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Szenen aus einem lauen Wahlkampf

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Am 23. Juli wählt Israel ein neues Parlament. Wirtschaftliche, und nicht politisch-ideologische Fragen bestimmten bislang den Wahlkampf, der die Israelis alles andere als mitgerissen hat.

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Am 23. Juli wählt Israel ein neues Parlament. Wirtschaftliche, und nicht politisch-ideologische Fragen bestimmten bislang den Wahlkampf, der die Israelis alles andere als mitgerissen hat.

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Laut letzten Meinungsumfragen hat sich die Kluft zwischen dem Likud-Parlamentsblock, an dessen Spitze Ministerpräsident Yitzhak Schamir steht, und dem oppositionellen Parlamentsblock der Arbeiterpartei (Maarach) wenige Tage vor der Knesseth-Wahl am 23. Juli wesentlich verkleinert. Die Arbeiterpartei soll demnach 50 von 120 Parlamentssitzen erhalten, der Likud-Wahlblock 41. Vor zwei Wochen lag die Arbeiterpartei noch bei 53 und der Likud bei nur 38 Mandaten.

Obwohl sich also der Abstand verkleinert hat, sind die Likud-funktionäre nach wie vor beunruhigt. Denn der obigen Wahlprognose zufolge kann Schamirs Partei nach den Wahlen keine Koalition bilden, die Arbeiterpartei wiederum nur mit Müh' und Not — und zwar mit Hilfe der Kommunisten, einer Partei, die Maarach lieber ignorieren würde.

Der Wahlkampf hat eigentlich erst nach der großen Fernsehdiskussion zwischen Schamir und Arbeiterparteiführer Shimon Peres richtig begonnen, obwohl diese alles andere als groß war. Die beiden Kampfhährie kannten die Fragen im voraus und bereiteten ihre Antworten wie Schulaufgaben vor. Als sich Schamir danach selbst im Fernsehen wiedersah, murmelte er die auswendig gelernten Antworten noch einmal mit.

Dieser Wahlkampf dreht sich nicht um die ideologischen Positionen, wie sie der Likud vertritt: Großisrael, weitere Neuansiedlungen in den besetzten Gebieten, Libanonkrieg. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Wirtschaftskrise, die Israel nun schon seit einiger Zeit erschüttert. Wobei immer noch Menachem Begin, der von der politischen Bühne bereits abgetreten ist, im Hintergrund steht. Man kann immer wieder Li-kud-Anhänger sagen hören: „Wenn Begin noch Ministerpräsident wäre, hätten wir heute eine bessere Lage."

Das Verlangen der Likud-An-hänger nach ihrem früheren Parteichef ist so groß, daß sie ihrem Unmut in Wahlversammlungen mit lauthalsen „Begin-Begin"-Sprechchören Luft machen. Die große Hoffnung des Likud ist zur Zeit, daß der „Grand Old Man" wenigstens in einem Propagandafilm auftritt. Doch Begin konnte sich bisher dazu nicht aufschwingen.

Der letztlich mühsam gefundene Kompromiß war, daß er wenigstens eine Postkarte mit einem Wahlaufruf für Likud eigenhändig unterzeichnet hat.

Endlich wird es auch etwas „lustiger" im Wahlkampf. Die Li-kud-Regierung plant für die Woche vor den Wahlen eine einzige große Feier: Vor drei Jahren wurde der Grundstein zum Mittelmeer-Totes-Meer-Kanal gelegt. Bis heute ist dieser Kanal, der billigen Strom liefern sollte, noch nicht einmal auf dem Reißbrett fertig geplant. Dennoch sollen jetzt die Versuchsbohrungen als Teil des großen Grabenziehens gefeiert werden. Aber eben: Wahlzeit ist's

Die bereits vor drei Jahren eingeweihten Solarteiche, die mit Hilfe von Sonnenenergie Billigstrom liefern sollen, werden diese Woche abermals eingeweiht. Auf

Szenen aus einem lauen Wahlkampf

Wenige Tage vor den Parlamentswahlen sind Israelis noch größtenteils apathisch die Frage, warum, erklärte man, daß die Anlage inzwischen wesentlich vergrößert wurde und daher eine Neueinweihung am Platz sei. Wahlzeit ist's...

Auch neue Siedlungen wachsen dieser Tage wie Pilze aus dem Boden. Es gibt zwar noch keine Infrastruktur, auch eine Planung ist nicht vorhanden. Es ist nicht einmal klar, welche Böden zu diesen neuen Siedlungen gehören. Das einzige, was deshalb feststeht, ist, daß man die nächste Regierung vor vollendete Tatsachen stellen will.

Mini-Gruppen von fünf bis zehn Familien wurden bereits vergangene Woche in vier neuen „Siedlungen" in Wohnwagen angesiedelt. Weitere sollen in dieser Woche folgen. Jede Grundsteinlegung, von feierlichen Reden umrahmt, wird fleißig vom Fernsehen übertragen.

Die größte Feier jedoch bedeuten die Gehaltszulagen, die es dieser Tage regnet: als ob dieses Land im Geldüberfluß leben würde. Jede Gruppe, ob Arbeiter oder Angestellte, will noch fünf Minuten vor zwölf ihre Forderungen durchsetzen. Denn allen ist klar, daß der bankrotte Staat nach den Wahlen kaum finanzielle Zusagen machen wird.

So erhielten die Regierungsbeamten eine 16prozentige Gehaltszulage, die Lehrer eine 12prozen-tige, die Journalisten eine 15prozentige usw. Die Liste ist noch nicht abgeschlossen: Nächste Woche werden sich bestimmt noch einige Lohnempfänger entsinnen, daß sie unterbezahlt sind...

Die Frage, woher das viele Geld genommen werden soll, interessiert offensichtlich niemanden. Wichtig ist, daß man weiß, daß die Regierung so knapp vor den Wahlen niemanden vor den Kopf stoßen will. Das allein ändert jedoch immer noch nichts an der Tatsache, daß sich langsam ein Sieg der Arbeiterpartei anbahnt.

Und wenn man hier nicht mit Worten überzeugen kann, so versucht man es eben mit den Fäusten. In den letzten Tagen wurden Versuche unternommen, Wahlversammlungen mit Maarach-Führer Shimon Peres zu sprengen. Auch Yitzhak Rabin konnte nur mit Mühe und Not der Wut einiger Begin-Anhänger entgehen. Und sogar die Versammlungen des ehemaligen orientalischen Staatspräsidenten Yitzhak Na-von werden letztens dauernd gestört.

Trotzdem ist die breite Öffentlichkeit noch ziemlich apathisch. Die Versammlungen sind schwach besucht, und das meiste, zu dem der Durchschnitts-Israeli sich bereit findet, ist, daß er Tag für Tag 40 Minuten vor seinem Fernseher sitzt und sich von Propaganda-Filmen der verschiedenen Parteien berieseln läßt, obwohl diese alles andere als attraktiv sind.

Zur Zeit buhlen die verschiedenen Parteien noch immer um Geld und gute Worte der großen Werbebüros, die mit pfiffigen Reklamegags einspringen sollen, wo die Parteien versagen. Ein bekannter Werbeexperte, der seine Karriere beim Maarach begonnen hatte und jetzt für noch mehr Geld beim Likud arbeitet, meinte gegenüber dem Korrespondenten: „Mein Herz schlägt für den Maarach, doch mein Geldbeutel für den Likud."

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