7118031-1996_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Gewaltige Umwälzungen in der israelischen Gesellschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Das Bemerkenswerteste war die Vielfalt und der Grad der Einmischung von außen. Wer war da eigentlich nicht beteiligt? Zunächst gab es die massive Schützenhilfe von Präsident Clinton für Schimon Peres. Die USA-Botschaft kabelte tagtäglich lange Berichte nach Washington, die sogleich dem Präsidenten vorgelegt wurden. Clinton betonte immer wieder seine Sympathie und Unterstützung für den Friedensprozeß, der unter Babin begonnen und unter Peres weitergeführt wurde.

Auch PLO-Chef Jassir Arafat, Ägyptens Präsident Mubarak und weitere Stimmen aus Tunis, Algerien, Saudiarabien, Oman und anderen arabischen Ländern traten öffentlich für Peres ein. Der König von Marokko, Hassan der Zweite, engagierte sich förmlich für Peres, wandte sich an seine ehemaligen jüdischen Staatsbürger, die in Israel leben, und legte ihnen über das französische Fernsehen nahe, Peres zu wählen; dem gegenüber waren der jordanische König Hussein und der ägyptische Außenminister Amru Mussa viel vorsichtiger und hüteten sieh, sich allzu sehr zu exponieren. Die Stimme der Europäer wurde in diesem Konzert kaum beachtet, obwohl man in Israel natürlich wußte, daß alle europäischen Länder lieber Peres weiter an der Spitze der Begierung dem unbekannten und als national-extrem verschrienen Netanjahu vorziehen.

Peres stand für willfähriges Nachgeben

Aber dieser Schützenhilfe stand eine nicht minder eindrucksvolle und vor allem effektivere Front entgegen: Iran mit seinen Zweigstellen Hamas und Hezbolla, die dem Friedensprozeß unbedingt den Garaus machen wollten, neun palästinensische Organisationen mit Sitz in Damaskus und natürlich Lybiens Gadaffi. Für all diese waren beide Kandidaten gleich verteufelt und der Friedensprozeß ohnehin ein Greuel. Syriens Ässad spielte eine Art Versteckspiel, wobei er durchblicken ließ, daß er zunächst die Wahlergebnisse abwarte. Die fünf Sprengstoffattentate vom Februar dieses Jahres mit beinahe 70 Todesopfern, die der Iran mit Hilfe der Hamas-Selbstmörder vollbrachte, waren mit Sicherheit die wichtigste Weichenstellung für die Wahlen. Die Horror-Bilder der Leichen, das Klagen und Anklagen der Überlebenden und der betroffenen Familien, von Trauer und Weinen verzerrte Gesichter, die stunden- und tagelangen Berichte und Wiederholungen im Fernsehen, trugen ihren Teil zu einer Demoralisation und dazu bei, daß ein Großteil der Öffentlichkeit die Verantwortung der Begierung in die Schuhe schob und Peres für allzu willfähriges und rasches Nachgeben gegenüber Arafat bezichtigte. Mit den Februar-Sprengstoffanschlägen wurde der Mitleid- und Beue-Effekt aufgehoben, der nach dem Mord an Babin vom 4. November ausgelöst worden war und der Peres und der Arbeiterpartei große Sympathien und Verständnis für ihre Politik beschert hatte. Damit waren von neuem die gleichen Ausgangsstellungen erreicht, die seit 20 Jahren existieren: zwei ungefähr gleich große Blöcke, der Mitte-

rechte und Ultra-rechte, an dessen Spitze Begin, Schamir standen und nun Netanjahu steht, und der Mittelinks-Block geführt von der Arbeiterpartei, an deren Spitze Babin und Peres standen.

Diese beiden Blöcke halten sich auch jetzt die Waage, aber nur unter einer Bedingung, nämlich bei Stimmenthaltung der ultra-orthodoxen Wähler. Solange diese aus antizionistischen und anderen Gründen zumindest teilweise nicht zur Wahlurne gingen, standen die Chancen fifty-fifty für Links und Bechts. Nun befinden sich jedoch die religiösen und besonders die orthodoxen Parteien in ständigem Aufwind. Das hat seinen Grund in der hohen Geburtenrate, aber auch in der überproportional großen materiellen Unterstützung mit Steuergeldern, die religiösen

Schulen zugewendet werden, um sich bei Knessetabstimmungen die Gunst der Orthodoxen zu erhalten. Abgesehen davon gibt es in den letzten 20 Jahren eine beispiellos große Zahl von „Neuzuwendungen" zur Orthodoxie, die bereits bestimmt einige Zehntausende umfaßt. Das sind meist junge Juden, die aus einem religiösen Haus stammen, sich aber von der Beligion abgewendet haben und die nun wiederum von professionellen Anwerbern und Babbinern in die Beihen der „echten Gläubigen" „eingereiht werden, ähnlich übrigens einem Verfahren, wie es heute auch im Islam stattfindet. Stimmen also diese Gruppen einheitlich, können sie mit ihren zirka 150.000 Stimmen allein jede Wahl spielend entscheiden. Genau dies ist eingetreten und hat die jetzigen Wahlen entschieden. Der Architekt

dieser Entscheidung war, wie schon einmal vorher, der 98jährige Babbiner Schach, der die während der 48 Jahre seit Bestehen des Staates führende laizistisch-europäische Komponente des Zionismus tödlich treffen will. Von seinem Standpunkt aus war es absolut richtig, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Warum „Beelzebub"? Auch Netanjahu gehört dem gleichen gehaßten Establishment an und bringt nur gelegentlich und gezwungenermaßen ein Wörtchen wie „Mit Gottes Hilfe" über seine Lippen.

Zum politischen Gespür des greisen Babbiners Schach gesellten sich diesmal auch seine „Konkurrenten" von der „Chabad"-Bewegung. Der vor kurzem verstorbene berühmte „Babbi von Lubawitsch" - dem übrigens, wie sich erst jetzt herausstellte, Ädmiral Canaris das Leben rettete -und seine Bewegung sind aktive Befürworter der „Unteilbarkeit des Landes Israel". Ausgerüstet mit großen Geldmitteln warf auch der „Chabad" seine Anhänger in den Endkampf für Netanjahu und gegen Peres.

Wer wird die Siedler im Zaum halten?

Durchaus nicht alle religiösen Parteien sind Fanatiker wie die Anhänger des Babbiners Schach, im Gegenteil. Die Nationalreligiösen („Mafdal") konnten ihre Abgeordnetenzahl von sechs auf neun vergrößern, die „Schass"-Partei sogar von sechs auf elf. Die „Schass"-Partei unterstützte streckenweise die Begierung Babin und wäre auch im Falle einer Wiederwahl von Peres in seine Begierung eingestiegen, was übrigens auch beim „Mafdal" der Fall gewesen wäre.

Die Gleichgewichtskonstellation zwischen Orthodoxen und Laizisten hätte auch anders ausfallen können. In den letzten zehn Jahren kamen mehr als ein halbe Million Einwanderer aus den GUS-Ländern nach Israel. Diese Einwanderer fühlen sich zwar als Juden, jedoch kaum als Zio-nisten und zu 95 Prozent als nicht-religiös, die mit Bestimmtheit die koschere Kost nicht einhalten. Aber deren Partei „Israel beAlija" unter Führung von Natan Scharansky, schrieb handfeste Forderungen auf ihre Fahne: billigere Wohnungen, erleichternde Arbeitsbedingungen für die große Zahl ihrer Akademiker und ähnliches. Fragen über den religiösen oder eher laizistischen Charakter des Staates interessiert diese Partei heute noch nicht, was sich allerdings später noch wandeln dürfte.

Die beiden arabischen Parteien konnten die Anzahl ihrer Knessetmitglieder von fünf auf neun beinahe verdoppeln, aber da sie alle für Peres stimmten, fühlen sich die Araber frustriert.

Unter diesen konfusen Bedingungen und vor allem deswegen, weil zum erstenmal mit zwei Stimmzetteln gewählt wurde, scheint es noch wie ein Wunder, daß der so knappe Stimmenunterschied von nur dreißigtausend nicht noch kleiner ausfiel.

Auch nach diesen Wahlen wird der Friedensprozeß weitergehen. Wahrscheinlich langsamer, umständlicher und argwöhnischer von beiden Seiten. Andererseits ist es für die neue Begierung beruhigend, daß sie sich auf eine solide Mehrheit der Koalition stützen kann. Trotzdem wird es Netanjahu nicht leicht fallen, Minister wie Befael Eitan, Ariel Sharon und die Führer der Siedlerbewegung im Zaum zu halten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung