals schon wie heute ein brodelndes Gebiet war, zu paziflzie-ren. Wer immer sich ihm anbot, den kaperte dieser britische General und schickte ihn auf irgendeinen Posten in dieses Gebiet. Auch der junge Slatin wurde von dem britischen General in ägyptischen Diensten engagiert und mit ganz jungen Jahren zum Gouverneur von Darfur im Westsudan gemacht. Kaum war er in seinem neuen Wirkungskreis, brach der Aufstand des Mahdi aus, eines Mannes, der sich zum Nachfolger des Propheten Mohammed proklamierte und eine ungeheuer fanatische muselmanische Gefolgschaft um sich scharen konnte, mit der er bald den ganzen Sudan erobert hatte. Um den mohammedanischen Gegnern jeden Vorwurf zu nehmen, trat Slatin zum Mohammedanismus über. Aber es nützte ihm nicht viel, und bald mußte er mit seinen Truppen vor der Ubermacht des Mahdi kapitulieren. Elf lange Jahre verbrachte er in der Gefangenschaft des Mahdi und dessen Nachfolgers, des Khalifa. Elf Jahre, von denen er die ersten an 15 Meter lange Ketten gefesselt verbringen mußte. Während der Gefangenschaft brachte man ihm einmal das blutige Haupt des Generals Gordon, der den Leuten des Mahdi in die Hände gefallen war. In den späteren Jahren lockerte sich etwas die Haft, was Slatin die Möglichkeit gab, Land und Leute des Sudan gut kennenzulernen. Und damit wurde er für den britischen Geheimdienst interessant. Denn Großbritannien, vor allen anderen auch Königin Viktoria, hatten es nie aufgegeben, diesen Sudan einmal zu pazifizieren und die Niederlagen, die der Mahdi den ägyptisch-britischen Truppen beigebracht hatte, wieder wettzumachen. Der britische Geheimdienst lotste Slatin schließlich aus der Gefangenschaft heraus.

Nach einer wochenlangen Flucht kam Slatin in Kairo an. Er wurde sofort der Berater nicht nur des britischen Geheimdienstes, sondern auch des neuen britischen Generals Kitchener, der die Aufgabe hatte, den Sudan zu erobern und diesem schauerlichen Reich des Mahdi ein Ende zu bereiten. Stufe um Stufe kletterte nun Slatin empor. Die ganze Welt sprach von seiner Gefangenschaft und von seinen Abenteuern. Königin Viktoria persönlich interessierte sich für sein Schicksal, und oft lud sie ihn zu sich nach England ein und ließ sich durch ihn auch Berichte über den Feldzug der ägyptisch-britischen Truppen senden. Orden um Orden reihte sich auf der Brust des Gefeierten. Schließlich wurde er Generalleutnant der ägyptischen Armee, Generalmajor der britischen, britischer Sir, der nicht nur bei Hof aus und ein ging, sondern auch Mitglied des nobelsten britischen Klubs wurde. Auch Kaiser Franz Joseph konnte nicht umhin, diesen kleinen k. u. k. Reserveleutnant, dessen Bruder übrigens im Hofdienst Sektionschef wurde, seine Gunst zu erweisen, und verlieh ihm und seinem Bruder die österreichische Baronie. Es muß ein ungeheures Gefühl für diesen Sohn aus einer kleinen, ehemals jüdischen Färberfamilie gewesen sein, wenn er nun plötzlich bei Potentaten aus und ein gehen konnte und alle Welt von ihm sprach.

1914, knapp vor Ausbruch des Weltkrieges, heiratete er, schon siebenundfünf zigjährig, in Österreich.Er kehrte nicht nach England zurück, sondern meldete sich zur österreichischen Armee. Dies war eigentlich selbstverständlich für einen k. u. k. Reserveoffizier. Daß er zu Beginn des Krieges einige Fleißaufgaben gegenüber seinen ehemaligen britischen Freunden begehen wollte, war vielleicht weniger schön. Aber damals schrieben sogar Thomas Mann und Karl Kraus begeisterte Artikel für den Krieg. Doch Slatin, der soviel Ruhm als britischer Offizier ernten konnte, war es verwehrt, als k. u. k. Offizier ebensoviel Ruhm zu ernten. Er bekam „nur“ eine hohe Aufgabe für das Rote Kreuz, wodurch er viel ins Ausland reisen mußte, was ihm gegen Ende des Krieges die Möglichkeit gab, die Friedensaktionen Kaiser Karls zu unterstützen und vor allen Dingen auch mit seinen alten britischen Freunden wieder Kontakt aufzunehmen. Nach dem Umsturz von 1918 wurde er von der neuen österreichischen Regierung zum Mitglied der Friedenskommission bestellt und konnte hier sicherlich durch seine alten Verbindungen viel Gutes für das verhungerte Österreich erwirken, besonders durch Freigabe von Lebensmittel- und Kohlensendungen. Allerdings Großbritannien, seine zweite Heimat, grollte ihm wegen seiner Rolle, die er zu Anfang des Krieges gespielt hatte. Und es mußten einige Jahre vergehen, bis es den Fürsprachen seiner alten Freunde gelang, daß ihm England wieder die britischen Orden anzulegen erlaubte und er auch wieder bei Hof empfangen werden konnte. Die britische Staatsbürgerschaff allerdings, die er jetzt erstrebte, erhielt er nicht, wohl aber alle seine Bezüge, die während des Krieges eingefroren in Kairo lagen. 1932 starb dieser merkwürdige und geniale Abenteurer in Wien. Im Friedhof zu Ober-St.-Veit wurde er begraben.

Die Geschichte dieses Mannes konnte natürlich nur jemand schreiben, der sowohl die österreichische wie auch die britische Welt kennt. Glücklicherweise gibt es diesen Mann. Es ist der britische Historiker und Journalist Gordon Brook-Shepherd, der 1945 als Oberstleutnant im Stabe des britischen Hochkommissars nach Wien kam und von 1948 bis 1960 Korrespondent des „Daily-Telegraph“ in Wien war. Er ist ein perfekter Kenner der deutschen Sprache und der österreichischen Welt, was seine Bücher über Dollfuß, den Anschluß sowie über Kaiser Karl und Kaiserin Zita schon genügend bewiesen haben. Zum Unterschied von seinem Kollegen Wickham Steed, der ebenfalls die österreichische Welt kannte, aber sie haßte und mithalf, die Donaumonarchie zu zerstören, ist Shepherd endlich ein britischer Journalist und Historiker, der die österreichische Welt nicht nur kennt, sondern auch versteht und positiv bewertet. Sein Buch über Slatin ist neuerlich ein lebendiger Beweis dafür, wofür ihm Österreich besonders dankbar sein muß.

SLATIN PASCHA. Ein abenteuerliches Leben. Von Gordon Brook-Shepherd. Verlag Fritz Molden, Wien. 348 Seiten, 14 Abbildungen.

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