Armes Israel - mit Blindheit geschlagen

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Die "Berliner Zeitung“ hält Benjamin Netanjahus Triumph in Washington für einen Pyrrhussieg, der den Interessen Israels schwer schadet.

Benjamin Netanjahu dürfte zufrieden mit seiner Reise nach Washington sein. Der US-Kongress hat ihn beklatscht, die amerikanischen Juden haben ihn umjubelt, der amerikanische Präsident ist vor ihm eingeknickt. All das hat Israels Regierungschef in Washington erreicht, ohne selbst auch nur einziges Zugeständnis machen zu müssen. Es wäre ein Triumph - wenn es nicht in Wahrheit eine Tragödie wäre. Denn in seiner unsäglichen Blindheit und Arroganz ist Netanjahu dabei, Israels beste Chance auf einen guten Frieden zu verspielen.

Netanjahu spielt nur auf Zeit

Einen neuen Friedensplan, eine Vision vom künftigen Zusammenleben von Israelis und Arabern hatte Netanjahu für seine Rede im Kongress angekündigt. Doch konkret wurde er immer nur dort, wo er gegen die Palästinenser Stellung bezog: Nein zur Teilung Jerusalems, Nein zu den Grenzen von 1967, Nein zur Aufgabe der größeren Siedlungen, Nein zum Abzug aus dem Jordan-Teil, Nein zur Rückkehr von Flüchtlingen. Tatsächlich spielte Netanjahu in Washington nur auf Zeit.

Welch ein Fehler! Denn in Wahrheit ist die Zeit überhaupt nicht auf Israels Seite. Wenn nicht bald Friedensgespräche in Gang kommen, werden die Palästinenser womöglich im September ihren eigenen Staat ausrufen. Auch in Europa erwägen zahlreiche Regierungen die Anerkennung dieses Palästinenserstaates. Durch den Umbruch in der arabischen Welt hat dieser Prozess ungeheuer an Wucht und Geschwindigkeit gewonnen. Ägyptens Diktator Mubarak wurde gestürzt. Seine Nachfolger wollen sich nicht mehr als Gefängniswärter für den Gaza-Streifen betätigen. Und entgegen aller Erwartungen haben sich Fatah und Hamas auf die Bildung einer gemeinsame Übergangsregierung geeinigt - zum Entsetzen der israelischen Regierung.

Vor allem aber stärkt der arabische Frühling den moralischen Anspruch der Palästinenser auf einen eigenen Staat. US-Präsident Barack Obama bekräftigte in der vergangenen Woche, dass die Völker in der arabischen Welt das Recht auf Selbstbestimmung haben. Was aber für Tunesien, Libyen oder Syrien gelten soll, kann den Palästinensern nicht auf Dauer verweigert werden. Zum Nakba-Tag am 15. Mai, an dem die Palästinenser die Gründung des israelischen Staates betrauern, kam es zu Massendemonstrationen. Hunderte von palästinensischen Flüchtlingen drangen aus Syrien in den israelisch besetzten Golan ein, über eine Grenze, die 38 Jahre lang dicht war. Für die erschreckten Israelis war es ein Vorgeschmack auf das, was nach der Staatsausrufung zu erwarten sein könnte.

Obama, Merkel, Cameron - sie alle verfolgen mit Sorge, wie sich die Ereignisse beschleunigen; sie alle bedrängen Netanjahu, so schnell wie möglich Frieden zu schließen. Jedenfalls hat Netanjahu eine Mehrheit der Israelis hinter sich, wenn er Kompromisse ablehnt. Genauso gilt das, urteilt man nach den stehenden Ovationen, die der israelische Premier gestern erhielt, für die wichtigsten Politiker im US-Kongress.

Ein Triumph mit Nachgeschmack

So fehlt Präsident Obama im eigenen Land der Rückhalt, Netanjahu zum Frieden zu zwingen. Jetzt führte er den amerikanischen Präsidenten ein weiteres Mal vor, als der verlangte, für einen Friedensschluss von den 1967er Grenzen auszugehen. Netanjahu bürstete ihn vor laufenden Kameras ab. Aber kann es wirklich in Israels Interesse sein, seinen wichtigsten Verbündeten auf diese Art zu schwächen? Netanjahu hatte seinen Triumph in Washington. Doch sein Land wird noch lange dafür bezahlen.

* Aus "Berliner Zeitung“, 25. Mai 2011

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