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Arabische Wendung ?

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In Ägypten zieht man aus dem Fernbleiben dor Sowjetunion von der in Genf im früheren Völkerbundspalast erfolgten offiziellen Unterzeichnungszeremonie für die von USA-Außennv nister Henry Kissinger zustandegebrachte Vorstufe eines künftigen Friedensvertrages zwischen Ägypten und Israel eine auch für die Westeuropäer sehr lehrreiche Folgerung: dieser Affront und die wütenden Angriffe der staatlich gelenkten sowjetischen Massenmedien gegen den Sinai-Vertrag entlarvten, wie man in Kairo meint, nur allzu deutlich das wahre Gesicht des Kremls. Wie in der Tschechoslowakei des Prager Frühlings, in der Berlin-Frage und jüngst in Portugal, erweise sich nun auch im Nahen Osten, daß Moskau Verträge nur schließe, wenn sie ihm nützen, sie nach seinem Gusto auslege und breche, wenn es in seinem Interesse liege. „Wenn der Westen jetzt nicht endlich erkennt, daß der Kalte Krieg keineswegs beendet ist, sondern sich nur auf eine neue Ebene verlagert hat, die der Kreml seinen Gegnern vorschrieb“, meint dazu ein prominenter ägyptischer Intellektueller, „ist er verloren.“

Die Enttäuschung über die Sowjets ist in Ägypten so groß wie die Enttäuschung über eine getäuschte Liebe nun einmal sein kann. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß man in Kairo jähre-, wenn nicht jahrzehntelang den roten Versicherungen geglaubt hat, das Vaterland des. Friedens und der Werktätigen habe nur die friedliche und freie Zukunft der unterdrückten ehemaligen Kolonien im Sinn. Spätestens jetzt ist jedem vernünftigen Ägypter klar geworden, daß Moskau nur ganz hegemo-nial Ansprüche verfolgt. Mit ihrer

Trotzhaltung gegenüber dem ersten hoffnungsvollen Schritt zum wirklichen Frieden im Nahen Osten hat sich die Sowjetmacht in den Augen vieler Araber gründlich und für lange Zeit desavouiert.

Am Nil sagt man dazu, man habe das seit langem vermutet und sich daher rechtzeitig von Moskau getrennt. Mit Bangen fragt man sich jetzt aber, ob auch die Amerikaner und Europäer eine ähnlich illusionslose Haltung einnehmen. Erstaunlicherweise denkt man in Ägypten sehr genau über das Berlin-Problem nach. Das mag seine Ursache darin haben, daß man sich hierzulande über die frappierende Ähnlichkeit zwischen Berlin und Jerusalem schon länger im klaren war, als offiziell zugegeben wurde. Jedenfalls glaubt man hier, genau zu wissen, daß der Kreml den Berlin-Vertrag, der gerade vier Jahre alt wurde, von Anfang an nicht einzuhalten, sondern nur zu sabotieren und in seinem Sinn zu interpretieren entschlossen war. Dies und die — wie man hier sagt — friedensgefährdende Haltung Moskaus in Portugal, wo man den Volkswillen eklatant mißachte, sei der Beweis für das falsche Spiel des Kreml. Wer geglaubt habe, daß der Stalinerbe Breschnjew andere Ziele verfolge als das der Weltrevolution, müsse sich nicht erst seit der roten Reaktion auf den Genfer Friedensakt getäuscht sehen. Schon bei der KSZE sei es im Grunde nur darum gegangen, daß Moskau sich von der übrigen Welt habe bestätigen lassen, was ihm angeblich gehöre, und dafür gnädig zugestanden habe, darüber zu reden, was den anderen (noch) gehöre.

Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß sich der rote Bär mit seiner unvernünftigen Umsichbeißerei nach dem Verhandlungserfolg Kissingers im Nahost das eigene Grab bereitet hat. Moskau hat bei den Arabern jetzt jeden Kredit verloren. In Ägypten hat es augenblicklich keine Chance mehr. Syrien will sich von ihm trennen. Es hat sowjetische „Techniker“ ausgewiesen und will die Verträge mit den übrigen nicht mehr erneuern. Der Irak hat sich auf seine eigenen Hilfsquellen besonnen und betreibt eine zunehmend von den einstigen Bundesgenossen unabhängige Politik. Libyen ist kein verläßlicher Bündnispartner. Die Drohung König Husseins an Außenminister Kissinger, Waffen notfalls in der Sowjetunion zu kaufen, ist eine Farce. Was bleibt, sind die Palästina-Guerrilleros, die zu.feige sind, ihren Kampf auf ihrem eigentlichen Schlachtfeld Palästina auszutragen. Warum? Weil es sich bei ihnen nicht um Vertreter eines entrechteten Volkes handelt, sondern um Banditen außerhalb der Gesellschaft, sagen viele Ägypter.

In diesem Zusammenhang haben angesehene arabische Intellektuelle den Vorschlag aufgegriffen, dem ägyptischen Präsidenten Mohammed Anwar es-Sadat, vielleicht zusammen mit dem israelischen Premierminister Jitschchak Rabin, den Friedensnobelpreis zu verleihen. Auch Kissinger bekam ihn, so argumentieren sie, für ein unvollendetes Friedenswerk. Der ehemalige westdeutsche Bundeskanzler Willy Brandt habe ihn sogar für eine Politik bekommen, deren Scheitern spätestens bei der sowjetischen Reaktion auf den Sinai-Vertrag offenkundig geworden sei. Wenn man Araber und Israelis guten Willens ermutigen wolle, auf dem von es-Sadat eingeschlagenen Weg unbeirrt von den Moskauer Papiertigern fortzuschreiten, so sei dies ein gutes Mittel hiefür.

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