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Syrisches Kesseltreiben

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Syrien erlebt gegenwärtig einen innenpolitischen Skandal, der an seinen Grundfesten rüttelt. Das Damaszener Gefängnis beherbergt seit mehr als drei Monaten einen der bisher bedeutendsten syrischen Politiker — ohne daß man ihm gesagt hätte, was ihm vorgeworfen wird, und ohne daß bekannt geworden wäre, wann gegen ihn prozessiert werden soll: Dr. Sami ei-Jundi, der prominente Einzelhäftling, war 1966 noch Botschafter in Paris. Seine Verhaftung Anfang Juli war eine späte Folge des ein Jahr vorher verlorengegangenen Sechstagekrieges. Jetzt veranlaßte sie sogar den französischen Staatschef zu einer geheimen Demarche.

Den Diplomaten hatte es begreiflicherweise betrübt, daß die westliche Presse während dieses Feldzuges überwiegend proisraelisch berichtete und sich hernach eine überwiegend proisraelische Bücherflut über die westlichen Leser ergoß, während der arabische Standpunkt im Nahostkonflikt unzureichend dargestellt wurde. Der in seiner Heimat als „homme de lettre“ geltende Botschafter griff zur Selbsthilfe. Er schrieb ein zweihundert Seiten starkes Buch über „Juden und Araber“. Bei ihm handelt es sich bis heute nur die einzige in einer europäischen Sprache vorliegende arabische Darstellung der „großen Feindschaft“, wie der Verfasser den Konflikt nennt.

Buhmann Hussein

Trotz dieser Exklusivität und trotz des prominenten Autors fand das in französischer Sprache geschriebene Manuskript keinen Verleger. Das Buch beginnt und endet zwar mit dem Bekemntnisi, der Verfasser lehne es ab, „seine Feder in das Tintenfaß des Hasses zu tauchen“.

Das Buch verzichtet jedoch auf jede systematische Analyse der arabischen militärischen Niederlage oder auch nur des Phänomens Israel. Dafür ist es voller Widersprüche und fruchtloser Klagen über das angeblich von den Juden und den Westmächten verübte Unrecht. Die einzige zaghafte Kritik, die es wagt, richtet sich gegen den ägyptischen Präsidenten Abdel Nasser. Für diesen ist sie jedoch beinahe noch eine Ehrenbezeugung. Der Verfasser meint nämlich, die Araber hätten siegen können, sofern nur der Nildiktator persönlich den Oberbefehl übernommen hätte! Wie ein als Oberleutnant von der Armee ahgeganigener Offizier, der sich als Jugendlicher die Aufnahme in die Militärakademie erschwindelte, Kampferfahrung nur in einem einzigen Feldzug sammeln kannte, der mehr als zwanzig Jahre zurückliegt, und der seit drei Jahrfünften keinerlei waffentechni- sehe, logistische u nd strategische Weiterbildung mehr erlebte, gegen die hervorragend ausgebildeten und operierenden israelischen Generäle hätte bestehen sollen, bleibt ein Rätsel.

Im Herbst letzten Jahres fand sich für das Buch schließlich ein deutscher Verlag. Doch wie sich herausstellte, schadete er damit nur den arabischen Interessen. Er versah es mit einem Vorwort des jordanischen Königs Hussein.

Arabisches Schicksal

Für Dr. Sami el-Jundi, den Urheber des fragwürdigen Pamphletes, kam das dicke Ende. Man zitierte ihn nach Damaskus, verhörte ihn und steckte ihn ins Gefängnis. Er besaß, wie sich inzwischen herausstellte, für das Buch nicht die erforderliche Publikationserlaubnis seiner Regierung. Diese fühlte sich blamiert.

Der Fall ist exemplarisch für das arabische Unvermögen zu wirklichkeitsgetreuer Selbstdarstellung und Selbstkritik. In dem Bemühen, die „zionistische Propaganda“ zu übertrumpfen, greift .man kurzerhand zu dickaufgetragenen und leicht durch- schaübaren Lügen. Der Fall ist aber auch exemplarisch für das wechsel- volle Schicksal der arabischen Intellektuellen in dieser Zeit.

El-Jundi ist von Beruf Dentist. Der heute knapp Fünfundvierzigjährige war seit seiner Jugend Mitglied der Baath-Partei, während der „Vereinigten Arabischen Republik“ war er Generaldirektor des Informations- wesens (1958 bis 1961). Des Nasserismus verdächtigt, geriet er danach sechs Monate ins Gefängnis. Doch im Jahr darauf amtierte er schon wieder als Kultur- und hernach als Informationsminister (1963 bis 1964). Er gründete eine „Sozialistische Unionspartei“ und wurde schließlich Botschafter in Paris (1964 bis 1966) und in Madrid (1966 bis zu seiner \7erhaftung). An der Seine wurde er zum Freund General de Gaudes, doch auch eine vertrauliche Intervention des französischen Staatschefs brachte ihm bis jetzt nicht die Freiheit.

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