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Nassers letztes Aufgebot?

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Blut floß, Arbeiter, Studenten, Schulkinder, Hauswächter, Auto-bewacher, Eckensteher und Bettler demonstrierten, und Ausländer mieden die Straßen, ehe die ägyptische Nationalversammlung jetzt den ohnehin nie zweifelhaften einzigen Kandidaten für die dritte Präsidentenwahl“ seit dem Staatsstreich, 1952, nominierte: Gamal Abdel Nasser. Kairo war stundenlang ein Hexenkessel. Die „Arabische Sozialistische Union“, Ende 1962 dekretierte Einheitspartei, durfte endlich ihr Debüt als Massenclaque des Mannes feiern, der seit mehr als einem Jahr-zwölft Ägypten regiert: Gamal Abdel Nasser.

Zehn Tage vor der Nominierungs-sitzung hatte der schon zweimal ple-biszitär bestätigte Präsident an Parlamentssprecher und einstigen Mitkämpfer Anwar es-Sadat geschrieben, die Nationalversamiihlung müsse über seine im Frühjahr fällige Nachfolge entscheiden. Der Diktator, der das Niltal genau so unumschränkt beherrscht wie 5000 Jahre früher die Pharaonen und dessen Amtsbestätigung sicher war, mimte Resignation. Auf diese Weise bestärkte er Gerüchte, die schon seit verflossenem Herbst kursieren: Er wolle zurücktreten, sich nur noch der Parteiarbeit widmen. Sein engster Freund und Revolutionsgenosse, Erster Vizepräsident Feldmarschall Abdel Hafcim Amer, solle ihn ablösen.

Abgesehen davon, daß in Kairo niemand glaubt, der Oberbefehlshaber — der als gutmütig und haschischfreudig gilt — könne sich als Staatschef lange behaupten, wurden die Rücktrittsgerüchte auch aus anderen Gründen kaum ernstgenommen. Abdel Nasser feierte vor wenigen Tagen erst seinen 47. Geburtstag. Von der Zuckerkrankheit, die ihm zeitweilig zu schaffen gemacht haben soll, ist wenig zu spüren. Er scheint gesund zu sein und arbeitet, wie aus seiner Umgebung verlautet, schon jahrelang ununterbrochen täglich 16 Stunden. Allein das Audienz-programim für ausländische Besucher, das die staatliche Presse minutiös genau veröffentlicht, beansprucht ungeheure Zeit und Kraft. Seine Machtstellung ist äußerlich immer noch unangetastet, obwohl ihm das Glück in den letzten zwei Jahren nicht mehr so hold war wie in den zehn vorher.

Hakim Amer hingegen besitzt trotz gewisser Beliebtheit nur geringes Prestige. In neun Jahren mußte er, der nach dem Staatsstreich vom Subalternaffizier zum Armeechef aufstieg, drei vernichtende militärische Niederlagen hinnehmen: 1956 liefen seine Soldaten scharenweise vor den israelischen, britischen und französischen Truppen davon, und die Schlacht von Port Said kennzeichnete das Ende vom Mythos der „stärksten Armee des Mittleren Ostens“, obwohl sie seither groteskerweise als Sieg gefeiert wird. 1961 ergriffen ihn die anschdußmüden Syrer in Damaskus im Schlafanzug und jagten ihn zurück nach Kairo. 1964 mußte er nach zweijährigem, opferreichem und kostspieligem Krieg in Jemen durch Verhandlungen mit Saudiarabien und Royalisten eingestehen, daß 'schlecht bewaffnete Stammeskrieger von 42.000 modern ausgebildeten und mit Sowjetwaffen ausgerüsteten Soldaten nicht zu besiegen waren.

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