Der Graben zwischen Islam und Islam

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Der Nahe Osten steht vor einer seiner größten Herausforderungen: Wie mit der Atommacht Iran umgehen? Das ist ein strategische und eine religöse Frage.

Eines kann dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu sicher nicht vorgeworfen werden: dass er nicht jede Gelegenheit nutzen würde, Alliierte für die israelische Politik gegen den Iran zu finden - und das nicht erst seit heute. Es begab sich im Frühjahr 2010 in Moskau, dass der israelische Premier seinem damals noch in Amt und Würden stehenden griechischen Amtskollegen Georgios Papandreou ansichtig wurde. Quasi im Einander-die-Klinke-in-die-Hand-Geben bei Wladimir Putin. In der Sekunde schlug Netanjahu dem Griechen ein vertrauliches Gespräch in Moskaus bestem Restaurant, dem Pushkin, vor. Dort war aber nicht von den Staatsschulden und den Ausmaßen des griechischen Schuldensumpfs die Rede, sondern vom Iran.

Griechenlands alter Rivale Türkei, so Netanjahu würde sich aufgrund der atomaren Rüstung des Iran entschließen müssen, gleichzuziehen - dann sei Athen quasi einer atomaren Bedrohung ausgesetzt.

Zwei Jahre später steht das Atomprogramm des Iran unmittelbar vor seinem Abschluss. Auch an den Warnungen Israels vor einem Wettrüsten im Nahen Osten hat sich nichts geändert. Die Einschätzungen werden auch von vielen unabhängigen Experten geteilt (siehe auch FURCHE). Hat sich also nichts verändert, außer dass die Welt mit jedem Mal noch aufgescheuchter reagiert, wenn der Iran wieder eine höhere Stufe der Urananreicherung vermeldet?

Doch, es hat sich Entscheidendes verändert. Die arabische Rebellion hat die Position und die Allianzen der politisch Beteiligten an dem regionalen Machtpoker grundlegend verändert. Die berechenbaren Despotien sind entweder jungen Demokratien oder instabilen Übergangsstadien gewichen. In dieser Situation macht nicht mehr beispielsweise die Politik des türkischen Militärs die entscheidenden Schritte im Machtdialog, sondern religiöse Allianzen und Seilschaften, die sich aus jahrhundertealten Traditionen nähren.

Verschobene Fronten

Die Hauptfront in dieser Auseinandersetzung verläuft nicht mehr zwischen Israel und der arabischen Welt, sondern zwischen dem schiitischen Iran und den sunnitischen Regimen und Demokratien des Nahen Ostens.

Das trifft derzeit am augenfälligsten auf den Bürgerkrieg in Syrien zu. Bashar al Assad war jahrelang sowohl ein enger Alliierter der Mullahs in Teheran als auch der von der sunnitischen AKP regierten Türkei. Dieses Bild hat sich vollständig gewandelt. Die Türkei bezieht offen für die sunnitische Bevölkerungsmehrheit und die Aufständischen Stellung, während der Iran mit Russland zum letzten Rückhalt des Assad-Clans wird.

Iranische Schergen

Beinahe triumphierend zeigten die Rebellen unlängst sieben in schwarze Kampfanzüge gekleidete Männer, die sie als Angehörige der iranischen Revolutionsgarden bezeichneten. Sie hätten die Regierungstruppen aktiv im Kampf gegen Zivilisten in der syrischen Stadt Homs unterstützt. Ein Beamter des US-Geheimdienstes gab gegenüber dem Sender Gulfnews an, es habe Lieferungen von technischen Geräten und Überwachungstechnologie gegeben. CIA-Quellen berichten außerdem von "mindestens einem“ Besuch des Kommandeurs der iranischen Quuds-Eliteeinheiten, Quasim Sulaimani in Damaskus. Der Iran dementierte jede Teilnahme am Krieg. Doch die Rechtfertigung aus Teheran mutet seltsam an. Die sieben Festgenommenen wären demnach Atomingenieure in friedlicher Mission gewesen. Es wurde leider nicht näher ausgeführt, was im militärischen Nahkampf sachkundige Atomingenieure in einem Land suchen, das weder Atomreaktoren noch -waffen besitzt und schon gar nicht in Homs. Demgegenüber haben Überläufer aus dem Assad-Regime übereinstimmend berichtet, der Iran habe Hunderte "Berater“ zur Niederschlagung der Rebellion entsandt.

Sunnitische Solidarität

In der sunnitischen Welt fallen solche Meldungen jedenfalls auf fruchtbaren Boden. In der Türkei ebenso wie im Libanon und in dem von der sunnitischen Hamas kontrollierten Gazastreifen und in Ägypten gibt es seit Wochen von religiösen Gruppen gesteuerte Massenproteste gegen das schiitisch gestützte Assad-Regime. Der neue Chef des außenpolitischen Ausschusses des ägyptischen Parlaments, Essam al-Arian, Mitglied der sunnitischen Muslimbruderschaft, der in der Vergangenheit stets mit der Forderung nach der Zerstörung Israels aufgefallen ist, hat ebenfalls einen neuen Gegner ausgemacht: "Das Regime in Teheran wird an einer Revolution von innen zugrundegehen“, sagt al-Arian.

Das ist für den Nahostexperten Barry Rubin ein wichtiges Signal. In einer Analyse für die Jerusalem Post kommt Rubin zu dem Schluss: "Die Muslim Brotherhood weitet ihre Einflussbereiche stark aus. Sie kontrolliert den Gaza-Streifen, Tunesien und Libyen und unterhält starke Gruppen in Syrien und Jordanien.“

Zum Teil wird diese Entwicklung seit Jahren von den Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten im Irak gefördert, die in den vergangenen Jahren durch wechselseitigen Terror Tausende Tote gefordert haben. Auf dieser Grundlage ergibt sich auch für den möglichen Militärschlag Israels gegen den Iran ein geändertes Szenario: Der öffentliche Aufschrei in den arabischen Staaten wäre vielleicht nicht so grell wie erwartet und würde sich in den Hinterzimmern der Macht in Kairo, Riad oder Amman vielleicht sogar in Applaus verwandeln. Aber was würde das nutzen, wenn Israel in der Zwischenzeit durch iranische Gegenschläge und die Raketen der Hisbollah in Trümmer zerfällt?

Eine Parlamentswahl, die nicht viel ändert

Im Iran steuert das Bündnis der verschiedenen konservativen Gruppierungen nach Auszählung von 93 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit im künftigen Parlament an. Wahlsieger ist der derzeitige Parlamentspräsident Ali Larijani, der in seinem Wahlkreis Ghom mit großer Mehrheit gewählt wurde. Die Prinzipalisten fühlen sich den Prinzipien der islamischen Revolution von 1979 verpflichtet. Die Konservativen werfen dem Staatschef vor, er wolle mit einem nationalistischen Kurs die Macht und den Einfluss des Klerus beschneiden. Larijani ist ein enger Berater des obersten Führers Ali Khamenei und steht dem religiösen Klerus des Landes nahe.

Ein Analyst in Teheran erklärt den Ausgang der Parlamentswahl für die politische Zukunft des Iran und sieht das Volk als eigentlichen Verlierer: "Es gab ja eigentlich nur die Auswahl zwischen Ahmadinejad und Larijani, der als Platzhalter (...) Khameneis fungiert. Da diejenigen, die zur Wahl gegangen sind, eher enttäuscht vom Wirtschaftskurs des Präsidenten waren, haben sie das geringere Übel Larijani gewählt. Das bedeutet, dass Ahmadinejad für seine restliche Amtszeit am Abstellgleis regieren wird, denn sowohl Larijani als auch Khamenei haben sich längst von Ahmadinejad abgewandt und profitieren nun von dieser Denkzettelwahl für den ehemaligen Robin Hood der politischen Bühne des Landes“, so der Analyst. (APA)

Anti-Schia Nicht zufällig finden die größten organisierten Kundgebungen gegen das Regime des syrisch-alawitischen Präsidenten Assad in Kairo, Gaza oder Alexandria statt. Die Muslimbruderschaft stellt sich dort offen gegen den Iran und seine Verbündenten.

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