Die „Schlacht“ vor Gaza und ihr Verlierer Israel

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Israel hat mit seiner tödlichen Militäraktion die Staatengemeinschaft schockiert und einen seiner wichtigen Partner, die Türkei, endgültig vergrämt. Auch intern steigt die Kritik an den Auswüchsen des Gaza-Kriegs.

Ein Kommentator der Zeitung Yisrael Hayom meinte schon vergangenen Sonntag in weiser Voraussicht: „Das ist eine Flotte unter dem Kommando von internationalen Organisationen und Menschenrechtskämpfern. In einem Krieg zwischen ihnen und einem Land, wird das Land immer verlieren.“ Tatsächlich hat Israel in den frühen Morgenstunden des Montag mit der blutigen Kaperung von sechs Schiffen mit Hilfsgütern für den von Israel abgeriegelten Gazastreifen verloren: Es hat alle Vorurteile seiner Gegner einzementiert und neue Feinde dazugewonnen. Unbenommen der Tatsache, dass es unter den friedensbewegten Zivilisten Personen gab, die die Soldaten massiv attackierten - mit Steinschleudern, Metallstangen und ähnlichen Waffen. Doch wie immer der Einsatz von Schusswaffen im nachhinein gerechtfertigt wird, übrig bleibt nach Ansicht von Politikern und Sicherheitsexperten eine in allen Punkten katastrophale Bilanz: Ein unverhältnismäßiger und stümperhaft ausgeführter Militäreinsatz mit neun toten Zivilisten, mehr als vierzig Verletzten und eine diplomatischen Krise, die das Verhältnis der westlichen Staatengemeinschaft zu Israel auf Dauer prägen wird.

Bruch mit der Türkei

Jenseits der menschlichen Tragik und des ramponierten Rufs dürfte sich aber der endgültige Bruch mit dem einstigen Verbündeten Türkei langfristig als strategisches Desaster erweisen. Denn die Türkei pflegte offiziell und mehr noch im Verborgenen militärische und geheimdienstliche Kontakte mit Israel. Weil Ankara nun aber als Schutzmacht der „Gaza-Freiheitsflotte“ aufgetreten war, droht nun ein Regierungssprecher mit „beispiellosen und unkalkulierbaren Reaktionen“. Israels Rechtsregierung wiederrum warf dem türkischen Premier Recep Tajip Erdogan unverblümt die Unterstützung von Terrororisten vor. Der israelische Botschafter in Wien, Aviv Shir-On: „Wir haben die Türkei mehrmals ohne Ergebnis gebeten die Flotte nicht nach Gaza fahren zu lassen. Was liegt der Regierung in Ankara an einer Extremisierung?“ Der Konflikt zwischen Israel und der Türkei dreht sich allerdings nicht nur um sechs Schiffe im Mittelmehr. Vor allem die vermittelnde Position Ankaras im Streit um das Nuklearprogramm des Iran sah die Regierung von Benjamin Netanjahu mit „Beunruhigung und Besorgnis“ (Botschafter Shir-On). Ankara hatte angeboten, angereichertes Uran des Iran zwischenzulagern und darüber hinaus einen Zehn-Milliarden-Dollar-Handelsvertrag mit Teheran geschlossen.

Ankaras Gaza-Offensive

Als Teheran im Gazakonflikt auch noch offen für die Palästinenser Partei ergriff (im Gegensatz zu den meisten arabischen Staaten), kam es schließlich zum Eklat. Premierminister Erdogan ließ sich mit dem Satz vernehmen, Israel gefährde die Sicherheit in der Region, die Türkei werde das nicht dulden. Die neue Rechtsregierung Israels vergalt das mit einer Brüskierung. Im Konflikt um eine angeblich antisemitische Krimiserie im türkischen Fernsehen wurde der türkische Botschafter ins Außenministerium zitiert. Die offiziellen Fotos von diesem Termin zeigen einen türkischen Botschafter der auf einem um etliches niedrigeren Stuhl hocken muss, während er von Israels Vizeaußenminister belehrt wird. Die Türkei hat nach dem Drama vor Gaza ihren Botschafter heimbeordert und drei Militärabkommen mit Israel storniert.

Doch auch Israels Bürger sind zunehmend empört über die Armeeoperation vor der Küste und die Blockade des Gazastreifens. Der Schriftsteller und ehemalige Knessetabgeordnete Uri Avnery: „Dies ist ein Tag der Schande für den Staat Israel, ein Tag großer Besorgnis, an dem wir entdecken, dass unsere Zukunft einer Bande von schießwütigen verantwortungslosen Leuten anvertraut war. Dieser Tag ist ein Tag der grenzenlosen Schande, es ist der Tag, an dem die israelische Regierung den Namen des Landes in aller Welt verunglimpft hat, indem es überzeugende Beweise seiner Brutalität zu Israels schon schlechtem Image hinzufügt und damit die wenigen verbliebenen Freunde entmutigt und distanziert.“ Schlusswort Haaretz: „Wir verteidigen (in Gaza, Anm.) nicht mehr Israel. Wir verteidigen eine Belagerung, die Israels Vietnam werden könnte.“

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