Explosiver "Ball aus Sprengstoff"

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Der Druck der USA auf den Libanon, Heimat und Unterschlupf der Hisbollah, steigt. Diese fühlt sich zwar als Vorhut im Kampf gegen Israel - doch internationaler Terrorismus wird von diesen libanesischen Schiiten entschieden abgelehnt.

Die Frühlingssonne senkt ihre Strahlen auf das rote, fruchtbare Erdreich. Schon lässt sich ein schwacher grüner Schimmer erkennen. Die Saat ist aufgegangen. In wenigen Wochen wird sie weite Flächen der libanesischen Bekaa-Ebene in farbige Blütenpracht verwandeln. Es wird wieder Mohn geben, wie jahrzehntelang, bis die syrische Besatzungsarmee 1992 unter massivem amerikanischem Druck mit voller Härte der Opiumproduktion Einhalt gebot. Doch Mohn und wenige Monate später Cannabis geben Tausenden Landwirten heute die einzige Hoffnung, dem unerbittlich drohenden Hunger zu entkommen. Freilich, gesteht ein Bauer im alten Städtchen Baalbek offen ein, ganz ohne Unbehagen habe er sich nicht zum erneuten Anbau von "Khashkash" (Mohn) entschlossen. "Aber wir haben keine Wahl. Das Überleben meiner Kinder hat Vorrang", murmelt der Vater von zwei Mädchen verzagt. "Das sagt auch der Koran."

Scheich Schauki Kanaan stimmt zu. "Im Koran steht nichts über Haschisch oder Opium. Wenn die Bauern Mohn anbauen, dann verstoßen sie nicht gegen die religiösen Regeln", zieht sich der schiitische Geistliche mit den tiefblauen Augen unter dem weißen Turban aus der Affäre. Wird der Libanon wieder zu einem wichtigen Produzenten für Rauschgift, wie einst in den siebziger und achtziger Jahren? Die Beiruter Regierung erscheint fest entschlossen, dies zu verhindern. Wenn nötig, so warnen offizielle Stellen, werde man die gesamte Ernte vernichten und Bauern ins Gefängnis stecken.

Opium als Vorwand

Für den Libanon steht viel auf dem Spiel. "Die Amerikaner suchen nur einen Vorwand, um gegen diese verrufene Brutstätte des Terrorismus, wie sie es sehen, loszuschlagen", bemerkt Hikmet, ein Antiquitätenhändler, der in seinem reich ausgestatteten Lokal jenseits des großen römischen Tempels von Baalbek vergeblich auf ausländische Kunden wartet. Nur wenige Touristen wagen sich seit dem 11. September 2001 in diese Region, und schon gar nicht in die berüchtigte Bekaa. "Rauschgift", fährt Hikmet fort, "wäre ohne Zweifel ein Grund für die Amerikaner, hier zu bombardieren". Doch in Wahrheit "wollen die usa die Hisbollah unschädlich machen, die schiitische Guerillaorganisation, die unter den 900.000 Bewohnern der Bekaa ihre größte Stütze und Sympathie findet.

Hier unter den einflussreichen und traditionell von Beirut unabhängigen Clans der Bekaa, ist die Hisbollah unumstritten. Durch großzügige und effiziente Hilfe an die hohe Zahl der Bedürftigen springt sie ein, wo der Staat erbärmlich fernbleibt. Sie führt Schulen, die an Bildungsniveau bei weitem jene des Staates übertreffen, Spitäler, Gesundheitszentren und landwirtschaftliche Beratungs-Anstalten. Und dies alles, so betont Kazhia Shabshol, stellvertretender Manager der "Islamischen Hilfsorganisation" in Baalbek, unabhängig von der religiösen Zugehörigkeit der Hilfesuchenden. "Das einzige Kriterium für Hilfe ist die Bedürftigkeit." Mit ihren Sozialinstitutionen hat sich die Hisbollah viel Sympathie erworben und einen festen, unverzichtbaren Platz im öffentlichen Leben des Levantestaates.

"Wir haben mit Terror nichts zu tun", wehrt sich Mohammed Yaghi, einer von zwölf Mitgliedern des parlamentarischen Blocks der Hisbollah, in seinem schlichten Büro in Baalbek gegen die jüngst verstärkten Vorwürfe von Israelis und der usa. Von der Wand hinter seinem Schreibtisch leuchtet die goldene Kuppel des Felsendoms. Das Gemälde mit der gelben Flagge der Hisbollah im Vordergrund lässt keine Zweifel, dass sich die "Partei Gottes" bis heute der "Befreiung Jerusalems verschrieben hat, wozu sie vor zwei Jahrzehnten ihr Gründervater, der iranische Revolutionsführer Khomeini, verpflichtet hatte. "Mit allen Mitteln", gesteht Yaghi.

Es ist dieses unverminderte Bekenntnis zum Kampf gegen Israel, das Premier Ariel Sharon in Jerusalem so empört. Und weil sich Hisbollah dabei auf die aktive Hilfe ihres iranischen Mentors und ihrer syrischen Schutzmacht zu stützen vermag, sehen israelische Führer heute in ihr "die größte Gefahr" für ihren Staat. "Die Hisbollah ist die aggressivste Terrororganisation der Welt", wettert Israels Verteidigungsminister Benjamin Ben Elieser und Außenminister Shimon Peres stellt alarmiert fest, dass die Organisation neue iranische Raketen im Süd-Libanon stationiert habe, die "tief ins Herz Israels" zielen könnten. Sie verwandle "den Libanon in einen Ball aus Sprengstoff". Hisbollah begründet die Aufrüstung mit der "legitimen Notwendigkeit", sich gegen die regelmäßigen Verletzungen libanesischer Lufthoheit durch israelische Kampfflugzeuge zu wehren.

"Terror-Unterwelt"

Israel gewann auch US-Präsident George Bush dazu, diese Guerillaorganisation als "Teil der Terror-Unterwelt" zu klassifizieren. Hisbollah spürt den wachsenden Druck. Offiziell heißt es zwar, "wenn Amerika uns kritisiert, stört uns das nicht im Geringsten", so Scheich Nabil Qaouk, Kommandant für den Süden. "Wir sehen darin einen Beweis für die Glaubwürdigkeit unserer Strategie zur Erreichung unserer Ziele." Doch zugleich versucht die Führung der Partei, die Supermacht nicht über Gebühr zu provozieren und die Harmonie mit dem libanesischen Staat nicht zu stören.

So schwenkte Hisbollah etwa in der Rauschgiftfrage um. Noch vergangenen Herbst hatten ihre Führer die notleidenden Bauern in der Bekaa in der Produktion von Haschisch bestärkt. Nun will auch Hisbollah mit Rauschgift absolut nichts zu tun haben. Dass sich jene Organisation, die in den achtziger Jahren westlichen Bürgern den Schauer über den Rücken jagte, gewandelt hat, das bescheinigte sogar die Europäische Union, als sie jüngst die "Partei Gottes" nicht auf eine Liste von Terrororganisationen setzte. Seit den Achtzigern dürfte Hisbollah tatsächlich in keine Gewaltakte verwickelt gewesen sein, die nicht in Zusammenhang mit dem Kampf gegen die israelische Besatzungsmacht standen.

Kampf um Jerusalem

Der fortgesetzte Kampf gegen Israel - offiziell mit der anhaltenden Besetzung des umstrittenen Shebaa-Farmlandes begründet - zählt bis heute zum Selbstverständnis der Hisbollah. Dabei geht es in Wahrheit gar nicht um Shebaa, das die uno als syrisches, und nicht libanesisches, Territorium klassifiziert. Es geht der Hisbollah vielmehr darum, ihren wichtigsten Daseinszweck nicht zu verlieren, nicht im Alltag libanesischer Politik zu verkommen. Generalsekretär Hassan Nasrallah will "seine" Hisbollah vielmehr als "Vorhut" im Kampf um die Befreiung Jerusalems sehen: "Die Partei wird weiterhin auf dem Pfad des Dschihad (des heiligen Krieges) wandeln", stellt er klar. Wenn sie (die Amerikaner) "von allen Seiten das Feuer gegen uns eröffnen, werden sie kein Kind und keine Frau in der Hisbollah zum Erzittern bringen."

Wiewohl sich die Hisbollah als Modell für die palästinensische Intifada präsentiert, leugnet Yaghi entschieden jede Hilfe an die Palästinenser mit Waffen oder Geld. Doch dass das von der Hisbollah geführte Satelliten-Fernsehprogramm "Al-Manar" auf die Moral der kämpfenden Palästinenser beträchtlichen Einfluss ausüben dürfte, will Yaghi nicht bestreiten. All dies aber, wiederholt der behäbige Parlamentarier, habe mit Terror absolut nicht zu tun. "Wenn wir von Terror sprechen, so waren es die Israelis, die damit begonnen hatten, als sie 1982 im Libanon einmarschierten." Und was weiß er von Imad Mugniyeh, nach Osama Bin Laden der von den Amerikanern meistgesuchteste Terrorist, auf den Washington ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar ausgesetzt hat? Yaghi überhört die Frage und als sie die Gesprächspartnerin wieder stellt, verbirgt er seinen Ärger nicht. Habe er es hier mit einer Geheimagentin zu tun, kontert er böse. Auch Yaghi sucht zu der seit Jahren betriebenen Strategie der Hisbollah Zuflucht, sich ihrer düsteren Vergangenheit durch unverhohlenes Leugnen entziehen zu wollen.

Allianz mit El Kaida?

Imad Mugniyeh, dessen Familie ein friedliches Dasein in der Bekaa fristet, gilt als Drahtzieher einiger der brutalsten Terrorakte der achtziger Jahre, darunter jene Bombenexplosionen in Beirut, die die Amerikaner zu dem so demütigenden Abzug ihrer Friedenstruppe aus dem Libanon zwangen. Mugnieh war damals Geheimdienstchef der Hisbollah, die jedoch - im Gegensatz zu heute - nicht straff organisiert war. Häufig, so wissen westliche Geheimagenten, habe Mugniyeh, der eine winzige Gruppe von Terroristen unter dem Namen "Islamischer Dschihad" anführte, eigenständig, doch offenbar stets in direkter Absprache mit dem iranischen Geheimdienst agiert.

Die heutigen Hisbollah-Führer haben mit diesem Terror nichts zu tun. Und sie lehnen ihn - so betonen sie immer wieder - auch entschieden ab. Heftig kritisieren sie auch Bin Laden und die Anschläge in den usa. "Wir sind gegen solche Terrorakte", betont Yaghi. "Wir haben nichts gegen das amerikanische Volk, es ist unschuldig und verdient solche Gewaltakte nicht". Zugleich erinnert der Hisbollahführer aber voll Bitterkeit daran, dass die USA niemals ihre Sympathie für die libanesischen Opfer - "die zahllosen Zivilisten" - israelischer Angriffe gezeigt hätten. Und er weist Behauptungen der Israelis, El Kaida Terroristen wollten mit Hilfe der Hisbollah in der Bekaa ihr Lager einrichten, empört zurück. Auch unabhängige Kenner der "Partei Gottes" in Beirut halten eine Allianz zwischen Hisbollah und El Kaida für höchst unwahrscheinlich. Hisbollah hatte in der Vergangenheit häufig die extrem radikale und brutale Politik der gestürzten afghanischen Taliban angeprangert.

Der Konflikt zwischen Washington und der Hisbollah treibt die Regierung in Beirut zunehmend in die Enge. In seltener Einmütigkeit wehren sich die politischen und wirtschaftlichen Kräfte des Landes, gegen die Forderung der Amerikaner, die Finanzquellen der Organisation einzufrieren. Die Regierung will sich nicht den Zorn der Supermacht zuziehen, doch sie will - so wie die syrische Hegemonialmacht - auch die wichtige Karte Hisbollah im ungelösten Konflikt mit Israel nicht verlieren.

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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