Trump - © Foto: APA / AFP / Brendan Smialowski

Amerika, ausgeträumt

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Die Wahlen in den USA haben das befürchtete Ergebnis gebracht: Unklarheit. Während Donald Trump mit allen Mitteln versucht, sich an der Macht zu halten, bleiben die großen Probleme des Landes ungelöst. Eine Bestandsaufnahme.

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Die Wahlen in den USA haben das befürchtete Ergebnis gebracht: Unklarheit. Während Donald Trump mit allen Mitteln versucht, sich an der Macht zu halten, bleiben die großen Probleme des Landes ungelöst. Eine Bestandsaufnahme.

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Wahre Visionäre brauchen keine Umfragen und keine politischen Analysen bei ihrem Gefühl für das, was kommen könnte. Wie wird Amerika in Zukunft aussehen? Wird nach dieser Wahl „nichts mehr so sein, wie es davor war“, wie es in den vergangenen Tagen so oft geheißen hat? Eine der dunkleren Antworten, die schon für die vergangenen vier Jahre gelten kann, aber auch für die Zukunft, hat Walt Whitman vor über 120 Jahren aufgeschrieben:

„Lasst die Reformer herab von ihren Podesten steigen,
lasst einen Geisteskranken auf jedem
dieser Podeste erscheinen,
lasst Richter und Verbrecher miteinander tauschen
lasst die Gefängnisaufseher ins Gefängnis stecken
lasst jene, die Gefangene waren, die Schlüssel nehmen.“

Es ist Whitmans Vision eines schlechteren Amerika, das aus dem guten Amerika steigt, das stets um Größe, Reichtum, Verbesserung bemüht war. Was, wenn nicht die vergangenen vier Jahre haben gezeigt, dass die USA ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch im Negativen ist. Wie nun weiter in den kommenden vier Jahren? Hier die wichtigsten Entscheidungszonen der amerikanischen Politik.

Zunächst natürlich Covid: Wenn der Kurs der Regierungspolitik weiterhin ein Laisser-faire bleibt, der selbst die kleinsten Schutzmaßnahmen wie Maskentragen in Frage stellt, werden bis Februar kommenden Jahres mehr als 300.000 Amerikaner an Covid gestorben sein. Schon jetzt sind es 230.000, beinahe ein Viertel der Gesamttodesopferzahl weltweit.

Republikanischer Abstieg

Die wichtigste vielleicht, die man jetzt schon als sicher behaupten kann: Donald Trump wird bleiben, wenn nicht als Person, so doch als Charaktertypus. Denn letzterer ist längst zum Mainstream im republikanischen Lager geworden. Eine Partei, die 1850 als Antisklaverei-Bewegung gegründet wurde, hat sich in den letzten Jahren nachweisbar immer mehr von ihren demokratischen Grundwerten entfernt. In einer großangelegten Studie der Universität Göteborg wurden die politischen Forderungen und die Sprache republikanischer Politiker einem internationalen Vergleich unterzogen. Ergebnis: Keine regierende konservative Partei war derartig illiberal wie die Republikaner der USA. Ihr am nächsten kam die rechtsnationalistische Fidesz von Ungarns Halbautokraten Viktor Orbán.

Diese Verschiebung einer Volkspartei ins hart rechtsnationale Lager mit allen Konsequenzen (Klimaleugnung, Corona-Skepsis, Wissenschaftsfeindlichkeit, Nähe zu rechtsextremen oder rassistischen Ideen) ist wohl die größte Hürde für die US-Politik und für die Nation an sich. Auch weil das Lager der radikalen Linken bei den Demokraten immer größer wird, die radikale Staatskritik üben und hinter jedem Gesetz Lobbyismus und Betrug vermuten. Dadurch wird auch ohne Trump der Konsens schwierig.

Der amerikanische Traum erschöpft sich gerade in politischem Abenteurertum, das durch eine langsame Abwendung
der Republikaner von der Demokratie befeuert wird .

Bei den Republikanern geht diese Auflösung des politischen Zentrums auch mit einer Erosion von Werten einher, die Präsident Trump geradezu inkarniert. Es war der Schauspieler Matthew McConaughey, der das jüngst auf den Punkt brachte, ohne Trump zu explizit zu erwähnen. „Vieles ist vergessen: Dass man nicht lügt, nicht aufgibt, einander hilft.“ Und weil dies nicht mehr so ist, sind auch moderne Medien ein reicher Nährboden für Fake News geworden. Doppelt tragisch, dass ausgerechnet der Präsident der Vereinigten Staaten ihr Hauptverbreiter ist. Eine Studie einer US-Universität fand heraus, dass 68 Prozent aller Verschwörungstheorien über Corona allein über einen Namen liefen: Donald Trump via Twitter und Facebook.

Reicher und ärmer

Diese politische Spaltung wird erzeugt von einem immer stärker werdenden Riss im sozialen Gefüge. Der amerikanische Mittelstand mit seinem Traum vom Aufstieg zu Reichtum und Glück durch harte Arbeit ist Geschichte. Das Gehalt der unteren Hälfte der Einkommenspyramide ist in den vergangenen zehn Jahren um fast 9.000 Dollar gesunken, während die Reichen ihr Vermögen verdoppeln konnten.

Aufstiegschancen? Kaum gegeben: Von horrenden Studiengebühren über eine massive Überschuldung der Privathaushalte bis zur Erzeugung eines rassistischen Quasi-Kastensystems, aus dem es für Minderheiten wie etwa die zehn Prozent Schwarzen in den USA kaum ein Entrinnen gibt. Diese Probleme zeigen sich überall, selbst in der Erkrankungsrate bei Covid, die bei Schwarzen und Latinos um das Doppelte höher ist als bei Weißen.

Unter dem Eindruck solcher Spannungen eine breite Öffentlichkeit vom Klimaschutz zu überzeugen, davon, dass der Konsum von Öl und fossilen Brennstoffen zurückgehen muss; dass diese Verbrauchssenkungen auch mit persönlichem Sparwillen verbunden sein müssen – das ist von einer Ökonomie nicht zu erwarten, deren Mitglieder sich in derartiger Abstiegsgefahr befinden.

China, der große Konkurrent

Dass große Anteile für diesen Abstieg von China verantwortet werden, das den Produktionsstandort USA ausgetrocknet hat und nun daran geht, auch die Digitalisierung an sich zu ziehen, ist globalpolitisch eine der großen Herausforderungen für jede kommende Administration. Auf Bloomberg-News wurde der Hedgefondmanager und Wirtschaftsexperte Ray Dalio (er ist selbst Milliardär) gefragt, wie man sich das Verhältnis zu China denn
ohne Donald Trump vorstellen könnte.

Seine überraschende Antwort: „Die Fundamente dieses Konlfikts werden sich auch ohne Trump nicht ändern. Eine Weltmacht wird hier von einer aufstrebenden Macht herausgefordert“. Der Handelskonflikt bliebe auch mit besserer Diplomatie und gemäßigteren Tönen voll aufrecht, man müsse darauf achten, nicht in einen regionalen Konflikt zu schlittern. Dalio bezieht sich dabei auf Territorialkonflikte im südchinesischen Meer oder die Stellung Taiwans. Tatsächlich deutet nichts auf eine Normalisierung des Verhältnisses hin, das letztlich auch von der Menschenrechtslage in China selbst empfindlich gestört wird. In diesem Zusammenhang ist längst auch von einem neuen kalten Krieg die Rede.

Das alles wirkt auf die Konjunktur der USA zurück. Covid wird der Ökonomie durch den neuerlichen Einbruch eine doppelte Rezession bescheren und die Staatsschulden erneut in die Höhe treiben, die Arbeitslosigkeit ebenso. Die höchste Verschuldung der Nachkriegszeit dürfte 2023 mit 107 Prozent des BIP erreicht werden. Und das ist erst der Beginn. Der Kongress hat bis 2050 eine Überschuldung von 195 Prozent des BIP errechnet und dringend um Finanzdisziplin gebeten. Da war allerdings noch nicht von Covid die Rede. In diesem Zusammenhang wird es die US-Bürger doppelt treffen, denn gerade hier schlägt eine Gesundheits- und Jobkrise durch das Fehlen effizienter Sicherungssysteme besonders hart zu. In diesem Sinn ist auch nachvollziehbar, dass die Weigerung Trumps, einen Lockdown zu unterstützen, von vielen Wählern, die nicht den Risikogruppen angehören, begrüßt wurde.

Doch über all den Aktualitäten und brennenden Fragen, mit denen die nächste Administration unter welchem Präsidenten auch immer zu tun haben wird empfiehlt sich noch der eine oder andere Blick in die Zukunft aus der Poesie der Vergangenheit. Denn Dichtung muss nicht blumig, sie kann auch gnadenlos sein mit allen die sich in der Politik allzu wichtig nehmen. Walt Whitman:

„Der einmal Präsident war,
wurde begraben,
und der jetzt Präsident ist,
er wird unweigerlich begraben.“

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