Proud Boys - © Foto: APA/AFP/Maranie R. Staab

USA: Milizen, Nazis und Putschisten

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Hinter einem kitschigen Heldenethos der USA blüht schon seit Jahren eine zunehmende Zahl radikaler Milizen, die − vom Präsidenten hofiert − nun auch schon daran gehen, Attentate auf demokratische Politiker zu planen. Blick in einen Abgrund.

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Hinter einem kitschigen Heldenethos der USA blüht schon seit Jahren eine zunehmende Zahl radikaler Milizen, die − vom Präsidenten hofiert − nun auch schon daran gehen, Attentate auf demokratische Politiker zu planen. Blick in einen Abgrund.

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Ach, wäre es doch nur so einfach. Einen Ehrenhain für die Helden Amerikas wollte US-Präsident Donald Trump errichten. Einen Park. Einen mit Statuen. Dreißig an der Zahl. Realitätsgetreu und nicht abstrakt. Soweit die Vorgaben. Und Trump suchte sich einen durchaus symbolträchtigen Ort für die Verlautbarung seiner Idee im Juli dieses Jahres aus: Mount Rushmore, wo die Gesichter George Washingtons, Thomas Jeffersons, Theodore Roosevelts und Abraham Lincolns in den Berg gehauen sind. Das 1941 fertiggestellte Monument stellt die zum damaligen Zeitpunkt als am bedeutendsten betrachteten Präsidenten dar. Böse Zungen scherzten, Trump sehe in diesen Berg gehauen am liebsten aber doch nur ein Gesicht: das seine.

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Als „Heiligenschrein der Demokratie“ gilt Mount Rushmore auch. Eine Demokratie, deren präsidialer Hüter Donald Trump aber ausdrücklich keine friedliche Amtsübergabe garantiert (und schon in der Wahlnacht begann von Betrug zu sprechen während er gleichzeitig die Auszählung der Stimmen blockieren wollte). Eine Demokratie auch, in der sich in den vergangenen Jahren in steter Regelmäßigkeit bis an die Zähne bewaffnete Milizen gegenüberstanden.

Über das Gewöhnliche hinaus

Und mehr noch: Es gab Anschläge Rechtsextremer, es gab Aufmärsche rechtsradikaler Milizen, es gab Morde, es gab Polizeiübergriffe mit Toten, die seitens des Präsidenten in keiner Weise kommentiert wurden, es gab Kundgebungen, es gab gewalttätige Ausschreitungen. Und da steht sie nun, die amerikanische Demokratie: Mit einem Präsidenten an der Spitze, der sich in der ersten der zwei TV-Debatten mit dem Demokraten Joe Biden vor laufenden Kameras weigerte, sich von neonazistischen und rechtsextremen Gruppen zu distanzieren. Stattdessen rief er ihnen zu: „Haltet euch zurück, bleibt bereit.“

Um im Nachsatz die Einstufung der Antifa als Terrorgruppe zu fordern. Im rechtsextremen Lager konkret angesprochen war da die Gruppe „Proud Boys“, eine Organisation, die zuweilen auch als Schattenarmee Trumps bezeichnet wird. Die „Proud Boys“ sind aber keinesfalls eine Alt-Nazi-Miliz oder eine RedneckTruppe ultrakonservativer Schule. Zumindest nach Außen nicht. Sie spielen viel eher mit Hipster-Ästhetik, kommunizieren auch mal mit Witz, sind dann aber beinhart in der Sache und keineswegs zimperlich im Umgang mit politischen Gegnern. Im Wahlkampf etwa gingen Mails unter dem Namen der Gruppe mit folgendem Inhalt hinaus: „Du wirst am Wahltag für Trump stimmen, oder wir werden dich jagen.“ Ob die Mail tatsächlich von der Gruppe kam, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Sie passt aber in ein generelles Bild.

Die Eskalation von Charlottesville machte klar, wie eng die Verbindung zwischen Trump und dem rechten Rand ist.

Denn nachgewiesen sind persönliche Kontakte zwischen „Proud Boys“ und etwa Angehörigen des Netzwerks „Atomwaffen-Division“, bekannt auch als „National Socialist Order“. Das ist eine als Terrororganisation eingestufte Neonazi-Gruppe, die schon in ihrem Programm bis zum Letzten geht: Da wird Osama bin Laden idealisiert, die Al Kaida als Vorbild für den eigenen Kampf gepriesen, der Märtyrertod propagiert, die taktische Sprengung von Atomkraftwerken als legitim eingestuft und der Umsturz von Bundesstaats-Regierungen als Strategie vorgegeben. Auch bei den Protesten von Charlottesville 2017 waren die „Proud Boys“ in Erscheinung getreten. Damals kam es rund um einen Aufmarsch neonazistischer Gruppen zu schweren Ausschreitungen. Schließlich raste der Neonazi James Alex Fields mit einem Auto in eine Gegendemo. Eine Person wurde getötet, 19 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Charlottesville, das war die erste große Eskalation in diesem seit lange schwelenden Streit. Vor allem aber: die erste unter Trump.

Eskalation unterm Hakenkreuz

Dass Trump seine Wahl zu einem beträchtlichen Teil der Alt-Right-Bewegung, also der Alternativen Rechten, einer neurechten Strömung, zu verdanken hat, dass er ihre Codes bediente, das war bekannt. Aber Charlottesville und die dortige Eskalation unter Hakenkreuz- und Konföderierten-Flaggen, das war ein Lackmustest: Wie weit würde er diesem Lager tatsächlich die Stange halten? Würde er sich positionieren? Und das tat er in einer für spätere Maßstäbe bemerkenswert diplomatischen Art: Er machte beide Seiten für die Gewalt verantwortlich. Dabei hatte der Marsch der Ultrarechten in Charlottesville einen konkreten Anlass: Die angedachte Entfernung eines Denkmals von General Robert E. Lee, während des amerikanischen Bürgerkrieges Oberbefehlshaber der Armee von Nord-Virginia, der zentralen Streitkräfte der Südstaaten.

Drei Jahre später nun fallen Statuen wie Bauern in einem Schachspiel: Charles Linn (Kapitän in der Konföderierten-Marine) in Birmingham, Robert E. Lee in Montgomery, ein Denkmal für die Konföderierten in North Carolina, Albert Pike (Offizier der Konföderierten) in Washington, ein Konföderierten-Denkmal in Silver Spring, eine Konföderierten-Statue in Frederick, Benjamin Welch Owens (Artillerist der Konföderierten) in Maryland, ein Konföderierten-Denkmal in Seattle, Didier Dreux (Offizier der Konföderierten) in New Orleans und so weiter; aber auch eine Statue von Frederick Douglass (der Sklaverei entkommener Schriftsteller und Vorkämpfer für die Rassengleichheit) in Rochester wurde zum Ziel – all diese Denkmäler wurden im Zuge von Protesten alleine in diesem Jahr gestürzt. Weit mehr wurden von Stadtverwaltungen, Gouverneuren, Eigentümern oder auf Gerichtsbeschluss entfernt. Was da ins Wanken geraten ist, ist aber nicht weniger als das Selbstbild einer ganzen Nation.

Umstritten war die Deutung der Geschichte der USA immer. Und der Bürgerkrieg, der war immer eine Bruchlinie. Die Gräben zwischen Washington gegenüber misstrauischen, der Zentralregierung abgewandten bis hin zu separatistischen Strömungen und einem eher auf föderalen Ausgleich abzielenden, durchaus aber auch im Sieger-Habitus verharrenden, Washington-zentrierten Staatsverständnis waren immer tief. Kaum jemals zuvor war die Geschichte der USA aber derart präsent in der politischen Gegenwart. Und selten zuvor war das Gewaltpotenzial derart hoch. Vor allem aber: An der Spitze ein Präsident, der offen aussprach, dass es keine Machtübergabe an Biden geben werde, sollte er, Trump, verlieren – also eine klare Absage an das fundamentalste aller demokratischen Prinzipien: Eine Machtübergabe von A an B nach geordneten Modalitäten.

Dass das FBI erst Anfang Oktober ein Komplott aufdeckte, wonach Extremisten planten, die demokratische Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, zu entführen und zu ermorden, verdeutlicht das Potenzial solcher Ansagen. Und die Eskalation in Michigan hat eine Vorgeschichte: Bereits im Mai hatten schwer bewaffnete Miliz-Kämpfer das dortige Regionalparlament besetzt. Oder anders gesagt: Sie wurden eingelassen, nachdem Sicherheitskräfte ihre Körpertemperatur testeten. In Michigan ist es erlaubt, auch im Inneren des Parlaments Waffen zu tragen. Anlass des „Sturms“ waren Lockdown-Regelungen. Und Trump? Der kommentierte die Besetzung auf Twitter mit den Worten: „Befreit Michigan.“ Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Maßnahmen und Widerstand dagegen; der Tod des Afroamerikaners Trayvon Martin im Zuge einer Polizeikontrolle, eskalierende Proteste und Trumps Entscheidung, Bundespolizei zu entsenden, die dann im militärischen Stil gegen Proteste vorging; sein gezieltes Schüren von Verschwörungstheorien – das ist das Klima, in dem diese Wahlen stattfanden - und noch tiefer in die Spaltung führten.

Herren des Gemetzels

Teils standen sich bei BML-Protesten Demonstranten mit Kindern, rechtsgerichtete Waffennarren, Polizei mit militärischer Ausrüstung sowie die schwarze Miliz „Not Fucking Around Coalition“ (NFAC) gegenüber. Über Letztere ist wenig bekannt. Der Chef der Miliz ließ wissen: „Wir sind eine schwarze Miliz. Wir sind keine Protestler, wir sind keine Demonstranten. Wir kommen nicht um zu singen, wir kommen nicht um zu skandieren. Das ist nicht das, was wir tun.“ Die Drohung ist klar, die mit dem Auftreten der NFAC seit dem Frühjahr einhergeht: Die Miliz fordert den Aufbau eines eigenen Staates. Und im Zuge der BLM-Proteste war es dann nicht zuletzt auch die NFAC, die maßgeblich die Demontage von Monumenten umstrittener Persönlichkeiten vorantrieb. Als dann Donald Trump am 3. Juli bei einer Feier zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli beim Mount Rushmore die Schaffung eines Heldengartens ankündigte, lagen die Nerven blank. Kritik kam postwendend: Dreißig Statuen großer Amerikaner sollte der Park laut Trumps Plan umfassen.

Darunter kein einziger Latino, kein einziger Indigener, kein einziger Demokrat.Schon der Ort der Verkündung, der Mount Rushmore, hat seine historischen Fallstricke: Der eigentliche Name des Berges könnte als „Sechs Großväter“ übersetzt werden. Er war Heiligtum der Lakota Sioux. Und er war ihr Gebiet: per Vertrag garantiert, mit Brief und Siegel aus dem Jahr 1868 verbucht. Dann wurde Gold gefunden. Die Region wurde besiedelt. Und 1890 gipfelten die Spannungen in einem Kampf, der als „Wounded-Knee-Massaker“ in die Geschichte einging. Da metzelte die US-Armee 300 unbewaffnete Indigene nieder. Später wurden dann die Gesichter von Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln „von Amerikanern für Amerikaner“ in den Stein gehauen. Der Protest Indigener, der blieb ungehört.

Der Autor ist freier Journalist.

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