6815050-1973_04_01.jpg
Digital In Arbeit

Tinte statt Blut

Werbung
Werbung
Werbung

Lenin glaubte bekanntlich, nur die unausweichliche kommunistische Revolution in Deutschland könne das bolschewistische System in Rußland sichern und sei darüber hinaus der zündende Funke für den Ausbruch der Weltrevolution. Mit Ausnahme Chinas gelangten die Kommunisten jedoch in allen Ländern, in denen sie heute regieren, nur durch Kriege und Kriegsfolgen an die Macht. Lenins Nachfolger Stalin traf die Wahl: Er entschied sich für den „Sozialismus in einem Land“.

Vor der gleichen Alternative stehen jetzt, in den letzten fünfundzwanzig Jahren schon zum dritten Mal, die Palästina-Guerrilleros.

1948, als der jüdische Staat Wirklichkeit geworden war, entschieden sie sich für die „Internationalisie-rung“ ihres gegen diesen gerichteten Abwehrkampfes. Doch die Streitkräfte von fünf arabischen Staaten unterlagen, und die Freischärler degenerierten in der Folgezeit genau wie die Flüchtlingslager zu politischen Objekten der arabischen Regierungen.

1967, nach der dritten militärischen Niederlage, zogen die Partisanen die umgekehrte Konsequenz. Es geschah, was niemand für möglich gehalten hatte. Die Flüchtlinge politisierten sich, ihre Lager Wurden zu Nachwuchsreservoirs, Machtzentren und Ausgangsbasen der „Fedaijin“. Die „El-Fatah“ („Die Eroberung“) wurde zur nationalen Sammlungsbewegung und verband sich überdies mit den übrigen Gruppen in der „Palästinensischen Befreiungs-Organisation“ (PLO).

Während die „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) und andere linksgerichtete Splittergruppen revolutionäre Umstürze in den arabischen Nachbarstaaten Israels als Voraussetzung für den Erfolg ihres eigenen revolutionären Kampfes zu erkennen meinten, gingen die marxistischen Theoretiker der „Demokratischen Volksfront“ noch einen Schritt weiter. Sie behaupteten kühn, eine marxistische arabische Welt und ein marxistisches Israel, hätten überhaupt keine gegenseitigen Probleme mehr und könnten friedlich zusammenleben.

Diese Rückkehr zur Ideologie einer mit der militärischen, politischen und sozialen Emanzipation der Palä-stiner unlöslich verknüpften „panarabischen Weltrevolution“ führte in die totale Niederlage. Sie mobilisierte die Abwehrkräfte der konservativen und liberalen Oberschichten nicht nur der arabischen Randstaaten, sondern auch die der feudal-konservativen Notabein Palästinas.

Selbst Libyens extrem anti-israelisch eingestellter Militärdiktator entzog den Freischärlern jetzt seine Hilfe.

Mit der Chance, Israel durch Guerillaterror wenigstens an den Verhandlungstisch zu zwingen und mit dem Scheitern der Zusammenarbeit zwischen Freischärlern und arabischen Regierungen und der Hoffnungen auf eine echte Revolution in den arabischen Staaten sank der Stern der Guerrilleros. Mit ihm sank der Einfluß der Gemäßigten, wie Jassir Arafat, in der Dachorganisation PLO. Auf dem Nährboden der radikalen PFLP entstand die anarchistische Geheimverschwörung „Schwarzer September“. Ihre anfänglich außerordentliche Bilanz begann mit der Ermordung des jordanischen Premiereministers Wasfi et-Tell in Kairo und endete mit dem Blutbad im Olympiadorf in München. Bei der Aktion gegen die israelische Botschaft in der thailändischen Hauptstadt Bangkok erlitten die Todeskommandos aber zum erstenmal eine Niederlage.

Von Einzelaktionen auf dem Golan, die trotz Rückendeckung durch reguläre syrische Truppen höchstens nadelstichartig wirkten, abgesehen, kam der Guerillakrieg fast völlig zum Erliegen.

Für frustrierte Jung-Intellektuelle der sogenannten „Neuen Linken“ in Europa ist Palästina neben Vietnam ein Mittel zu dem Zweck, die eigene Unfähigkeit zu notwendiger gesellschaftlicher Veränderung in der eigenen Umwelt durch lautstarke Proteste vergessen zu machen. Diese fragwürdige Genossenschaft macht die Palästinenser zum zweitenmal, wie schon bei der Gründung Israels als Folge des schlechten Gewissens der westlichen Welt über den Antisemitismus und seine furchtbaren Folgen, zu Opfern fremder Konflikte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung