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So säuberte Sadat

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In Kairo verhandelt Sowjetstaatschef Nikolai Podgorny, ohne eingeladen worden zu sein, mit dem (vorläufigen) Sieger des Machtkampfes, Präsident Anwar Es-Sadat. Der Kreml ist offenkundig besorgt über die Kräfteverschiebung in Ägypten. Aus Angst um Einfluß und Milliardeninvestitionen scheint er seine Parteigänger fallengelassen zu haben und setzt auf den „neuen Mann“. Die noch vor einem Monat unvermeidlich scheinende weitere Zunahme des sowjetischen Einflusses am, Nil ist vorläufig abgestoppt. Der Moskauer Versuch, im Staat Gamal Abdel Nassers die einstige Protektorenrolle der Engländer zu übernehmen, scheiterte an der antikolonialistischen Grundstimmung der Erben des „Rais“ ebenso wie an der instinktiven Abneigung der ägyptischen Bevölkerung gegen die Russen. Bis jetzt gibt es nur lückenhafte Informationen über den Kairoer „Staatsstreich von oben“. Sowjetbotschafter Wino- gradow, der nach dem Tod Nassers ebenso herausfordernd auftrat wie 80 Jahre früher Lard Cromer, und hohen ägyptischen Funktionären in aller Öffentlichkeit Befehle zu erteilen pflegte, scheint ebenso überrascht worden zu sein wie die Öffentlichkeit. Das „Protokoll“ des Machtkampfes, soweit bisher bekannt oder rekonstruierbar, ergibt etwa folgenden Hergang:

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In Kairo verhandelt Sowjetstaatschef Nikolai Podgorny, ohne eingeladen worden zu sein, mit dem (vorläufigen) Sieger des Machtkampfes, Präsident Anwar Es-Sadat. Der Kreml ist offenkundig besorgt über die Kräfteverschiebung in Ägypten. Aus Angst um Einfluß und Milliardeninvestitionen scheint er seine Parteigänger fallengelassen zu haben und setzt auf den „neuen Mann“. Die noch vor einem Monat unvermeidlich scheinende weitere Zunahme des sowjetischen Einflusses am, Nil ist vorläufig abgestoppt. Der Moskauer Versuch, im Staat Gamal Abdel Nassers die einstige Protektorenrolle der Engländer zu übernehmen, scheiterte an der antikolonialistischen Grundstimmung der Erben des „Rais“ ebenso wie an der instinktiven Abneigung der ägyptischen Bevölkerung gegen die Russen. Bis jetzt gibt es nur lückenhafte Informationen über den Kairoer „Staatsstreich von oben“. Sowjetbotschafter Wino- gradow, der nach dem Tod Nassers ebenso herausfordernd auftrat wie 80 Jahre früher Lard Cromer, und hohen ägyptischen Funktionären in aller Öffentlichkeit Befehle zu erteilen pflegte, scheint ebenso überrascht worden zu sein wie die Öffentlichkeit. Das „Protokoll“ des Machtkampfes, soweit bisher bekannt oder rekonstruierbar, ergibt etwa folgenden Hergang:

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Sonntag, 2. Mai: Vizepräsident Ali Sabri hat, nach einem anstrengenden Arbeitstag, gerade seine neue gelbe Luxusvilla betreten; das Telephon läutet. Der Diener reicht dem Hausherrn wortlos den Hörer. „Hier spricht Präsident Es-Sadat. Ich habe Euer Exzellenz mitzuteilen, daß Sie ihres Amtes enthoben sind. Es- Sala’am eleikum.“ Sabri, der schwer herzkrank ist, soll aufgelegt haben, ohne zu antworten, und nach einem Beruhigungsmittel verlangt haben. Ans Volk konnte er sich kaum wenden, obwohl die staatlich gelenkten Massenmedien mit Ausnahme der Tageszeitung „El-Achram“ sich zu dieser Zeit noch in der Gewalt seiner Parteigänger befanden. Der Vizepräsident k’ähnte zu genau’ die Aversion der Massen gegen ihn.““1 1

Montag, 3. Mai: der Exvize mag sich darüber gewundert haben, daß man weder seine Telephonleitung gesperrt, noch ihn unter Hausarrest gestellt hatte. Er wurde von Offizieren, die im Park des Offiziersklubs auf der Nilinsel Zamalek snazieremgin-gen, gesehen, wie er Arm in Anm mit dem sowjetischen Botschafter durch den Garten des Botschaftsgebäudes spazierte.

Dienstag, 4. Mai: Sabri wird der

Zugang zu einer Sitzung des Zentralkomitees der Einheitspartei, ASU, dem er nach wie vor angehört, verweigert. In seiner Villa schweigt das Telephon. Von diesem Augenblick an scheint er sein Grundstück nicht mehr verlassen zu haben.

Mittwoch, 5. Mai: Moskaus Statthalter Winogradow bekommt Wind von der Isolierung Sabris. Er besteigt seine Limousine, um den Verfemten demonstrativ zu besuchen. Doch in der Nähe der Villa der ehemaligen „Grauen Eminenz“ wird sein Diplomatenwagen mit dem Hammer-und-Sichel-Emblem auf der roten Fahne von der Polizei gestoppt: „Durchfahrt verboten.“

Donnerstag, 6. Mai: Innenminister Schäfäüi Gomä’a, „Starker Mann“ im Kabinett des 70jährigen Berufspolitikers Machmut Fausi, Chef der Staatsbürokratie, Geheimdienste und Polizei, fliegt nach Moskau. Die Sorglosigkeit, mit der sich der engste Vertraute des angesetzten Vizepräsidenten von den Schalthebeln der Macht entfernte, ist wahrscheinlich der schlagendste Beweis dafür, daß die Gruppe Sabri weder einen Staatsstreich plante noch der Gegenseite einen zutraute.

Freitag, 7. Mai: Der Präsident empfängt in seinem Privathaus den seit dem Sechtstagekrieg nicht mehr in Erscheinung getretenen früheren Innenminister, Regierungschef und Vizepräsidenten Zakaria Mohieddin und den langjährigen Nasser-Ver- trauten, zeitweiligen Informationsminister und „El-Achram“-Chef- redakteur Mohammed Hassan Ibn HeikaL In diesem Gespräch scheint der Beschluß zur Ausschaltung der Anhänger Ali Sabris gefallen zu sein. Der Expolizeichef, der nach der Revolution von 1952 mit Hilfe ehemaliger Gestapo-„Experten“ eine schlagkräftige Geheimdienstruppe aufgebaut hatte, lieferte dem Prä- „Die Wacht am Nil“ Karikatur: „Al-Ahram“ „identen vermutlich Material für seinen „weißen Staatsstreich“.

Samstag, 8. Maa: Innenminister Goma’a berichtet dem Präsidenten von seinen Gesprächen in Moskau. Es-Sadat ist, wie er später sagt, empört darüber, daß der Polizeichef in die Sowjetunion gereist ist, ohne ihn zu fragen. Es kommt zu keiner Einigung.

Sonntag, 9. Mai: Sowjetbotschafter Winogradow ersucht um eine Audienz beim Staatspräsidenten und übermittelt ihm die Besorgnis seiner Regierung über die Kaltstellung Ali Sabris.

Montag, 10. Mai: Im Kubbeh-Pa- last erscheint ein, wie es hernach in den amtlichen Propagandamedien heißt, „unbekannter junger Offizier“ mit Tonbandaufzeichnungen über geheime Gespräche zwischen einer angeblichen Verschwörergruppe um Ali Sabri. Präsident Es-Sadat sollte, so soll aus diesen Tonbändern hervorgehen, auf dem Weg nach Alexandria ermordet werden; falls der Mordanschlag mißlungen wäre, hätte man ihn vor das ASU-Zentral- komdtee zitieren und wegen seiner Zustimmung zu der Dreierföderation mit Libyen und Syrien, der Kompromißpolitik in der Palästinafrage und den Verhandlungen mit ASU-Staatssekretär Rogers maßregeln und absetzen wollen. Inzwischen wurde bekannt, daß es siph bei dem „unbekannten jungen Offizier“ um einen offensichtlich von Zakaria Mohieddin auserwählten, angeheirateten jungen Verwandten des „Rais“ aus dem Geheimdienst handelte. Dieser Schachzug war der erste geschickte Versuch, Es-Sadat und seine Handlungsweise als Bewahrung des eigentlichen nasseristischen Erbes hinzustöllen.

Dienstag, 11. Mai: Präsident Es-Sadat empfängt noch einmal die führenden Kommandeure der Streitkräfte, an ihrer Spitze Generalstabschef Mohammed Achmed Sadek, mit denen er vorher schon in den Unterständen an der Suezkanal- front verhandelt hatte, zu einem Gespräch. Vermutlich weihte er sie dabei in seine Pläne ein und versicherte sich ihrer Zustimmung.

Mittwoch, 12. Mai: In Kairoer Vororten und in Alexandria tauchen primitive Flugblätter mit Parolen gegen Präsident Es-Sadat auf. In Alexandria kommt es zu einer Amti-Sadat-Demonstration, die von der Polizei sofort aufgelöst wird. Sie war der — vielleicht bestellte — Vorwand zum Losschlagen.

Donnerstag, 13. Mai: Präsident Es-Sadat empfängt im Kubbeh-Pa- last den Sowjetbotschafter und informiert ihn von den bevorstehenden innenpolitischen Veränderungen. Zu dieser Zeit hält Innenminister Goma’a bereits seine Entlassungsurkunde in der Hand und sfeht unter Hausarrest. Der bis dahin über alles, was im Land geschieht, informierte Polizeichef scheint vollständig überrascht worden zu sein und verzichtet auf jede Gegenmaßnahme.

Freitag, 14. Mai: Sämtliche Anhänger Ali Sabris im Kabinett, der Parlamentssprecher, die drei führenden Mitglieder des ASU-Exekuiiv- kamitees, siebzehn Abgeordnete der Nationalversammlung haben ihre Posten verloren, erhalten Hausarrest und werden wenig später in das Gefängnis von Abu Za’aibal eingeliefert. Im ganzen Land beginnt eine Massensäuberung von seit 1952 nicht mehr erlebten Ausmaßen.

Für den behaupteten Staatsstreichversuch der Gruppe Sabri- Goma’a-Albul gibt es nur spärliche Beweise. Dafür ließ sich Es- Sadat bei seinem Vorgehen auch viel zuviel Zeit. Anwar Es-Sadat spielt gegenwärtig in Ägypten jene Rolle, die einst Chruschtschow in der Sowjetunion spielte. Er versucht Gamal Abdel Nassers „Beria“ Goma’a die AlleinschuM für den verhaßten Polizeiterror der verflossenen eineinhalb Jahrzehnte in die Schuhe zu schieben und verspricht dem Volk mehr Freiheit als jemals in seiner an freiheitlichen Perioden nicht gerade reichen Geschichte. Das sichert ihm eine echte Popularität und die Zeit für ein dringend notwendiges politisches und wirtschaftliches Refortmpro- gramm.

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