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Das Militär als Krücke

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Bis zur Mitte letzter Woche bestimmten rebellierende Studenten der drei Kairoer Universitäten weiterhin das Straßenbild und die politische Atmosphäre der ägyptischen Hauptstadt. Die Angaben über die Verhaftungen gingen weit auseinander. Während die Sicherheitsorgane von etwa tausend Festgenommenen sprechen, die bis auf siebzig bereits wieder freigelassen worden seien, zählen die Studenten fünfzehnhundert vorläufige und rund achthundert endgültige Verhaftungen.

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Bis zur Mitte letzter Woche bestimmten rebellierende Studenten der drei Kairoer Universitäten weiterhin das Straßenbild und die politische Atmosphäre der ägyptischen Hauptstadt. Die Angaben über die Verhaftungen gingen weit auseinander. Während die Sicherheitsorgane von etwa tausend Festgenommenen sprechen, die bis auf siebzig bereits wieder freigelassen worden seien, zählen die Studenten fünfzehnhundert vorläufige und rund achthundert endgültige Verhaftungen.

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Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen schweigen, obwohl sich die bei den staatlich gelenkten Massenmedien beschäftigten Journalisten mit den Studenten solidarisch erklärten und in einer Resolution ihres Berufssyndikates die Abschaffung der Zensur verlangten, völlig zu den Zwischenfällen. Die Studenten klären nunmehr die sich bis jetzt passiv verhaltende Zivilbevölkerung durch die Verteilung hektographier-ter Flugblätter in den Straßen der Stadt auf, was von den Sicherheitsbehörden geduldet wurde.

Präsident Mohammed Anwar Es-Sadat und seine von Premierminister Dr. Asis Sidki geleitete neue Regierung scheinen die Situation als ernst einzuschätzen. Innenminister Mahmud Salim erließ vorerst ein striktes Demonstrationsverbot für das ganze Land, das, wie sich zeigte, von den Studenten jedoch ignoriert wurde. Kenner der Verhältnisse sehen darin ein ernstes Anzeichen für den Autoritätsverfall des Regimes. Einem Regierungssprecher zufolge machten die Sicherheitsbehörden inzwischen „nichtstudentische Elemente“ unter den Demonstrierenden aus, „die die Studentenunruhen zur Durchsetzung ihrer eigenen staatsfeindlichen Ziele auszunutzen suchen“. Gemeint sind damit zweifelsohne Anhänger des wegen Linksabweichung gestürzten Ex-vi/.epräsidenten Ali Sabri.

In Beirut und anderen arabischen Städten wirkten Nachrichten über einen gegenüber der ägyptischen Bevölkerung geheimgehaltenen

Blitzbesuch Präsident Es-Sadats bei den Fronttruppen am Suezkanal hingegen als die eigentliche Sensation. Nachdem Kriegsminister Mohammed Achmed Es-Sadik und Generalstabschef Esch-Schasli erst am vorletzten Wochenende die Kanalfront inspiziert und die Stimmung des Offizierskorps zu testen versucht hatten, wertet man in der libanesischen Hauptstadt, die als wichtigste Nachrichtenbörse des Vorderen Orients gilt, die Nachricht über die Geheimreise Es-Sadats als Symptom für eine gefährliche institutionelle Schwäche seines Regimes. Der Staatschef wende sich damit bereits zum zweitenmal in seiner Amtszeit hilfesuchend an die Streitkräfte. Letztes Jahr habe er nur mit stillschweigender Duldung des Offizierskorps mit seinen innerpolitischen Gegenspielern auf der Linken fertig werden können, nachdem diese eigentlich bereits seine verfassungsmäßige Absetzung beschlossen hatten. Falls er jetzt glaube, wieder nur mit Hilfe der Armee mit seinen studentischen Kritikern fertig werden zu können, beschleunige er den Politisierungsprozeß unter den Offizieren, der schon vor rund vier Jahren durch die Massendienstverpflichtung rebellischer Studenten in die drei Waffengattungen eingeleitet worden sei. Der Zeitpunkt sei vorauszusehen, an dem Sadat keine Entscheidung mehr ohne Konsultation der Militärs treffen könne. Das müsse sich vor allem auf seine Bemühungen um eine diplomatische Lösung des Nahostkonfliktes auswirken.

Die Studentenforderungen verlagern sich unterdessen vom Verlangen nach „sofortigem Losschlagen gegen Israel“ immer akzentuierter auf allgemeine politische Ziele. Auf Flugblättern wurde festgestellt, der Präsident sage nicht die Wahrheit, und man verlange Wahrhaftigkeit, Sauberkeit, Anständigkeit und größere Gerechtigkeit im öffentlichen Leben und in der Politik. Auch der Staatschef selbst machte diese Forderungen schon mehrfach öffentlich zu seinen eigenen Zielen. Sie anzustreben, ist für ihn jedoch ein langfristiger, kontrollierter, vorsichtiger Prozeß, der sein Regime nicht gefährden darf. Die Studenten aber wollen, wie übrigens auch die Journalisten, sofortige Freiheit.

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