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Der Friede ist wirklich populär

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Die Gazetten Israels kommentieren die schön ordentlich verlaufenen Wahlen vom Silvester 1973 als einen „Triumph der israelischen Demokratie“; sie beweisen diese Einschätzung damit, daß überhaupt mitten im Krieg, während zumindest ein Achtel der Wähler (und ein Siebentel der jüdischen Wähler) in Uniform sind, Parlaments- und Gemeindewahlen stattfanden, an denen natürlich auch die Soldaten teilnahmen — wobei politische Propaganda in der Armee streng verboten war; sie betonen ferner, daß diese Wählerschaft „politisch reif genug“ war, um von den insgesamt 21 Wahllisten alle Sektierer sowohl der extremen Linken wie der extremen Rechten (der Liga des Raw Kahane), sowie alle Kandidaten der Jemeniten, Nordafrikaner („Schwarze und Blauweiße Panther“) abzulehnen, so daß im kommenden Parlament weniger Parteien vertreten sein werden als im verflossenen; schließlich verweisen sie darauf, daß die Wahlpropaganda diesmal besonders vornehm geführt worden sei, ohne persönliche Angriffe und ohne Verdächtigungen der gegnerischen Absichten.

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Die Gazetten Israels kommentieren die schön ordentlich verlaufenen Wahlen vom Silvester 1973 als einen „Triumph der israelischen Demokratie“; sie beweisen diese Einschätzung damit, daß überhaupt mitten im Krieg, während zumindest ein Achtel der Wähler (und ein Siebentel der jüdischen Wähler) in Uniform sind, Parlaments- und Gemeindewahlen stattfanden, an denen natürlich auch die Soldaten teilnahmen — wobei politische Propaganda in der Armee streng verboten war; sie betonen ferner, daß diese Wählerschaft „politisch reif genug“ war, um von den insgesamt 21 Wahllisten alle Sektierer sowohl der extremen Linken wie der extremen Rechten (der Liga des Raw Kahane), sowie alle Kandidaten der Jemeniten, Nordafrikaner („Schwarze und Blauweiße Panther“) abzulehnen, so daß im kommenden Parlament weniger Parteien vertreten sein werden als im verflossenen; schließlich verweisen sie darauf, daß die Wahlpropaganda diesmal besonders vornehm geführt worden sei, ohne persönliche Angriffe und ohne Verdächtigungen der gegnerischen Absichten.

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Das alles stimmt. Aber in Wahrheit waren die Wahlen ein Verdammungsurteil für die parlamentarische Demokratie überhaupt, und für die israelische insbesondere; ein Verdammungsurteil für so gut wie sämtliche Parteiführer und für deren Einschätzung der Intelligenz ihrer Wähler. Die Wahlpropaganda wurde diesmal — mit Rücksicht auf den für Israel außerordentlich kurzen Wahlkampf von knapp drei oder vier Wochen — hauptsächlich über das staatliche Fernseh- und Rundfunknetz geführt; daneben auch mit Hilfe von Riesenannoncen in der gesamten Presse. Wer diese Reden hörte, wer diese Propaganda las, mußte den Eindruck gewinnen, daß (vielleicht mit Ausnahme der zwei religiösen Parteien) alle genau das gleiche wollten: , alle wollten zuallererst Frieden mit den Arabern, zweitens Sicherheit, drittens Beteiligung an der Konferenz in Genf, viertens ... und jetzt kam eine wörtlich gleichlaufende,Litanei von Versprechunr gon: Wohnbau für junge Ehepaare, kinderreiche Familien und Bewohner von Slums; Abbau der sozialen Unterschiede zwischen arm und reich (oder noch besser: „Abschaffung der Armut“); Förderung des Hochschulstudiums usw.

Vor allem aber: Frieden mit den Arabern und daher Beteiligung an der Friedenskonferenz! Der sozialistische „Maarach“ (mit 56 Mandaten von insgesamt 120 so gut wie allmächtig im vorigen Parlament) war von der Volksstimme für „schuldig“ an der Katastrophe des Yom Kippur befunden worden; „Leichtsinn, Überheblichkeit gegenüber der arabischen Gefahr, Vernachlässigung primitivster Vorsichtsmaßnahmen an der Front“ waren sowohl dem Verteidigungsminister Dayan wie Golda Meir vorgeworfen worden. Nicht viel weniger unzufrieden war das Wählervolk mit Außenminister Abba Eban, dessen auf Afrikas Negerstaaten eingestellte Politik, die das israelfreundliche Südafrika und natürlich auch Rhodesien brüskiert hatte, kläglich zusammengebrochen war. Der Partei, die seit Gründung des Staates geherrscht hatte, drohte eine sehr schwere Niederlage und man sprach in Israel „vom Erdbeben des Yom Kippur“.

Da kam Kissinger zu Hilfe. Er setzte durch, daß die Friedenskonferenz in Genf noch vor den Wahlen formell eröffnet wurde. Das gab dem „Maarach“ seinen Wahlschlager: wir sind es, die nach Genf gehen — wir sind bereit zu weitgehenden Kompromissen — wir bringen den Frieden, während der Likud nicht nach Genf gehen will, nicht Kompromisse und daher nicht Frieden schließen will, sondern einen neuen Krieg bringt.

Der Maarach rechnete damit, daß die Massen und insbesondere die Frauen, die ja die Hälfte der Wählerschaft ausmachen, Frieden um beinahe jeden Preis wollen und daß auch die Mehrheit der Soldaten, nach drei Monaten Reservedienst, für die Partei stimmen würden, die größere Friedensaussichten, weil größere Verzichte, in Aussicht stellte.

Aber — der Maarach hat zwar in seiner Leitung eine entschiedene Mehrheit von „Tauben“, geführt von dem mächtigen Finanaminister Sapir, dem Außenminister Abba Eban und dem Kandidaten auf die Ministerpräsidentschaft nach Golda Meir, Yigal Allon. Aber... Golda Meir selbst und mit ihr Dayan (noch immer der populärste Mann in der Regierung) erklärten laut und deutlich, daß sie nur solche Konzessionen machen könnten, die nicht die Sicherheit der Grenzen gefährden; daß sie unter keinen Umständen auf Ost-Jerusalem verzichten und daß sie den Golan nicht an Syrien zurückgeben würden. Sie deuteten an, daß unter den „sicheren Grenzen“ vor allem die Jordangrenze, also Israels militärische (wenn auch nicht politische) Präsenz am Jordan, zu verstehen sei. Wie dieses Versprechen mit den ultimativen arabischen Forderungen nach totalem Rückzug und nach Rückgabe Jerusalems zu vereinbaren sein könnte — darüber schweigen sich die Führer aus.

Aber die Forderung nach Frieden ist wirklich populär. So beeilte sich der Likud, die Vereinigung von fünf Parteien auf der Plattform „kein Rückzug von den befreiten Gebieten Westpalästinas“, auch ein Friedensprogramm zu proklamieren. Auch Likud ist für die Friedenskonferenz in Genf; auch er für Verständigung mit Ägypten; auch er ist bereit, an Ägypten Teile des Sinai als Preis für einen „dauerhaften und ehrlichen Frieden“ zurückzugeben.

Die drittgrößte Partei, die „Nationalreligiösen“, heute mit vermutlich elf Mandaten das Zünglein an der Waage, baten um Stimmen ebenfalls im Namen von Frieden und Sicherheit. Auch sie sind bereit zu territorialen Verzichten auf dem Sinai, nicht aber im engeren Palästina westlich des Jordan, das „Erbteil der Väter ist von Gott uns unveräußerlich zugeteilt“. Und selbst die Kommunisten, die im Prinzip den totalen Rückzug befürworten, verfehlten nicht, sich als die Partei hinzustellen, die dem Lande „Frieden und Sicherheit“ bringen werde.

Das Groteske an den Wahllosungen aller Parteien war, daß selbstverständlich alle wußten, daß es vorläufig auch nicht die leiseste Chance für einen „Kompromiß“ mit den Ägyptern und Syrern gibt — abgesehen davon, daß Syrien noch gar nicht auf der Konferenz erschienen ist. Von einem „Kompromiß“ zu reden, wenn die eine Seite restlose Kapitulation verlangt und die andere sich bemüht, eine teilweise Kapitulation auszuhandeln, ist unernst, wenn der Maarach dies im Namen „sicherer Grenzen“ verspricht, und geradezu komisch, wenn der Likud im Namen der historischen Grenzen Westpalästinas das gleiche tut.

Unausgesprochen bleibt der Gedanke, daß ein neuer Waffengang unvermeidlich sein könnte; daß Israel am 22. Oktober knapp vor dem totalen Sieg über die Ägypter stand, daß die Maarach-Regierung übereilt ihre Zustimmung zum sofortigen Waffenstillstand gegeben hat (während Syrien es sich gestattete, 48 Stunden lang zu überlegen, ehe es das Feuer einstellte und der Irak überhaupt den Waffenstillstand ablehnte) und daß ein neuer Krieg Israel den vollen militärischen Sieg und damit bessere Karten für die Friedensverhandlungen zuspielen könnte.

Kein einziger Wahlredner hat das ausgesprochen — von Raw Kahane abgesehen, der aber nur 0,8 Prozent der Gesamtstimmen erhielt.

Selbst Dayan, der sehr ehrlich zu reden pflegt, sprach davon, daß die Konferenz in Genf „ein historisches Ereignis“ sei und daß „man dem Frieden näher stehe als je zuvor“ und begnügte sich, zu wiederholen, daß die Verhandlungen „sehr schwer“ sein, und „viel Geduld erfordern“ würden, ohne aber zu sagen, daß die Ägypter eben keine Geduld haben und rasche Kapitulation verlangen — gedrängt von ihren radikaleren Verbündeten und im Vertrauen auf die bedingungslose Unterstützung durch die Sowjets.

Die Überraschung dieser Wahlen, nach all der Propaganda, war — daß es keine Überraschung gab und daß im wesentlichen alles beim alten blieb. Der Likud hatte ohnedies mit einem Mandatsgewinn gerechnet und der Rückgang des Maarach ist nicht ganz so groß wie er aussieht.

Alle anderen Parteien haben ihre Stärke ganz oder beinahe gewahrt. Trotzdem: der Mandatsverlust des Maarach hat für die Zukunft Israels wichtige Folgen, vor allem die, daß aller Voraussicht nach dadurch Dayan — gegen den sich die Feindschaft aller „Tauben“ in der Regierung wendet — vor dem Verlust seines Portefeuilles bewahrt bleibt. Die Parteiarithmetik stellt sich nämlich so dar, daß Likud plus National-religiöse, die wie erwähnt gegen jeden Rückzug im Westjordanland sind, ebenso stark sind wie der Maarach. Sollten die sechs oder sieben Getreuen Dayans im neuen Parlament mit ihm die Partei aus ideologischen oder persönlichen Gründen verlassen, so können sie mit dem Likud zusammen die Mehrheit bilden.

Es war die offen erklärte Absicht der „Tauben“, nach den Wahlen eine Regierung ohne Dayan, ohne Galiii und (vielleicht sogar) ohne Golda Meir zu bilden, eine Regierung, die zu viel weitergehenden Konzessionen an die Araber bereit gewesen wäre als Golda Meir und Dayan. Der Verlust von sechs Mandaten genügte, um diese Absicht zu vereiteln. Eine Art Gleichgewicht ist entstanden zwischen den Befürwortern, der ganz weichen und der weniger weichen Linie innerhalb des Maarach. Und das erschwert die Verhandlungen mit Ägypten über die Truppenentflechtung an der Kanalfront.

Es ist wahrscheinlich, daß Golda Meir in den heiklen Punkten einen Kompromiß zwischen links und rechts erreichen wird — und zwar auf der Basis des Status quo, mindestens bis zum Friedensschluß, wann immer dieser kommen wird. Da die Liberalen außenpolitisch zu den „Tauben“ gehören, könnte ihr Anschluß an die Koalition wieder Einfluß auf den Konflikt in der Spitzengruppe haben. In vergangenen Jahren hat die Regierungsbildung meistens zwei oder drei Monate gedauert; in einem krassen Fall sogar ganze acht Monate. Diesmal sollte es, unter dem Druck der ägyptischen Kriegsdrohungen, rascher gehen — aber das ist keineswegs sicher. Es ist eher zu erwarten, daß beim Zusammentritt der neuen „Knesset“ in der dritten Januarwoche die alte Regierung weiter als „provisorische“ fungieren wird, und daß sie auch die Friedensverhandlungen, schlecht oder recht, als provisorische Regierung führen wird, wozu ihr die israelische Verfassung alles Recht gibt.

Die Nationalreligiösen verlangen eine Regierung der nationalen Konzentration, also eine Koalition mit Likud. Der Likud ist dazu bereit; diese Forderung war ausdrücklich in seinem Wahlprogramm enthalten. Der Maarach hat vor den Wahlen dies abgelehnt, und auch jetzt spricht er nur von der kleinen Koalition mit den Religiösen und den Liberalen.

Es ist schwer, vorauszusagen, was die nächsten Wochen bringen werden. Aber nach der alten Weisheit, daß nichts so lange dauert wie ein Provisorium, wäre zu erwasten, daß die gegenwärtige Regierung noch ziemlich lange weiter handeln und verhandeln wird, und daß die neue Regierung sehr, sehr wahrscheinlich dieselbe Parteienkoalition (und weitgehend dieselben Minister) haben wird wie die bisherige.

Und daß daher die Friedenskonferenz von Genf im Sand verlaufen oder im Morast steckenbleiben könnte...

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