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Die Blutrache der Wehr siedler

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Entsteht ein dauemderSchaden, so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß“,heißt es im ZweitenBuchMose. Laut jüdischer Überlieferung kann man das in den fünf Büchern Mose geschriebene Gesetz nicht ändern. Trotzdem konnte die jüdische Tradition im Laufe der Jahrhunderte dieBlutrachenichtakzeptieren. Die Juden, eine Minderheit, in der Diaspora verstreut, wollten und konnten keine Rache nehmen; man verließ sich mehr und mehr auf Gott, bis der Ausdruck „Gott wird ihr Blut rächen“ bei allen frommen Ju-

den das Verhältnis zum Feind kennzeichnete.Nun sind da aber Israels Wehr- oder Neusiedler in den besetzten Gebieten. Sie versuchen biblische Zeiten ins zwanzigste Jahrhundert zu verpflanzen.

„Was die Araber mit ihrer Intifada können, können wir noch immer besser“ .meinte Neusiedlerführer und Religionszelote Rabbi Mosche Loewinger. Die Neusiedler der besetzten Gebietebewiesen es. DieBe- wohner des Städtchens Ariel marschierten ins benachbarte Dorf Bidia, in dem Steine auf ein nach Ariel fahrendes Auto geschmissen wurden. Einwohner aus Kirjat Arba zogen nach Hebron, randalierten und wüteten dort, um den Arabern b eizubringen, daß es sich nicht lohnt, Steine auf Juden zu werfen. Von der Jerusalemer Vorstadt Maaleh Adu- mim kamen Hunderte nach E1 Assa- ria. Tags zuvor war ein israelisches Auto in dem Dorf mit Steinen beworfen und der Fahrer getroffen worden, wodurch das Auto in einen Graben stürzte, sich überschlug und die gesamte Familie, die darin saß, schwer verletzt wurde.

Die Neusiedler kommen in die arabischen Dörfer, um Rache zu nehmen. Sie verbrennen Autos zu Dutzenden, dringen in Wohnungen ein, demolieren das gesamte Mobi-

liar. Im Dorf Arura haben sie sogar „lustig“ um sich geschossen. Zum Glück wurden nur einige Personen leicht verwundet.

Polizei gibt es in den besetzten Gebieten fast keine. Bis das Militär kommt, um die Ordnung wieder herzustellen, ist kaum noch viel zu tun. Die Offiziere reden auf die verbitterten Neusiedler ein, aber vergebens. Der Standpunkt der Wehrsiedler - und als solche betrachten sie sich, ist folgender: Die Regierung erlaubte es uns, hier anzusiedeln, also muß die Armee für unsere Sicherheit sorgen; wenn nicht, tun wir es eben selbst.

Und sie tun es nicht nur mit orga- nisiertenRacheakten.beidenenfast immer nur Unschuldige betroffen sind, sondern schicken bewaffnete

Patrouillen, die israelische Autos vor Steinangriffen schützen sollen. Wehe, wer von diesen Neusiedlermilizionären gefaßt wird; er hat nichts zu lachen.

Sogar Soldaten, die sich einmi- schen und Neusiedleraktionen unterbinden wollten, wurden von diesen Zeloten verprügelt und verflucht.

Ein jüdischer Neusiedler erzählte dieser Tage Journalisten: „Von einer jüdischen Untergrundbewegung in den besetzten Gebieten ist überhaupt nicht die Rede. Alles spielt sich ganz offen ab. Ein PKW fährt von unserer Siedlung südlich von Hebron nach Jerusalem. Auf dem Weg werden wir mit Steinen angegriffen. Wir bleiben stehen. Mit Maschinenpistolen, die wir bei uns haben, stürzen wir heraus und schießen in die Richtung, aus der die Steine geflogen kamen. Danach schießen wir in die Fenster der Häuser und durchlöchem die Wasserreservoirs auf den Dächern. Unsere Leute schießen einfach, und nicht nur in die Luft. Wir wollen den Steinewerfer treffen. Uns bleibt nichts anderes übrig, die Araber greifen uns mit solcher Wut an, daß wir dementsprechend reagieren. Das ist Anarchie, wir wissen es, die Leute machen hier, was sie wollen; zuerst waren es nur die Araber, jetzt 6ind es auch wir.“

Im Parlament und auch in der Öffentlichkeit wird dieses Vorgehen von den kleinen, rechts außen stehenden Parteien, von Teilen der religiös-nationalen Partei und vom rechten Flügel des Likud unterstützt. Der Mehrheit des Likud und der Arbeiterpartei ist jedoch klar, daß diese Übergriffe nichts Gutes bringen können. Staatspräsident Chaim Herzog drückte seine Befürchtungen diesbezüglich ganz scharf aus, doch Ministerpräsident Jizchak Schamir, der selbst einer Untergrundbewegung angehörte, die das Gesetz in eigene Hände nahm, konnte sich noch nicht dazu durchringen, die Neusiedler zu tadeln.

Vor kurzem trafen sich die Mitglieder der Parlamentsdelegation für Sicherheitsangelegenheiten mit den Neusiedlern Hebrons. Hier sah sich sogar der Falke Beni Begin (Likud), Sohn Menachem Begins, gezwungen zu reagieren. Er wandte sich an die Neusiedler und ihre Führerund verwarnte sie: „Ihrüber- schreitet die roten Linien, ich erhalte sehr schlimme Berichte über euer Verhalten, ihr sägt selbst den Ast ab, auf dem ihr sitzt“

Inzwischen jedoch machen die Wehrsiedler von Hebron, Ariel und anderen Städten und Siedlungen, was sie wollen.

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