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Islamischer Naher Osten

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Die Wellen der islamischen Revolution sind an Palästina und am Libanon nicht spurlos vor- übergegangen. Einer der vielen Fak- toren, die zum Ausbruch der Intifa- da im Dezember 1987 geführt hat- ten, war der beispielgebende Wi- derstand südlibanesischer Schiiten gegen die israelische Militärpräsenz. Gruppen, besonders im Gazastrei- fen, versuchten sich ähnlich zu be- tätigen. Das Auftreten einer Bewe- gung, die sich Dschihad Islami nannte, läßt sich auch im turbulen- ten Gazastreifen lokalisieren. Sie machte durch Anschläge an der Kla- gemauer (Oktober 1986)und die Tö- tung eines israelischen Polizeichefs in Gaza (Mai 1987) von sich reden.

Dieses Gebiet war für das Auftre- ten eines militanten Islams präde- stiniert. Die große Mehrheit der Bevölkerung wird von Flüchtlin- gen des Krieges 1948 und deren Nachkommen gestellt; westlicher Einfluß ist geringer als in der West- bank, eine religiös inspirierte Mär- tyrer-Mentalität verbreiteter; das Gefühl, isoliert zu sein und fallen- gelassen zu werden, größer; der (zum Teil von Saudi-Arabien finanzier- te) islamische Einfluß auf das Bil- dungswesen stärker.

Eine Rolle spielen auch die ägyp- tische Besatzung bis 1967 und die Beziehungen zu den Moslembrüdern in diesem Land. Hamas (islamischer Widerstand) entstand etwa ein Jahr nach dem Ausbruch der Intifada. Die Bewegung ging aus der Mos- lembruderschaft in den besetzten Gebieten hervor. Diese lehnte das

„demokratische" und „säkulare" Programm der PLO ab. Sie tritt für eine Islamisierung der palästinen- sischen Gesellschaft als Vorausset- zung eines Heiligen Krieges (Dschi- had) gegen Israel ein. Ziel ist die Errichtung einer „islamischen Republik" im gesamten Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, also einschließlich des israelischen „Kernlandes". Dementsprechend werden auch die PLO-Positionen, die auf eine Anerkennung Israels und eine „Zwei-Staaten-Lösung" hinauslaufen, abgelehnt.

Im ersten Jahr der Intifada betei- ligte sich Hamas noch an der ge- meinsamen Führung der Bewegung; nach zwei Jahren hatte der Fraktio- nismus zugenommen, und der Ein- fluß des islamischen Fundamenta- lismus ist stärker geworden. Das Wachstum erfolgte vor allem auf Kosten von Fath, der Arafat-treuen Hauptströmung der PLO.

Die israelischen Behörden sahen diese Entwicklung zunächst nicht ungern, brachte sie doch eine Schwächung des Hauptgegners mit sich. Die zunehmende Aktivität und Rolle von Hamas wurde im Septem- ber 1988 zum Anlaß eines Verbots genommen; eine Maßnahme, die dem Prestige der „Islamis" keines- wegs geschadet hat, ebensowenig wie die Verhaftung ihres geistigen Führers Scheich Ahmed Yassin.

Israelis sind sich bei der Interpre- tation des Phänomens uneins. Wähend Vertreter der Arbeitspartei da- zu tendieren, den Aufstieg von Ha- mas aus der Frustration und Per- spektivelosigkeit der Palästinenser zu erklären, tun Vertreter des Li- kud das gleiche Phänomen als welt- weite islamische Reaktion auf das Scheitern eines säkularen Natio- nalismus ab. Andere Kommentato- ren wiesen auf mögliche Wirkun- gen des Erfolges der Fundamenta- listen bei den jordanischen Parla- mentswahlen im November 1989 hin.

Die Dynamik der israelisch-pa- lästinensischen Konfrontation und der Intifada wirkt vorläufig im Sinne gegenseitiger Anerkennung und Koordinierung von „nationa- len" und „islamischen" Kräften des Widerstandes. Mißerfolge und Aus- sichtslosigkeit des Widerstandes insgesamt würden das Kräftever- hältnis zugunsten der „Islamis" verändern. Rationale Kompromiß- lösungen würden in noch weitere Ferne rücken.

Der leidgeprüfte Libanon hat durch die Präsenz einer großen schiitischen Bevölkerungsgruppe (die moslemischen Palästinenser sind Sunniten) viel direkter die Auswirkungen der iranischen Re- volution zu spüren bekommen. Die Politisierung der vordem auch in- nerhalb der Moslems unterprivile- gierten Schiiten stellt einen wichti- gen Faktor des libanesischen Bür- gerkrieges dar.

Innerlibanesische Auseinander- setzungen waren immer auch mit den Interessen regionaler Akteure verknüpft. So unterhalten die bei- den, sich auf die schiitische Bevöl- kerung berufenden politisch-mili- tärischen Verbände Amal (Hoff- nung) und Hezbollah (Partei Got- tes) Beziehungen zu Syrien bezie- hungsweise zum Iran.

Die Rivalitäten zwischen ihnen stützten sich sowohl auf ideologi- sche Meinungsverschiedenheiten als auch auf die Verschiedenheiten der Allianzen. Während sich Amal eine neuverteilte Macht in einem wei- terbestehenden Libanon vorstellen kann, tritt Hezbollah für ein islami- sches Regime im Lande als Über- gang zu einem islamischen Staat in der ganzen Region (wenn nicht der Welt) ein. Konkret geht es gegen- wärtig um die Machtverteilung im Südlibanon.

Hezbollah versucht in Gebiete vorzudringen, aus denen sie von Amal 1988 vertrieben wurde. Eine Revision der Machtverteilung, die auch von Teheran unterstützt wird, weshalb sich Amal-Chef Nabih Berri an Khamenei mit dem Ersu- chen gewandt hat, den Kämpfen Einhalt zu gebieten. Nachdem Sy- rien im Begriffe ist, sich der arabi- schen Welt und insbesondere Ägyp- ten wieder anzunähern, könnte die iranische Haltung auch auf Irrita- tion gegenüber dem bisherigen sy- rischen Partner hindeuten

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