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Das unheilvolle Wechselspiel

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Der aus Italien abgeschobene Terrorist Abu Abbas soll von Arafat ein Monatsgehalt von 100.000 Dollar beziehen. Wo verläuft die Grenze zwischen Terror und Diplomatie?

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Der aus Italien abgeschobene Terrorist Abu Abbas soll von Arafat ein Monatsgehalt von 100.000 Dollar beziehen. Wo verläuft die Grenze zwischen Terror und Diplomatie?

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Rom und Wien, so wird zum Jahresbeginn deutlich, sind die Stationen des „neuen" palästinensischen Terrors. Dieser Terror ist ein Nebenprodukt des permanenten Bürgerkrieges, der heute in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens tobt.

Viele Terroristen kommen aus dem Libanon. Sie haben wegen der zerrütteten Verhältnisse niemals eine Schule besucht. Sie haben erlebt, daß man ungestraft tö-

ten kann, weil die Staatsmacht schon seit Jahren nicht mehr Herr im Haus ist.

Die Absicht, die hinter der jüngsten Eskalation des Terrors steht, ist klar: Terroranschläge gegen Flugpassagiere und unbeteiligte Zivilpersonen sollen den militärischen Gegenschlag der Israelis und Amerikaner provozieren, womit die gegenwärtigen Friedensanstrengungen im Nahen Osten torpediert werden. Die Spuren führen immer wieder zur PLO und einer ihrer zahlreichen Dissidentengruppen. Wenngleich die PLO Arafats für die jüngsten Terroranschläge nicht verantwortlich gemacht werden kann, haben die meisten palästinensischen Untergrundkämpfer, ob Dissidenten und Abtrünnige oder nicht, eine der PLO-Terroristen-schulen besucht.

Die PLO war auch die erste Organisation in der Geschichte, die mit einem systematischen Training für Terrorismus begann.

Das Erschreckende daran war immer schon das Töten von unbeteiligten Personen. Zwischen 1968 und 1980 unternahmen palästinensische Terroristen mehr als dreihundert verschiedene Anschläge in 26 Ländern außerhalb Israels. 813 Menschen wurden dabei getötet, 1013 verletzt. Mehr als neunzig Prozent der 2.755 Geiseln waren Nicht-Israelis.

Man hört heute immer wieder,

die PLO und ihre Dissidenten in einen Topf zu werfen, sei falsch, man müsse die PLO Arafats unbedingt in den Nahostfriedens-prozeß miteinbeziehen.

Dabei kommt man aber um eine wichtige Frage nicht herum; Welche Politik verfolgt die Rumpf -PLO Yassir Arafats heute? Erstens: Nach der Vertreibung aus dem Libanon im Sommer 1982 und der Abspaltung des radikalen prosyrischen Flügels unter Abu Musa, hat die PLO viel von ihrer' Schlagkraft eingebüßt.

Zweitens: Der irakisch-iranische Krieg hat, zumindest vorläufig, den Palästina-Konflikt aus den Schlagzeilen verdrängt. Der gesamtarabische Boykott Ägyptens hat auf der anderen Seite die „Regionalmacht" Syrien auf den Plan gerufen. Syriens Staatschef Hafez el Assad ist aber ein erbitterter Gegner des PLO-Chefs Yassir Arafat.

Das am 12. Februar des vergan-

genen Jahres unterzeichnete Abkommen mit Jordanien war für Arafat der letzte Ausweg aus seiner Notlage. Es sah damals so aus, als ob ein Staatenbund zwischen Jordanien und den Palästinensern möglich sei.

Die jordanisch-palästinensische Annäherung und der amerikanisch gesponserte Friedensprozeß waren den Sowjets und den radikalen Palästinensergruppen von Anfang an ein Dorn im Auge. Gleichzeitig signalisierten die Amerikaner und Israelis, eine direkte Beteiligung der PLO an den Friedensverhandlungen sei derzeit nicht erwünscht.

Für Jordaniens König Hussein ist der Frieden mit Israel eine Uberlebensfrage. Als Realpolitiker weiß er genau, daß jedem arabischen Politiker, der Friedens-

Verhandlungen ohne PLO wagt, das Schicksal Sadats ins Haus flattert. So gesehen, war Husseins überraschender Canossa-Gang zum syrischen Staatschef und Anführer des radikalen arabischen Lagers Hafez Assad ein Ausbruch aus der drohenden Isolation. Vor diesem Hintergrund kommt das alte Dilemma der PLO erneut zum Vorschein: Friedensprozeß oder „Befreiungskampf"?

Hinzu kommt noch: Im Westen gibt es eine Tendenz, die PLO als ein Ganzes zu betrachten, als ob es sich um eine in Westeuropa gegründete Partei handeln würde. In Wirklichkeit bestehen innerhalb der Führungstroika Arafat-Wazzir-Khalaf beträchtliche Differenzen.

Arafat ist der große Reisende und das Aushängeschild der PLO. Aber in den verschiedenen Abteilungen der PLO sitzen viele potentielle Abu Nidals, Funktionäre, die mit der Politik Arafats keineswegs übereinstimmen. Oft

handelt es sich dabei um tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten über Grundsatzfragen.

Salah Khalaf (Abu Iyad), der frühere Leiter der Organisation „Schwarzer September" (Terroranschlag in München bei den Olympischen Spielen 1972), verfolgt eine andere Politik als Arafat. 1975 erhielt Khalaf eine wichtige Position innerhalb der PLO: er wurde Leiter der „inneren" Sicherheit. Damit besaß er die Macht, den Tod jedes beliebigen Mitgliedes anordnen zu können. Doch bald merkten Arafat und Abu Dschihad, daß Khalaf zu viel Macht besitzt. Auf dem Nationalkongreß der PLO 1980 verlor Khalaf seine Posten als Leiter der inneren Sicherheit und des Geheimdienstes. Doch es gelang Khalaf bald seine Positionen zurückzuerobern, in dem er sich offen mit den gegen Arafat gerichteten Kräften in der arabischen Welt — den Syrern und Libyern — zusammenschloß.

Zudem unterhielt er gute Beziehungen zur linken Terrorszene in Europa (Baader-Meinhof) wie auch zu rechten Gruppen (Wehrsportgruppe Hoffmann).

Neben persönlichen Animositäten spielt innerhalb der PLO vor allem die religiös-kulturelle Herkunft eine wichtige Rolle. In seinem Buch „Politics of Palestinian Nationalism" unterteilt Professor William Quandt die PLO-Mitglie-der in zwei Gruppen. Die Mehrheit der Mitglieder seien sunnitische Moslems, die in ihrer Weltanschauung streng nationalistisch ausgerichtet sind. Für diese Gruppe seien Konkurrenzdenken, starke Emotionen und sich ständig ändernde Loyalitäten charakteristisch. Khalaf, so Professor Quandt, gehöre sicherlich zu dieser Gruppe.

Die zweite Gruppe besteht entweder aus Nicht-Palästinensern oder aus Nicht-Angehörigen der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Diese neigen laut Professor Quandt zu „radikalen und freidenkerischen Lösungen". George Habbasch, der griechisch-orthodox ist, und Nayef Hawatmeh (ein jordanischer Christ) — beide Anführer radikal-terroristischer Palästinensergruppen sind die namhaftesten Vertreter dieser zweiten Gruppe.

Das unheilvolle Wechselspiel der PLO-Führung zwischen Terror und Diplomatie ist nicht zuletzt ein Ergebnis dieser Zwei-Gruppen-Konstellation.

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