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Mehr Sieges- als Friedenspropaganda

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In Kairo hörte man noch vor einer Woche, es sei ein unkalkulierbares Risiko, schon im Dezember in eine Friedenskonferenz mit einer Regierung einzutreten, die nur noch geschäftsführend im Amt sei und drei Wochen später schon abgewählt sein könne. Nachdem man in Israel dieses Risiko einer nicht ganz auszuschließenden Wahlniederlage der amtierenden Regierung Golda Meir erkannt zu haben scheint und auf eine Verschiebung der Friedenskonferenz bis zum Beginn des kommenden Jahres drängt, beharrt man in Kairo jedoch plötzlich auf dem von USA-Außenminister Henry Kissinger vorgeschlagenen Dezember-Termin. Dieser Sinneswandel ist das bisher augenfälligste Indiz dafür, daß die „Friedenspolitik“ des Präsidenten Mohammed Anwar es-Sa-dat, in der seine überzeugten Parteigänger den „Ramadan-Krieg“ nur als unvermeidliches Zwischenspiel katalogisiert sehen wollen, nicht unumstritten ist, und — der ägyptische Staatschef unter Zeitdruck gerät.

Dieses Motiv ist aber, wie der Augenschein am Nil zeigt, nicht das Ausschlaggebende. Die Kairoer Bevölkerung wird noch immer mehr mit Sieges- und Durchhalteparolen gefüttert als mit Friedenspropaganda. Es gibt zwar Gerüchte, aber keine wirklich zutreffenden Nachrichten über das Ausmaß des israelischen Eindringens in das innerägyptische Kernland. Im Gegenteil, man rekrutiert weiter Studenten für die Volksmiliz und spricht unaufhörlich vom Volkskrieg. Gerade dies zeigt allerdings, was das wahre Motiv es-Sadats bei seiner zwiespältigen Politik der ausgestreckten Hand nach außen und der Gegenpropaganda nach innen ist. Der unbestreitbar erstaunlich gute Ausgang des „Ramadan-Krieges“ für die Araber hat in der ägyptischen Bevölkerung zwar keine regelrechte Kriegslust geweckt, doch im Offizierskorps hört man vielfach Stimmen, wonach die politische Führung die militärische vorzeitig um den Endsieg gebracht habe. Studenten, Intellektuelle und Linksopposition greifen diese Parole gierig auf, und die Regierung muß froh sein, wenn sie die aufsässigen Jugendlichen irgendwie beschäftigen kann.

Zu der allgemeinen Verwirrung und Richtungslosigkeit unter der Bevölkerung am Nil trägt die Propaganda und die mit ihr eng zusammenhängende Zensur bei. Kairo war für ausländische Berichterstatter nie ein leichtes Pflaster. Zensur und die Einschätzung der Journalisten als Propagandisten der jeweiligen amtlichen Politik haben hier lange Tradition und machen den Korrespondenten westlicher unabhängiger Blätter das Leben schwer. Gegenwärtig feiert die Bürokratie wieder größere Triumphe als selbst während des „Ramadan-Krieges“. Die mangelhaften technischen Einrich-itungen machen allein die Nachrichtenübermittlung zu einem nervenzehrenden Abenteuer. Informationen von einiger Zuverlässigkeit sind kaum zu bekommen. Wenn man sie hat, ist jedoch noch lange nicht gesagt, daß der Zensor sie auch passieren läßt. Fragen müssen vierundzwanzig Stunden lang auf ihre Beantwortung warten, dann sind die Antworten meistens nicht mehr aktuell. Doch die Zensurbehörde verschließt sich allen Einwendungen, daß die arabischerseits beklagte „einseitige Presseberichterstattung“ lediglich auf diese Taktik zurückzuführen sei. Findige Journalisten beschränken ihre Aufenthalte in der ägyptischen Hauptstadt daher auf jeweils einen Tag und berichten anschließend von Beirut aus. Doch diese Praxis macht die ägyptischen Zensoren nicht gerade zugänglicher. Erleichtert werden diese Schwierigkeiten lediglich durch das vielsagende Eingeständnis, Präsident es-Sadat habe es gegenwärtig nicht leicht, und „später“ werde sich gewiß alles „normalisieren“.

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