6682332-1961_50_08.jpg
Digital In Arbeit

Eine unbekannte Religion

Werbung
Werbung
Werbung

In dem schlichten Holzbau neben der kleinen Villa des Staatspräsidenten im Jerusalemer Villenviertel Rehaviah, der als offizieller Empfangsraum dient, versammelten sich dieser Tage sechzig würdevolle Gestalten in wallenden Kleidern und weißem Kopfbund über der bunten, goldbestickten „Teqiyeh“, an ihrer Spitze drei uralte Männer mit langen Bärten: die Führer der Drusen in Israel. Sie kamen aus ihren gali- läischen Dörfern, um dem Staatspräsidenten zu danken, daß sie nun, als selbständige religiöse oder vielmehr nationale Gruppe anerkannt, ihren eigenen religiösen Gerichtshof bekamen.

Damit hat die in Israel etwa 20.000 Seelen tunfassende Gemeinde der Drusen dieselben Rechte erlangt wie die Juden, die Mohammedaner, die katholischen und die griechisch-orthodoxen Christen, deren Gerichte in allen Angelegenheiten des Personal- statu , das heißt was Heirat, Scheidung und Erbrecht betrifft, Urteile aussprechen, welche von den staatlichen Exekutivbehörden durchgeführt werden. Da nun die drusische Gemeinde als Grundlage ihrer Rechtsprechung das „Personalstatusgesetz für die drusische Gemeinschaft vom Jahr 1948“ de Staates Libanon, welches auch von den Drusen Syrien übernommen wurde, adoptierte, wogegen di israelisch Regierung keinen Widerspruch erhob, ergibt sich ein international überaus interessantes Faktum: ein Staat anerkennt für sein Territorium ein in zwei Staaten gültiges Gesetz, mit denen er sich im Kriegszustand befindet, der nur durch einen Waffenstillstand gemildert ist.

Diese vermutlich einzigartige Tatsache ist aber bei näherem Hinsehen nicht so verwunderlich, denn die Religion, die sie betrifft, ist nicht weniger einzigartig. Die Drusen — ihre Hauptmasse lebt im syrischen Djebel-drus respektive im Libanon — stellen nämlich eine Gemeinde dar, von der man bis heute nicht recht weiß, ob man sie als religiöse oder als nationale bezeichnen soll, da man weder ihre Religion mehr als in groben Umrissen kennt noch genau ihre ethnologische

Herkunft festgestellt hat. Etwas mehr ist über die Entstehungsgeschichte dieser durch ihre kriegerischen Anlagen, durch ihre Gastfreundschaft und durch ihren hohen ethischen Standard berühmten Gemeinschaft, Religion oder Sekte bekannt, die zwar arabisch spricht und sich arabisch kleidet, aber sich sehr eindeutig und betont von den Arabern unterscheidet. Man weiß, daß sie ihre religiöse Herkunft auf den fatimidischen Kalifen Ägyptens, Hakim Biamrillah (Hakim der Grausame), zurückführt, der, ein religiös stark überspannter Grübler, nicht nur Christen und Juden, sondern auch Frauen und — Hunde verfolgte. Einer seiner Gefolgsleute, Darazi — daher die Bezeichnung Drusen —, brachte die Lehre Hakims, der sich schließlich vom orthodoxen Islam abgewandt hatte, in ein System, das von seinem Schüler Hamza, der sich El- hädi, der Wegweiser, nannte, vervollständigt wurde. Darazi, der später allem Anschein nach seine eigenen Gebote übertrat, wurde aus der Gemeinde der ersten Drusen ausgeschlossen, die nach Syrien flüchten mußte. Hier begann sie sich zu einem eigenen Volk zu entwickeln, das einen starken Zuz g?vön Kreuzfahrėm ;aus, alten ‘Ländern Ęjiropas erhielt, was die große Zahl von -blonden und rdthaarigžn Typen erklärlich macht.

Was nun ihre Religion ist, ob sie nur eine Abspaltung des Islams mit gewissen christlichen Einflüssen oder ein selbständiges religiöses Gebäude darstellt, darüber ist wenig bekannt; nicht nur der Außenwelt, sondern wohl auch der großen Masse der Drusen selbst, die in zwei Teile gespalten ist: in die kleine Schichte der Uqäl, der Eingeweihten, welche die heiligen Schriften kennen, und den großen Rest der Laien, denen sie unzugänglich sind. Bekannt sind einige Vorschriften dieser Religion ohne Ritual: Gebot der Wahrhaftigkeit, unbedingtes Einstehen für den drusischen Bruder, stete Anerkennung der Einheit Gottes und die Erkenntnis, daß Er den Menschen sieht, selbst aber unsichtbar ist.

Diese Drusen, die 1948 in eigenen Bataillonen an der Seite der Israeli gegen die sieben arabischen Armeen kämpften, haben im letzten Jahrhundert immer wieder in die Geschichte des Vorderen Orients eingegriffen. Sie kämpften nicht nur gegen die Türken und gegen die Franzosen, sondern machten unter ihren Feudalherren aus dem Haus der Atraschi auch den Ägyptern große Schwierigkeiten. In Israel nahm in den letzten Jahren ihr Übergang aus dem Feudalzeitalter in die Neuzeit ein überraschendes Tempo an. E gilbt bereits eine verhältnismäßig große Anzahl von Drusen in akademischen Berufen und nicht wenige drusische Studenten an der hebräischen Universität in Jerusalem, unter denen sich übrigens eine nicht uninteressante Bewegung eine Zeitlang bemerkbar machte: eine Gruppe unter ihnen, die sich „Bewegung des drusischen Aufbruchs“ nannte, erklärte, daß die Drusen keine nationale, sondern nur eine religiöse Sondergruppe darstellen und, national gesehen, zum arabischen Volk gehören. Diese „Araber drusischer Konfession’ fanden natürlich in ihren traditionsgebundenen, schon aus Tradition den Arabern nicht besonders freundlich gegenüber- stehenden Dörfern lebhaften Widerspruch. Weder der ägyptische Nasser noch der irakische Kassim kommt für die Drusen im Galil in Frage, denn sie wollen bleiben, was sie waren: eine national wie religiös autonome Gruppe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung