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Sorgen am Nil

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Es-Sadat, der sich in Kürze auf eine Rundreise in die arabischen Staaten Nordafrikas, einschließlich Tunesiens, begeben wird, befindet sich offenkundig in schwerwiegenden innerpolitischen Schwierigkeiten. Gewöhnlich gut informierte und ihm durchaus nicht feindlich gesinnte Kreise rechnen kaum damit, daß er sich noch lange an der Macht halten kann. Er versuche gegenwärtig alles, um sich von dem Makel zu befreien, er sei einer der bedingungslosesten Gefolgsleute des toten „Rais“ gewesen. Die Berufung des Technokraten Dr. Asis Sidki zum Prmierminister hat sich als Schlag ins Wasser erwiesen; die Bevölkerung ist nicht bereit, das Austerity-Programm hinzunehmen. Der Präsident ist daher gegenwärtig auf der Suche nach einem Ministerpräsidenten. Seine Favoriten sind dabei der frühere Premier Machmut Fausi und der ehemalige Außenminister Machmut Riad. Beide gelten heute als seine, neben „El-Achram“-Chefredakteur Mohammed Hassanein Heikai, einflußreichsten persönlichen Berater. Doch der über 70jährige Fausi will nicht noch einmal die schwere Bürde des Ministerpräsidentenamtes auf sich nehmen. Und er sowohl wie Riad gelten als Hauptexponenten des Nasserismus. Das diskreditiert sie in den Augen der Bevölkerung von vornherein.

Verrat an Nasser?

Ägypten erlebt gegenwärtig, wie arabische Beobachter etwas wehmütig und etwas schadenfroh konstatieren, eine verspätete „Götterdämmerung des Nasserismus“. Immer mehr Menschen äußern sich offen und hart gegen den toten „Rais“, und die Vorwürfe gegen Abdel Nasser und seine

Gefolgsleute sind Legion. Das ist in erster Linie der Preis der dem Land von Präsident Es-Sadat geschenkten größeren Meinungsfreiheit. Doch die Politik des Staatschefs wendet sich jetzt gegen ihn selbst. Die Menschen wollen keinen neuen Premier, keine neuen Minister, die doch nur die alten sind. Sie wollen jüngere Kräfte, die mit der nasseristischen Clique nichts zu tun hatten. Sie wollen auch keinen Präsidenten, der zu Lebzeiten des „Rais“ als dessen bedingungsloser Gefolgsmann galt, der zu allem ja und amen sagte und sich nur deshalb bis zuletzt in der höchsten Führungsspitze halten konnte.

Die Ägypter tun Es-Sadat damit zweifellos unrecht. Daß man sich am Nil heute beinahe so frei bewegen und so frei politisch äußern kann wie in einer Demokratie, verdanken wir vor allem dem gegenwärtigen Staatschef. Hieße der Ali Sabri, hätten sie heute eine faschistisch-kommunistische Diktatur, die womöglich schlimmer wäre als die Abdel Nassers. Doch erstaunlicherweise wirft man dem inhaftierten Sabri keineswegs vor, daß er immer „Sabrist“ war, wohl aber dem Präsidenten, daß er so lange als überzeugter Nasserist galt.

Es-Sadat ist sich offenbar über die für ihn gefährliche Stimmung in der Bevölkerung klar. Um sie zu dämpfen, greift er wieder einmal zum probaten Mittel aller autoritären Staatsführungen. Er erfindet außenpolitische Spannungen, ja sogar Kriegsgefahr, und setzt die Armee in Alarmbereitschaft. Der äußere Feind soll dazu herhalten, die Energie der inneren abzulenken. Kairoer Kenner der Verhältnisse bezweifeln jedoch, ob dieser Trick gelingt. Am Nil steht ein Machtwechsel vor der Tür.

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