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Noch mehr Dampf

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Sofort nach Bekanntwerden des Einmarsches der Warschauer-Pakt- Truppen in die Tschechoslowakei begann man in den verschiedenen Ländern des Mittleren Ostens die Auswirkungen zu verspüren.

In Israel wurde diese Aggression der Sowjetunion und ihrer Satelliten sofort auf das schärfste verurteilt. Man hat die vollste Sympathie der kleinen Tschechoslowakei ausgedrückt, stand doch Israel erst im Juni 1967 vor einer ähnlichen Situation. Angefangen bei den unabhängigen Zeitungen mit Massenauflagen, wie „Maariw“ und „Jedioth Achronoth“, bis zu der kleinen Zeitung der israelischen kommunistischen Partei „Kol Ha-Am“ war die Verurteilung fast einstimmig. Die israelische Studentenvereinigung sowie die linkssozialistische Mapam und die israelische kommunistische Partei demonstrierten für die demokratische Tschechoslowakei. Nur die unwahrscheinlich kleine moskautreiue kommunistische Splitterpartei „Rakach“ identifizierte sich mit den „russischen Brüdern“.

Applaus bei den Arabern

In Syrien war die Presse einstimmig für die „Bekämpfung des Zionismus aus der Sowjetunion, Ungarn, Bulgarien und der DDR“. Es wurde dort der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß nun auch die Gefahr von weiteren „Dubceks“, die die Saat des Zionismus in den Ostblock bringen könnte, eingedämmt werde.

Irak fühlte sich in der neu entstandenen Lage nicht ganz sicher. Die irakische Presse schrieb zunächst keine Leitartikel für oder wider die russische Aggression, doch brachte sie einseitig und ohne Kommentar die TASS-Meldungen und verzichtete auf den Abdruck aller westlichen Informationsquellen, wie zum Beispiel AFP, UPI, Reuter usw., die über die Besetzung der CSSR berichteten.

In Ägypten war man sich im ersten Moment noch nicht schlüssig, wie man auf die neue Lage reagieren soll. Dios kam deutlich im Leitartikel der kairotreuen libanesischen Zeitung „El Anwar“ zürn Ausdruck. Dort wurde von der Dankbarkeit zur Sowjetunion gesprochen ohne Bezugnahme auf die Besetzung der CSSR. Die in Ägypten erscheinende Presse reagierte meist erst einen Tag später in Leitartikeln auf das Geschehen und befürwortete die russische Einmischung. Herr Kassin Heikal, der Nasser-Intimus und Chefredakteur des „Al Ahram“, der wichtigsten Zeitung der VAR und dessen Regierungsorgan, betonte in seinem wöchentlichen Artikel, daß die neu entstandene Situation in Osteuropa auch für den Mittleren Osten aufschlußreich ist. Es zeigt, daß nur eine militärische Konfrontation eine Lösung bringen kann. (Zwischen Israel Und den arabischen Staaten.) Die größten Befürchtungen sind bei der christlichen Bevölkerung im Libanon zu verzeichnen. Viele sahen in der Besetzung Prags auch eine Gefahr für den Libanon, wenn sich Syrien militärisch in die Politik ihres Staates einmischen würde.

Im Persischen Golf baten die verschiedenen Ölscheichs die englische Regierung, nicht übereilt ihre Truppen aus diesem Gebiet herauszuziehen.

Der große Bruder — geliebt und gefürchtet

Die politischen Kreise in Israel sind heute bemüht, sich ein Bild der neuen Lage zu machen. Der harte Kurs der Sowjetunion wird die USA dazu bringen, die prowestlichen Länder Saudien und Jordanien mehr zu unterstützen. Auch Iran (Persien), das in den letzten Monaten einige Annäherungsversuche an die Sowjetunion machte, will sich nach der russischen Invasion in die CSSR passiver gegenüber seinem großen Nachbarn verhalten und mehr auf Westkurs steuern.

Aus diesem Grund wird sich der Gegensatz zwischen Ägypten, Syrien und anderen sowjettreuen arabischen Ländern auf der einen Seite und den prowestlichen Staaten Saudien, Jordanien und eventuell Libanon anderseits noch mehr vertiefen. Ägypten, Syrien, Algerien und der Irak werden offiziell die Sowjetunion weiterhin in ihrer Poll

ux unterstützen, da sie heute von dieser Großmacht in vieler Hinsicht abhängig sind. Der große Bruder Rußland hat überall im ägyptischen Militär seine Hand. Viele Offiziere

der Armee der Vereinigten Arabischen Republik sind unter sich selbst nicht einig, ob man die russische Hilfe in vergrößertem Maßstab weiterhin akzeptieren soll oder ob die CSSR vielleicht auch für Ägypten eine Warnung darstellt. Bekanntlich fallen und bestehen gerade in den Ländern des Mittleren Ostens die Regime mit der Armee.

In Tunesien hingegen ist es die

offizielle Meinung, daß es besser wäre, sich mit den verhaßten Zionisten an einen Verhandlungstisch zu setzen, als von den Sowjets beherrscht zu werden.

USA und Israel

In Israel kamen die Militärs zu dem Schluß, daß wenigstens zur Zeit mit keiner direkten russischen militärischen Intervention im arabischisraelischen Konflikt zu rechnen ist, und zwar aus zwei Gründen: Vom taktischen Standpunkt aus gesehen, ist der Transport von hunderttausenden Soldaten aus der Sowjetunion in das Mittelmeergebiet mit großen Nachschubschwierigkeiten verbunden. Aüch wird die USA eine solche Aktion nicht ohne weiteres hinnehmen; denn im Gegensatz zu der Tschechoslowakei, die laut dem Potsdamer Vertrag russisches Einflußgebiet ist, glaubt die USA, im Mittleren Osten Einspruchsrecht zu haben.

Bis zum Zeitpunkt vor der CSSR- invasion munkelte man hier von siner neuen Abmachung zwischen len Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion. Dem- aach sollte die USA auf Israel schweren politischen und wirtschaftlichen Druck ausüben, um es zu veranlassen, seine Truppen aus einem reü der besetzten Gebiete zurückzuflehen, ohne auf den Beginn der iirekten Verhandlungen mit den arabischen Staaten zu warten. Die Sowjetunion hingegen sollte die ara

bischen Staaten zur Mäßigung anhalten.

Nun ist es klar, daß heute die USA solche Vereinbarungen mit der Sowjetunion im Mittleren Osten nicht mehr treffen wird. Amerika ließ bereits andeutungsweise das israelische Außenministerium wissen, daß es auch weiterhin die israelische Forderung auf Direktverhandlungen mit den arabischen Staaten unterstützen wird.

Es ist jetzt schon klar, daß Rußland und andere Sowjetsatelliiten in Zukunft einen noch schärferen Kurs gegen Israel führen werden, den Zionismus als „imperialistische Gefahr“ und Isral als „Agenten des Weltimperialismus“ verleumden werden, um damit die „tiefe Verbindung mit den arabischen Brüdern“ besser zu veranschaulichen. Der harte Kurs wird nach Gelingen einer sowjetischen Eroberung der CSSR auch im Mittleren Osten mehr und mehr spürbar werden, obwohl heute schon in Ägypten viele vor den „russischen Freunden“ Angst haben.

Indirekt wird der harte Kurs in Europa auch im Mittleren Osten Opfer an Menschenleben kosten. Die Gegensätze wurden durch die Eroberung der Tschechoslowakei nur noch vertieft. Statt der erstrebten Waffenruhe befürchtet man in Israel, daß es zu weiteren und vielleicht ernsteren GrenzzwiSchenfäUen kommen wird, und es ist nicht ausgeschlossen, daß die Sowjetunion in Zukunft die verschiedenen arabischen Terrororganisationen unterstützen wird, um dadurch den Kampf gegen Israel zu erweitern. So könnte Prag noch mehr Dampf in den Hexenkessel im Nahen Osten pressen, anstatt ein Ventil zu bilden.

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