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Mittelalter und Revolution

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Im Frühjahr 1971, ein halbes Jahr nach dem jetzt fast genau zwei Jahre zurückliegenden blutigen Ende des Bürgerkrieges zwischen palästinensischen Freischärlern und arabischer Legion in Jordanien, trafen sich in einer Frankfurter Privatwohnung in Europa lebende Mitglieder und Sympathisanten mehrerer palästinensischer Guerillagruppen mit einem aus Syrien zugereisten Mann mit dem Decknamen „Abu Ijad“ oder „Abu Dschihad“ („Vater des Krieges“). Dies war die Geburtsstunde der Organisation „Schwarzar September“.

Abu Ijad und seine Gesprächspartner zogen damals aus der katastrophalen Niederlage der Guerille-ros in Amman den richtigen Schluß, daß die Palästinenser auf unabsehbare Zeit weder eine weitere offene Auseinandersetzung mit einem arabischen Regime noch einen systematischen Terrorfeldzug gegen Israel wagen konnten. Die Säuberung des sogenannten „Fatah-Landes“ im Südlibanon durch reguläre libanesische Truppen und das beinahe völlige Aufhören von Sabotageakten gegen israelische Einrichtungen in den besetzten Gebieten bestätigten inzwischen diese Analyse. In Frankfurt zog man damals daraus den Schluß, zur Verhinderung des seit dem Sieg König Husseins über die Palästinenser nicht mehr auszuschließenden Seperatfriedens zwischen Jordanien und Israel bedürfte es völlig neuer Wege. Die Nachschubbasen, Versorgungseinrichtungen und Ausbildungsplätze der Guerillagruppen waren zum größten Teil zerstört worden. Ebenso die rüstungstechnische und personelle Infrastruktur. Folglich griff man zurück auf ein naheliegendes altarabisches Vorbild.

„El-Haschaschun“ („Die Haschischgenießer“) hieß ein Geheimorden, den ein gewisser Hassan es-Sabbach 1090 nach Christus in der auf dem iranischen Hochland gelegenen Bergfestung Alamut ins Leben rief. Die Sektenmitglieder verpflichteten sich zu absolutem Gehorsam. In Persien, Syrien und Palästina wurden sie bald zu panisch gefürchteten, skrupellosen Mördern. Im Dienst wechselnder religiöser und politischer Ziele terrorisierten sie fast zweihundert Jähre lang den ganzen damaligen Mittleren Orient. Sie mordeten nicht nur, sondern waren auch jederzeit bereit zum Selbstmord. Der „Alte vom Berge“, ihr geheimes syrisches Oberhaupt, erlaubte ihnen dafür und als Vorfreude auf das ihnen als sicher geltende Paradies, den Haschischgenuß. Die Gewöhnung an ihn hielt die Sektenmitglieder zudem in ständiger Abhängigkeit von ihrer Führung. Das arabische Stammwort „Hasch-schaschun“ wurde im Französischen zu „Assassin“ und im Italienischen zu „Assassino“: beides bedeutet „Mörder“.

Die Geschichte dieser Sekte ist verblüffend identisch mit der des „Schwarzen September“. Wie deren Kommandos, nannten sich auch die Mörder des mittelalterlichen Geheimbundes „El-Fedaijjin“ („die Opferbereiten“). Die „Haschscha-schun“ verehrt man in der arabischen Welt noch heute als mythische Helden. Dieses historische Umfeld, die rückständige arabische Mentalität und die die Entstehung religiöspolitischer Geheimbünde begünstigende Tradition der Gewaltherrschaft im Vorderen Orient erklären den Erfolg einer Organisation wie des „Schwarzen September“. Die Araber geben ihr eine Stellvertreterfunktion bei der Wiederherstellung des durch ihre Niederlagen gegen überlegene Feinde gekränkten Selbstbewußtseins.

Abu Ijad wurde angeblich schon vor einiger Zeit während eines Feuergefechtes mit einer israelischen Patrouille getötet. Das ist freilich ebensowenig sicher wie alles andere, was man über seine Organisation zu wissen glaubt. Aus der Tatsache, daß der Sektengründer enger Mitarbeiter des „el-Fatah“-Chefs Jassir Arafat war, kann man immerhin auf finanzielle, organisatorische und personelle Querverbindungen zur Guerriiladachorganisation „Palästinische Befreiungsfront“ (PLO) schließen. „Schwarzer September“ unterhält kein öffentlich zugängliches Hauptquartier, sicher keine Mitgliedslisten, und man weiß nichts über die Zusammensetzung seiner Führung.

Die Zahl von 300 bis 700 Mitgliedern ist eine bloße Schätzung. Feststeht lediglich, daß sie ein weitgespanntes Stützpunktnetz in allen arabischen Ländern und in Europa unterhält, wobei sie sich vermutlich auf Verbindungen der Dachorganisation PLO und radikale europäische Gruppen stützen kann.

Die düstere Geschichte des Geheimbundes, der mit mittelalterlichen Mitteln eine moderne Revolution zu erzwingen hofft, begann im November 1971, mit dem Mord an dem damaligen jordanischen Ministerpräsidenten Wasfi et-Tell in Kairo. Die Mörder kamen zwar vor Gericht, aber es erging nie ein Urteil. Im Februar 1972 mißlang ein l Attentat auf den jordanischen Botschafter in Großbritannien. Es folgten der bis heute ungesühnte Mord an fünf Jordaniern in Köln, angeblicher Kollaborateure des israelischen Geheimdienstes,

Sprengstoffanschläge auf Industrieanlagen in der Bundesrepublik, in Holland und Italien, der Feuerüberfall gedungener japanischer Fanatiker auf den Zivilflugplatz von Tel Aviv, die Entführung einer „Luft-hansa“-Boeing nach Aden (die den Terroristen fünf Millionen Dollar Lösegeld aus dem deutschen Steuersäckel einbrachte), der Kampf um ein Linienflugzeug der belgischen „Sabena“ und das Massaker von München.

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