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„Das Opfer ist selber schuld“

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Haß frißt sich wie ein Flächenbrand durch Nahost. Die Region, die wir Heiliges Land nennen, gebiert immer neuen, immer schrecklicheren Fanatismus. Ein Mann des Friedens ist ermordet worden. Im Namen der Gerechtigkeit jubeln aftdere über diese fluchwürdige Tat. Stunden nach der Beisetzung Sadats schon soll das Morden weitergegangen sein. Hat diese Menschheit kein Gewissen mehr?

Daß Bundeskanzler Kreisky das Jauchzen seines Freundes Arafat über die Ermordung Sadats zum Anlaß persönlicher Distanzierung nahm, sei ihm respektvoll angerechnet. Anfechtbar bleibt immer noch die im selben Atemzug geäußerte Auffassung des Bundeskanzlers, Sadat sei „bedauerlicherweise das Opfer eigener politischer Fehleinschätzung geworden".

Gemeint ist: Sadat hätte niemals den Alleingang im Friedensschluß mit Israel wagen dürfen! Es ist aber eine AnqjjBßung, dem Friedensstifter im Angesicht des Todes einen solchen Vorwurf anzuhängen. Tatsache bleibt, daß mit dem ägyptisch-israelischen Separatfrieden ein neuer Krieg in Nahost unmöglich gemacht worden ist.

Ohne Ägypten können die Araber einen Angriff nicht wagen. Das allein hat Sadat nobelpreiswürdig gemacht. (Und Begin, dem es an vergleichbarem Großmut fehlt, so klein daneben.)

„Sadat ist an seinem Tod selber schuld": Das ist dieselbe Mentalität, die aus dem skandalösen Hochhuth-Drama „Die Juristen" spricht, wo gleichfalls impliziert wird, Walter Schleyer und Aldo Moro seien an ihrer Ermordung letztlich selber schuld gewesen: Hätten sie nicht diesem verrotteten westlichen System gedient…

Dieses verrottete westliche Sy-, stem läßt solche Stücke nicht nur herstellen (was im Namen der Freiheit mit Nachdruck zu fordern ist), sondern zeichnet sie auch noch aus (was pervers zu werden beginnt): zum Beispiel mit einem katholischen Filmpreis auch den Streifen „Die bleierne Zeit", der im Effekt nicht nur Verständnis für den Terrorisraus weckt, sondern vor allem auch die Gesellschaft verurteilt, die sich davor zu schützen sucht.

Sind wir wirklich schon so weit, daß Idealismus und Gerechtigkeitssinn nur denen angerechnet werden, die's mit den Bombenwerfern halten?

Vielleicht hat die Ermordung Sadats da und dort wieder einige zur Vernunft gebracht. Gewalt bringt niemals Frieden hervor. Die weltanschaulich bunt zusammengewürfelte Viertelmillion der Friedensdemonstranten in Bonn hat (bei allem Vorbehalt gegen ihre Argumentation) diese Probe aufs Exempel jedenfalls bestanden.

Jetzt warten wir mit wachsen-äer Ungeduld auf eine weltweit hörbare Stimme der Vernunft aus dem Lager des Islam.

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