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Experten der seit sechseinhalb Jahren beschäftigungslosen Nationalen Suezkanalbehörde, deren Rückkehr nach Ismailia nunmehr zur greifbaren Zukunftsaussicht wird, haben sich schon seit längerem mit Planspielen über die Wiedereröffnung der Wasserstraße beschäftigt. Diese Vorarbeiten traten jedoch erst mit der kürzlich erfolgten Ernennung des Ingenieurs Osman Achmed Osman — des größten privaten Bauunternehmers des Landes, eines der größten des arabischen Orientes, der sich bei der Bauausführung unter sowjetischer Oberleitung am Assuanhochstaudamm „es-Sadd el-Aali“ große Verdienste erwarb — in ein akutes Stadium. Die Berufung des unbürokratischen Fachmannes von sicherem Durchsetzungsvermögen wird am Nil als Vorspiel zur Installierung einer „Regierung des nationalen Wiederaufbaues“ angesehen. Osman konnte sich bei der Ausarbeitung seiner Pläne für die Zeit unmittelbar nach der Wiederherstellung der vollen Gebietshoheit über das Kanalgebiet bereits auf einige Angebote westlicher Konsortien stützen. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Mei'r-Kissinger-Sadat-Abkommens gingen in der ägyptischen Hauptstadt weitere Offerten ein. -

Auf ägyptischer Seite hatte man die Räumungszeit mit zunächst nur vier Monaten veranschlagt. Diese Planung war jedoch offenbar von zu günstigen Voraussetzungen ausgegangen. Nach ausländischen Erhebungen rechnet man damit, daß allein die Wiederschiffbarmachung des Kanals in seiner jetzigen Größe etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Doch auch das sind Schätzungen, die sich erst dann konkretisieren lassen, wenn die Experten an Ort und Stelle das Ausmaß der Sandverwehungen feststellen und prüfen können, ob die im Bittersee eingeschlossenen und allmählich zu Wracks gewordenen Handelsschiffe verschiedener Nationen wieder flottgemacht werden und aus eigener Kraft auslaufen können oder ob man sie völlig demontieren muß. Es handelt sich dabei um vierzehn Schiffseinheiten unterschiedlicher Größe.

Wird der Kanal in seiner bisherigen Größe wieder schiffbar gemacht, kann er jedoch lediglich von Passagier-, Fracht- und Tankschiffen bis zu sechzigtausend Tonnen durchfahren werden. Ägypten, die ölgesell-schaften und die anbietenden Konsortien scheinen sich, wie man in Kairo hört, jedoch grundsätzlich über eine Verbreiterung und Vertiefung der Fahrrinne für Passagen bis zu dreihunderttausend Tonnen einig zu sein. Die bisher konkretesten Erweiterungspläne stammen, nach inoffiziellen Angaben, von einer holländischen Gesellschaft.

Nicht völlig geklärt ist die Frage der Kosten, die man auf mehrere Hundert Millionen Dollar veranschlagen kann, und völlig ungeklärt ist das Problem der Finanzierung. In Kairo wünscht man wohl eine Teilfinanzierung mit ägyptischer Inlandswährung, rechnet aber auch mit langfristigen Krediten des . Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der USA und europäischer Industriestaaten in Devisen. In der Umgebung des unorthodoxe Methoden bevorzugenden Wiederaufbauministers Osman würde man eine Beteiligung sowjetischer Bagger- und Baukolonnen an den Wie-derinstandsetzungs- und Vergrößerungsarbeiten durch ein westliches Konsortium begrüßen, um die Arbeiten zu beschleunigen.

Noch ehe diese technischen Probleme in Angriff genommen werden können, macht man sich im Vorderen Orient Gedanken über die politischen und strategischen Auswirkungen. Ägypten scheint erst nach Abschluß eines regionalen Friedensvertrages bereit zu sein, auch Schiffen unter israelischer Flagge die Passage zu gestatten. Nicht-israelische Schiffe mit Transportgütern für israelische Bestimmungshäfen sollen jedoch schon vorher Erlaubnis zur Durchfahrt erhalten.

Wichtiger jedoch als die regionalpolitischen sind die mit der Wiedereröffnung der Wasserstraße verbundenen weltpolitisch-strategischen Folgen. Hauptnutznießer wäre mit Sicherheit die Sowjetunion. Hier liegt übrigens einer der wichtigsten Gründe für die stille diplomatische Mitwirkung Moskaus beim Zustandekommen des Kissinger-Abkommens. Die Suezkanalpassage verschafft der sowjetischen Eskader, die sich bis jetzt auf das Operationsgebiet Mittelmeer beschränken mußte, endlich den kurzen eisfreien Seeweg nach Ostafrika, dem Persischen Golf, Südostasien und China. Peking müßte eine Umklammerung auf dem Seeweg fürchten, die Subversionstätigkeit in Muskat und Oman und in den Ölemiraten an der Nordostkante der arabischen Halbinsel würde wahrscheinlich sprunghaft zunehmen und die sowjetischen Militärstützpunkte Sokotra im Indischen Ozean und Aden gewönnen sprunghaft an Bedeutung.

Gemessen an diesen Vorteilen sind jene für die USA und Westeuropa gering. Ägypten scheint den Amerikanern zugesichert zu haben, nach Wiedereröffnung des Suezkanals stehe einer ausreichenden Ölversorgung nichts mehr im Wege. Saudi-Arabien knüpft sie allerdings nach wie vor an die Bedingung der Räumung Jerusalems. Prowestliche Araber fragen sich jetzt jedoch manchmal, welchen Preis Henry Kissinger der Sowjetunion für die Stärkung der geostrategischen Position Moskaus auf der südlichen Erdhalbkugel abverlangt hat, die mit der Wiedereröffnung des Kanals verbunden sein wird, und ob der Kreml diesen Preis schließlich auch bezahlen wird.

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