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Das Massenmorden nimmt kein Ende

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„Warten auf eine passende Gelegenheit, das Feuer wieder eröffnen zu können"

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„Warten auf eine passende Gelegenheit, das Feuer wieder eröffnen zu können"

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Die libanesische Zeitung „A-Sa- fir" schrieb dieser Tage, daß die gesetzliche Regierung des Libanon und ihre Armee die Aufgabe habe, General Michel Aoun zu beseiti- gen. Der Haken an der Geschichte war die Bemerkung der Zeitung, daß die libanesische Regierung dieses Vorhaben nur mit Hilfe der syrischen Armee durchführen könnte.

Bisher haben im Libanon Syrien, der Irak und der Iran mitgemischt. Nun sind alle drei mit Wichtigerem

im Persischen Golf beschäftigt. Dies soll nicht bedeuten, daß sie den Libanon aufgegeben haben. Doch werden die von ihnen angefachten Konflikte auf kleinerem Feuer ge- halten.

Nehmen wir den wichtigsten Konflikt von General Michel Aoun, der sich ursprünglich der gesamten christlichen Enklave bemächtigte. Der kleinwüchsige General wurde

vom Irak unterstützt, nachdem er unter anderem die Legitimität der syrischen Okkupation des Libanon anzweifelte und die libanesische Zentralregierung nicht anerkann- te, die in der Tat nicht einmal Westbeirut beherrscht. General Aoun erhielt leichte und schwere Waffen, einige Scud-Raketen so- wie einen monatlichen Zuschuß vom Irak, damit er seine Soldaten entlohnen kann.

Innerhalb der christlichen En- klave von Ostbeirut und Umgebung befindet sich auch der Komman- dant der christlichen Falange-Mi- liz, Samir Geagea. Die beiden Kommandanten haben eine Eigen- schaft gemeinsam: Jeder von ihnen will Alleinherrscher sein. Da kei- ner der beiden verzichten wollte, wurde die Fehde auf dem Kampf- feld ausgetragen, jedoch nicht entschieden. Samir Geagea be- herrscht die Stellungen rund um die Stadt, Michel Aoun die In- nenstadt.

Zur Zeit herrscht zwischen der christlich-libanesischen Armee

Aouns und der Falange-Miliz eine inoffizielle Feuereinstellung, wo- bei jede Seite auf die passende Gelegenheit wartet, erneut das Feuer eröffnen zu können. Ur- sprünglich wollte auch Syrien bei diesem Konflikt mitmachen, doch gab es wieder auf, als sich herausstellte, daß eine Entschei- dung mit großen Verlusten ver- bunden wäre.

Inzwischen macht Ostbeirut -

ähnlich wie Westbeirut - einfach weiter. Viele haben keine Wohnun- gen mehr und schlafen bei Ver- wandten, doch irgendwie pulsiert auch heute noch die geteilte Stadt.

Syrien hat mit seinen 50.000 Mann zirka zwei Drittel des Landes be- setzt. Natürlich müßte es als Okku- pationsmacht auch für die innere

Sicherheit sorgen, doch so einfach ist das nicht. In Tripoli im Norden gibt es eine moslemisch-sunnitische Miliz, die mehr oder weniger die Stadt beherrscht. Etwas weiter südlich gibt es eine griechisch-or- thodoxe christliche Miliz, die mit der syrischen Okkupationsmacht kooperiert und von Zeit zu Zeit gegen die Falange und gegen die libanesische Armee von General Michel Aoun Erklärungen veröf- fentlicht. Ihre Stärke beläuft sich auf nur 1.000 bis 1.500 Mann und sie bildet eher ein Kuriosum sowie ein christliches Feigenblatt für die syrische Armee.

Die einzige teilweise freie Zone befindet sich zwischen Beirut und Sidon. Hier herrscht weder die syrische Armee noch eine andere Miliz.

In der Mitte dieses Gebietszipfels haben jedoch die Drusen einen Hafen errichtet, damit die Enklave auch eine direkte Seeverbindung hat. Die drusische Enklave mit ihren 100.000 Einwohnern ist heute weit- aus die ruhigste. Die Machtkämpfe wurden hier schon vor einigen Jahren gegen die Familie Arselan

ausgetragen, und heute herrscht hier Walid Dschumblat, dessen Familie eine der wichtigsten unter den Drusen des Libanon ist. Die Drusen wurden zwar einige Male in Kämpfe mit christlichen Milizen verwickelt, doch im allgemeinen herrscht hier Ruhe und Eintracht.

In Westbeirut, Südlibanon und in der Bekaa-Senke im Osten be- finden sich große Konzentrationen der fundamentalistischen schiiti- schen Hezbollah, diemit Geld, Waf- fen und Instruktoren aus dem Iran unterstützt werden. Diese Hezbol- lah versuchte sich in erster Linie der gesamten schiitischen Gemein- de zu bemächtigen. Erst in West- beirut. Trotz schwerer Kämpfe konnte die allgemeine schiitische Amal Miliz, die gegen einen theo- kratischen Staat ist, sich behaup- ten. Seitdem gehen die Kämpfe im Südlibanon, wo die meisten Schi- iten leben, weiter. Einmal sind die Amal, ein anderes Mal die Hezbol- lah die Stärkeren. Die letzten Kämpfe wurden um einige Dörfer geführt. Doch kehrte auch hier wieder gespannte Ruhe ein - bis zum nächsten

Innerhalb dieses Schiiten-Ge- bietes gibt es eine kleine christliche Enklave, die eine eigene Miliz auf- gestellt hat, um sich gegen die spo- radischen Angriffe der Hezbollah zu verteidigen. Es kam hier einige Male zu schweren Kämpfen, um das Zentrum der Christen im Sü-

den, Dschessin, herum.

In den Städten Tyrus und Sidon am Mittelländischen Meer, rund 50 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt, haben unter ande- ren die diversen Terror-Organisa- tionen der PLO Kommandanturen eröffnet. Hier entspannen sich ei- nige Male Kämpfe zwischen den pro-syrischen und den Arafat-treu- en PLO-Organisationen, wobei Arafats Mannschaften die Ober- hand gewinnen konnten. Arafat zog seine Anhänger hauptsächlich in den palästinensischen Flüchtlings- lagern um diese beiden Städte zu- sammen. Man nimmt an, daß sich heute die Miliz Arafats im Libanon auf rund 4.000 bis 5.000 Mann be- läuft.

Nur dank der Unterstützung Ara- fats konnte sich die pro-syrische Miliz gegen die Hezbollah behaup-

ten. Hier muß noch betont werden, daß die allgemeinen politischen Verbindungen für und gegen Sy- rien und so weiter nicht immer gültig sind, sodaß die anti-syrische PLO die pro-syrische Amal gegen die pro-iranische Hezbollah un- terstützt. Jedenfalls herrscht Ruhe auch in diesen beiden Hafenstädten nicht, da von Zeit zu Zeit ein Schuß- wechsel zwischen den diversen PLO-Organisationen oder zwischen der Amal und der Hezbollah oder zwischen allen stattfindet.

Weiter südlich, direkt an der is- raelischen Grenze, befindet sich die Israel-hörige Sicherheitszone, die heute zu den ruhigsten Provinzen des Libanon gehört. Hier herrscht eine zirka 3.000 Mann starke Miliz unter dem Kommando von General Lahed. Diese Miliz kooperiert mit der israelischen Armee. Es geht um die Verteidigung dieser Zone ge- genüber Übergriffen der Hezbollah und um Abwehr von PLO-Einhei- ten, die über diese Sicherheitszone nach Israel einzudringen versuchen. Jedenfalls ist die syrische Okkupa- tion bis hierher noch nicht vorge- drungen, sodaß Milizen und Ter- ror-Organisationen ungestört ope- rieren können.

Im Libanon wird fast überall geschossen - und sogar dann, wenn es eine offizielle Waffenruhe gibt. So explodierte erst dieser Tage eine Höllenmaschine im Lager von General Michel Aoun. Sechs Kommando-Soldaten wurden ge- tötet, 15 verletzt - keiner weiß warum.

Der Konflikt am Persischen Golf deckt das Libanon-Problem zu, die Medien bringen fast nichts über dieses Land. Es ist nicht mehr in- teressant, auch wenn das Massen- morden einfach weitergeht.

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