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Ungeachtet der herben amerikanischen Kritik an den Ergebnissen der Rußlandreise des ägyptischen Präsidenten Sadät herrscht in Kairo die Überzeugung vor, daß die Moskauer Abmachungen des Staatschefs der neuen „Arabischen Republik Ägypten“ eine stimulierende Wirkung auf den Fortgang der internationalen Entspannungsbemühungen in der Nahostfrage haben werden.

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Ungeachtet der herben amerikanischen Kritik an den Ergebnissen der Rußlandreise des ägyptischen Präsidenten Sadät herrscht in Kairo die Überzeugung vor, daß die Moskauer Abmachungen des Staatschefs der neuen „Arabischen Republik Ägypten“ eine stimulierende Wirkung auf den Fortgang der internationalen Entspannungsbemühungen in der Nahostfrage haben werden.

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Der Unmut von Außenminister Rogers richtete sich ja in erster Linie gegen jenen Passus des ägyptisch-sowjetischen Verhandlungskommuniques, in dem von der weiteren Konsolidierung der militärischen Macht Ägyptens durch russische Rüstungslieferungen die Rede ist. Nun, zweifellos ist Sadats Kriegsminister General Sadeq nicht nur als Zierfigur mit seinem Präsidenten in der Sowjetunion gewesen, doch liegen Anzeichen dafür vor, daß die vereinbarten Waffenlieferungen nicht überschätzt werden dürfen, wie das in der Vergangenheit so oft geschehen ist. Die jetzt erscheinenden Nasser-Erinnerungen des Al-Ah- ram-Chefredakteurs Heikal liefern hingegen den Beweis dafür, daß Ägypten von Moskau waffenmäßig immer äußerst knapp gehalten wurde, und dieses Thema eine ständige Reibungsfläche zwischen Nasser und den verschiedenen Sowjetbotschaftern in Kairo war.

Auf der anderen Seite hat sich Präsident Sadat vor Volk und Par lament dazu verpflichtet, 1972 die militärischen Operationen gegen Israel — zumindest in kleinerem Rahmen — wieder aufzunehmen, falls es nicht bis Jahresende zu einer Verhandlungslösung kommen sollte. Zwar ist der Präsident an diese Zusage nur. moralisch und bei weitem nicht mehr so strikt gebunden, wie er das im Winter 1970/71 der inzwischen gestürzten Führungsmehrheit der sozialistischen Einheitspartei Ägyptens gegenüber war. Dennoch mußte Sadat schon heute, bald zwei Monate vor Jahresschluß, daran denken, sich für den militärischen Ernstfall abzusichern und gerade mit dieser Drohung den stockenden politischen Lösungsbemühungen einen letzten, aber entscheidenden Impuls zu geben.

So liegen in Kairo auch schon Anzeichen dafür vor, daß die in letzter Zeit wieder verbesserten ägyptischamerikanischen Beziehungen trotz der scharfen Kritik von der Seite Rogers, die dieser einfach dem Image der USA und ihren Verbindlichkeiten Israel gegenüber schuldig war, in keiner Weise unter Sadats Moskau-Reise gelitten haben. Das amerikanische Agieren weckt in den Augen der Ägypter vielmehr den Anschein, als ob Washington im Grund froh wäre, Israel unter dem Hinweis auf die „sowjetische Gefahr“ nun stärker in die Zange nehmen zu können.

Wird die neuerliche Betonung der ägyptisch-sowjetischen Freundschaft der Verbesserung des Verhältnisses der arabischen zur westlichen Führungsnation im Sinne eines nach beiden Seiten offenen Neutralismus also kaum im Wege stehen, so stellt Sadats Vorsprache bei den sowjetischen Führern auch einen Schlußstrich unter die erklärt antirussischen Reaktionen dar, die in der letzten Zeit verschiendenenorts in der arabischen Welt, und speziell im Sudan, zu ver zeichnen waren. Sadat hat diese Äußerungen und Maßnahmen in Moskau schärfstens verurteilt, und nach diesem Machtwort werden sich in Hinkunft alle arabischen Führer hüten, zu laut auf die Pauke des Antisowjetismus zu hauen. Ist es doch auch am allerwenigsten im Interesse einer Entspannung des Nahen Ostens, wenn die alten Gegensätze zwischen „progressiven“ und „reaktionären“ Araberstaaten erneut aufbrechen.

Es ist ferner interessant, daß sowohl der deutsch-sowjetische wie der deutsch-polnische Vertrag trotz der verständlichen Konzentrierung des Moskauer Treffens auf die Palästinafrage im Sadat-Podgorny- Kommunique vorrangig erwähnt und gelobt wurden. Offenkundig hat Ägypten diesmal in Moskau grünes Licht für die Normalisierung seiner seit 1965 abgebrochenen Beziehungen zu Bonn erhalten, so daß sich die deutsche Ostpolitik auch im Nahen Osten bemerkbar gemacht hat.

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