Ganze zwölf Stunden hat sich der israelische Premier Netanjahu Zeit gelassen, bis er dem neu gewählten US-Präsidenten Biden gratulierte. Dabei ist Biden ein erklärter Freund Israels. Aber Netanjahu weiß, so leicht wie mit seinem „Best Buddy“ Trump wird er es mit Biden nicht haben. Kein anderer Staatschef hat wie Netanjahu seine Nähe zu Trump zelebriert. Kein anderer hat so von dessen Unterstützung profitiert. Trump hat die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt, Israels Souveränität über die Golan-Höhen anerkannt, den Siedlungsausbau in den palästinensischen Gebieten unterstützt, sogar eine Annexion hätte er akzeptiert. Trump war egal, dass die Beziehungen zu der palästinensischen Autonomiebehörde kollabiert sind.
Statt mit den Palästinensern hat er für Israel Friedensdeals mit wirtschaftlich lukrativen Golfstaaten vermittelt. Dabei zeichnete sich allerdings schon ab, dass Netanjahu Realpolitik vor Freundschaft stellt. Nach dem Bahrein-Abkommen fragte Trump Netanjahu, ob er glaube, dass auch „der schläfrige Joe“ so etwas geschafft hätte. Nach kurzer Pause antwortete Netanjahu ausweichend, Israel schätze die Hilfe von jedem, der sich um Frieden bemühe. Nach dem Wahlergebnis in den USA hat sich Netanjahu wieder eine dramaturgische Pause gegönnt. Aber dann verwies er auf seine fast 40-jährige „herzliche Beziehung“ zu Biden und erklärte, er freue sich auf die Zusammenarbeit. Die Palästinenser freuen sich noch mehr.
Mit Biden, dem ehemaligen Vize von Obama, können sie wieder auf einen US-Fürsprecher in der Region hoffen, auf ein Nein zum Siedlungsbau und ein Zurück zum Versuch der Zwei-Staaten-Lösung. Das wird Netanjahu nicht gefallen. Vor allem aber fürchtet man in Israel, dass Biden den Atom-Deal mit dem Iran neu aufleben lassen will. Netanjahus Freundschaft mit Trump hat darin bestanden, sich gegenseitig zu bestätigen. Mit Biden kann er lernen, dass echte Freunde auch mal unangenehme Wahrheiten aussprechen.
Die Autorin ist Korrespondentin der ARD im Nahen Osten.