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Sadats Isolierung ist kritisch, aber nicht unüberwindbar

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Präsident Sadat war keineswegs nur deshalb nach Jerusalem gegangen, weil ihm hier am Nü das Wasser bis zum Hals stand. Sicherlich hatte ihn auch die finanzielle und soziale Not Ägyptens zu diesem gewagten Schritt getrieben. Seit er jedoch den Israelis und ihren Führern von Mensch zu Mensch begegnen durfte, ist dieser Aspekt in den Hintergrund getreten. Dem Politiker Sadat bedeuten Doktrinen wenig, Gesprächspartner und persönliche Verbindungen alles. Sein Nahverhältnis zu Kissinger, Nixon, Ford und Carter, zu Kreisky und Schmidt, hat das Gesicht des nasseri- schen Ägypten verwandelt. Nun ist Menachem Begin sein erklärter Freund, sind die jubelnden Israelis von Tel Aviv und Jerusalem zur großen politischen Liebe geworden. Wer den Menschen Sadat kennt, weiß, daß diese Worte keine Übertreibung, sondern Hoffnung für wahren Frieden im Nahen Osten enthalten.

Davon abgesehen, hat Sadat die Idee direkter Gespräche schon lange mit sich herumgetragen. In seiner engsten Umgebung war bereits vor vier Jahren davon die Rede. Die Politik des ägyptischen Präsidenten wird aber, ebenso yvie von tiefen Emotionen, durch kluge Taktik bestimmt. Sadat verstand es, solange abzuwarten, bis er ohne Gesichtsverlust nach Jerusalem gehen konnte. Im Gegenteil: Er hat selbst seinen Widersachern dabei imponiert. Und aus sich überschlagenden Anfeindungen durch andere arabische Staatschefs spricht nur blanker Neid darüber, daß Sadat, und nicht Gaddafi oder König Chaled als erster in die Aqsa-Mosche einziehen konnte.

Natürlich ist von der ägyptisch-israelischen Annnäherung auch wirtschaftlich viel zu erwarten. So haben Ägypten die besten Investitionsabkommen mit einer Reihe europäischer Staaten und den USA bisher wenig genützt, da einfach kein Vertrauen in gedeihliche Verhältnisse und eine friedliche Zukunft bestand. Auch bilateral machten Ägypter und Israelis schon erste Geschäfte, kaum daß Sadat nach Kairo zurückgekehrt war. Jerusalem dürfte nur die erste Überraschung von vielen anderen sein.

Ägyptens Politiker stehen dabei noch immer kritisch zu der improvi-

sierten, vor allem unkonventionellen Reise. Doch wäre es übertrieben, von einer innenpolitischen Krise zu sprechen. Gerade die verschiedenen Rücktritte im Außenministerium von Kairo dürfen nicht überbewertet werden. Sadats langjähriger Außenminister Ismail Fahmi hatte für seine Demission fast nur persönliche Gründe. Er war es langsam leid, daß Sadat die Außenpolitik selbst machte, aus dem Nahostkuchen allein alle Rosinen naschte und den zuständigen Minister’ nur als Aktenträger einsetzte. Die Einmann-Initiative des Staatschefs Richtung Jerusalem hat Fahmi nur den Rest gegeben. Sadat wird Ägyptens Dyplomatie nun erst recht nicht mehr aus der Hand geben. Es ist daher recht unwichtig, wer als Minister im Außenamt an der Nilbrücke sitzt.

Die restliche Regierungsmannschaft geht mit dem Präsidenten durch dick und dünn. Die Unterstützung durch Ministerpräsident Salem, den Parteichef der ägyptischen Sozialisten, hat sich Sadat zuerst gesichert. Dennoch herrschen bei Abgeordneten, Funktionären und im Parteivolk Unsicherheit, Bestürzung, auch spontane Ablehnung. Die Ägypter wurden von der Friedensreise ihres Landesvaters eben nicht weniger überrascht als vor vier Jahren vom Oktoberkrieg. Und auch damals waren die ersten Reaktionen ganz und gar nicht zuversichtlich.

Offene Genugtuung gibt es bei der sozialliberalen Opposition. Sie war unter ihrem Führer Mustafa Kamai Mu- rad 1976 mit der erklärten Parole „Frieden mit Israel“ in den Wahlkampf gezogen.

Entscheidend ist aber nur die Haltung der Armee. Hier haben es die Generäle wirklich leichter als Diplomaten und Politiker. Sie brauchen sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen, wie viele arabische „Hallsteindoktrinen“ beim Händedruck mit Begin in Scherben gegangen sind. Selbst für die ägyptischen ,.Falken“ um Kriegsminister Gamassi zählen nach Sadats Jerusalemer „Spähtruppaktion“ nur noch Erfolg und Fakten. Und schließlich steht der Präsident heute, nach Jerusalem, am Anfang eines Weges, dem schon 1975 die damals ebenso avantgardistischen Begegnungen von Militärs beider Seiten zwischen Kairo und Suez vorausgegangen waren.

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