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LEICHTES SPIEL FÜR ISLAMISTEN, WENN DER WESTEN VERSAGT

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Politik und Religion sind im Islamismus eine enge Verbindung eingegangen. Der Kampf gegen den „degenerierten" Westen wird von den Islamisten unter religiösen Vorzeichen geführt. Man hat Angst, in die „Fänge christlicher Mission" zu geraten. Eine ungeschickte Orientpolitik des Westens ist der besseren Verständigung zwischen Islam und Christentum äußerst abträglich.

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Politik und Religion sind im Islamismus eine enge Verbindung eingegangen. Der Kampf gegen den „degenerierten" Westen wird von den Islamisten unter religiösen Vorzeichen geführt. Man hat Angst, in die „Fänge christlicher Mission" zu geraten. Eine ungeschickte Orientpolitik des Westens ist der besseren Verständigung zwischen Islam und Christentum äußerst abträglich.

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Das erneute Brandmarken des Islam als Nachfolger der kommunistischen Gefahr hat vielerorts Empörung ausgelöst, doch mancherorts auch Genugtuung, besonders im Iran. Die Khomeini-Version des Islamismus tendierte bereits 1986 - wenn nicht gar früher schon - dazu, sich als Nachfolger der sowjetischen Herausforderung des Westens zu verstehen. Spätestens seit 1987 betonen libanesische Mitglieder der khomeinisti-schen Gottespartei (Hezbollah) gern, daß es nach der Konfrontation zwischen Kapitalismus und Kommunismus eine ähnliche Konfrontation zwischen Christentum und Islam geben werde. In Zukunft hießen die beiden Gegenpole nicht mehr Moskau und Washington, sondern Teheran und Washington.

Der Elan der Khomeini-Jünger nährte sich unter anderem vom Bewußtsein des nahen Endes der Sowjetmacht, das sie bemerkenswert frühzeitig erkannten. Andererseits war man gerade in Teheran über das Schwinden des Ostblocks besorgt, weil man nunmehr einer einzigen Großmacht gegenüber steht, ohne den Ausgleich der zweiten. Aus diesem Grund frohlockte die Führungsschicht der „Islamischen Republik" über den Putschversuch in Moskau kaum anders als es die Regime in Kuba, Nordkorea und anderswo taten. Besonders der radikale Flügel der Islamisten und Khomeini-Sohn Ahmad zeigten offen ihre Präferenzen: Castro wird in ihrer Presse als einer der letzten Aufrechten gefeiert, während Jelzin als Neo-Kreuzritter und Agent der USA verdammt wird.

Die iranische Regierung hatte zwar den russischen Kolonialismus in Zentralasien stets verurteilt, doch zögerte sie nun mit der Anerkennung der neuen Moslem-Republiken, durch die Teheran allerhand Probleme entstehen könnten, insofern als das ehemals sowjetische Aserbeidschan eine Wiedervereinigung mit dem Turksprachigen Iranisch-Aserbeidschan anstreben könnte, anstatt sich der „Islamischen Republik" anzugliedern. Ebenso könnten die iranischen Turkmenen (Sunniten) in Versuchung geraten, sich mit der Republik Turkmenistan zu vereinen. Ferner könnte sich der von Usbeken bewohnte Nordzipfel Afghanistans mit Usbekistan verbinden wollen. Schließlich könnte es auch zu einer Vereinigung von afghanisch Tadschikistan mit der Republik Tadschikistan kommen, womit ein sunnitisch-islamistischer Staat persischer Sprache entstünde, der womöglich ein pro-saudisches Gegengewicht zu Iran bilden würde, anstatt zu einem Bestandteil Großirans zu werden.

Angesichts der starken Bindung Usbekistans und der anderen zentralasiatischen Republiken türkischer Zunge an die persische kulturelle Tradition kennt man in Teheran keine Bedenken, die Angliederung jener Gebiete an Iran zu betreiben und sogar ihre Einverleibung in ein Groß-Iran in Betracht zu ziehen, ohne sich dabei ein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Daher die unverhohlene Konfrontationspolitik mit der Türkei. Vorläufig trifft Ankara in Zentralasien auf mehr Gegenliebe als Teheran. Sprache und Volkstum erweisen sich erst einmal als stärker als der Sog der „Islamischen Revolution" Irans. Die USA und die WEU haben der Türkei die Aufgabe zugewiesen, den möglichen Einfluß Irans auf Zentralasien einzudämmen, beziehungsweise Teherans islamistische Expansionspolitik zu neutralisieren. Ankara hat diese Aufgabe mit Gusto übernommen, erhofft es sich doch davon erhebliche wirtschaftliche Vorteile. Zentralasien verspricht der Absatzmarkt zu werden, der den Türken in Westeuropa verschlossen bleibt. Die meisten der neuen Moslem-Republiken öffnen den Türken Tür und Tor, und zwar nicht nur für Baufirmen, sondern auch für Medienprodukte. Außerdem erhofft sich Ankara vom Westen Finanzspritzen zur Bewältigung des zugeteilten Zentralasien-Unternehmens.

Teheran reagiert darauf feindselig und bezichtigt Ankara der Agententätigkeit für die USA. Man werde nicht zulassen, daß sich die Türkei in Zentralasien der „Islamischen Bewegung" entgegenstelle. Zwar gibt es auf beiden Seiten immer wieder Bemühungen um einen Ausgleich, doch steht nicht zu erwarten, daß es zu einer beide Seiten zufriedenstellenden Aufteilung des zentralasiatischen Kuchens kommt.

Vorläufig liegt die Türkei in diesem Wettrennen weit vor Iran, doch ist nicht sicher, ob sie diesen Vorsprung aufrecht erhalten kann; denn die dafür notwendigen Finanzspritzen aus Amerika und Europa sind nicht garantiert. Die wirtschaftliche Misere, die zumindest in einigen der neuen Moslem-Republiken zunimmt, könnte sehr wohl zu einer Stärkung des Islamismus führen.

Der nächst wichtige Ansatzpunkt für die Khomeini-Politik der Einflußnahme auf die sunnitische Diaspora ist das Kaschmir-Problem, das 1989 erneut aufflammte und seither akut geblieben ist. Die pakistanische Regierung befindet sich in einer Zwickmühle. Sie möchte einen bewaffneten

Konflikt mit Indien vermeiden und muß deshalb die Kaschmiris daran hindern, von Pakistanisch-Kaschmir aus auf Indisch-Kaschmir überzugreifen. Solche polizeilichen Maßnahmen gegen die kaschmirischen Mudscha-hedin sind jedoch in Pakistan unpopulär. Außerdem werden dadurch die , .Nationalisten" gestärkt, das lifeißt die Befreiungsfront für Jammu und Kaschmir (JKLF), die nicht für den Anschluß an Pakistan, sondern für ein unabhängiges Kaschmir eintritt, nicht für Islamismus, sondern für Säkularismus.

Islamabad möchte keinen weiteren Krieg mit Delhi, doch schürt es Unruhen in Indisch-Kaschmir, um die Islamisten dort zu stärken. Dasselbe tut Teheran, obgleich beide unterschiedliche Gruppen von Islamisten unterstützen, beziehungsweise ihre machtpolitischen Gelüste mittels eigener islamistischer Verbände durchzusetzen trachten. Trotz dieser doppelten Förderung sind die Islamisten insgesamt noch immer im Hintertreffen gegenüber den Nationalisten (Säku-laristen, die für ein von Indien und

Pakistan gleichermaßen unabhängiges Kaschmir eintreten). Allerdings steht zu erwarten, daß sich das Kräfteverhältnis zugunsten der Islamisten verändern wird; denn sie erhalten nicht nur Waffen und Geld aus Pakistan und aus dem Iran, sondern auch Freiwillige, und zwar kämpfen in ihren Rängen Mudschahedin aus Afghanistan und einer Vielzahl arabischer und islamischer Staaten.

Die afghanische Entwicklung könnte sich sowohl in Kaschmir als auch in Bosnien wiederholen. Der anfängliche Widerstand gegen das prosowjetische Regime in Kabul war ganz und gar nicht islamistisch, sondern nationalistisch und zum Teil sogar sozialistisch (teils unabhängig, teils maoi-stisch). 1987 war das Regime von Hafizullah Amin in Kabul nicht von Islamisten bedroht, sondern von der NEFA (Nationale Einheitsfront Afghanistans), ein Zusammenschluß verschiedenster nationalistischer Gruppierungen, unter denen die unabhängige Linke dominierte. In Pakistan, wo die NEFA sich verstecken mußte, wurden sieben Islam-Parteien (Islamisten und Traditionalisten) aufgebaut, und zwar im wesentlichen von den Pakistanern und Saudis. Die CIA fand den Umgang mit dem ISI (Inter-services Intelligence Directorate), seinem pakistanischen Gegenstück, bequem. Es schien alles nach Wunsch zu laufen, ohne daß die Amerikaner sich überarbeiten mußten. Das Resultat war eine völlige Entstellung der afghanischen Wirklichkeit. Die Nationalisten, die die große Mehrheit der Bevölkerung hinter sich hatten, wurden im Kreuzfeuer von Islamisten und Kommunisten aufgerieben. Heute gibt es von der NEFA nur noch Restbestände, und auch diese überwiegend im Exil.

Nach diesem erfolgreichen Muster sucht der ISI auch die JKLF aus ihrer dominierenden Position im Widerstand der Kaschmiris zu verdrängen und durch Pakistan-hörige Islamisten zu ersetzen.

So lange der unabhängige Staat Bosnien erhalten bleibt, und sei es nur als Kantonat oder Reservat, wird man die Demokratische Aktionspartei des Präsidenten Izetbegoviö kaum durch Islamisten ersetzen können, da es von diesen erst einmal zu wenige gibt (auch in Afghanistan waren sie 1978 zahlenmäßig sehr schwach). Findet sich das bosnische Volk jedoch demnächst nur noch im Exil wieder, wie man auf Grund der Entwicklung befürchten muß, dann werden die Islamisten ein leichtes Spiel haben, in der bosnischen Diaspora die Oberhand zu gewinnen. Für, .Europas Palästinenser" wird es dann keine Alternative geben. Iranische und saudische Islamisten aber werden ihre Füllhörner über den Flüchtlingen ausschütten, um sie nicht in „die Fänge der christlichen Mission" geraten zu lassen. Haben die Islamisten unter den bosnischen Flüchtlingen bisher nur Kopftücher für die Mädchen ausgeteilt, so werden sie in Zukunft Studienplätze verteilen und Jobs anbieten. Vor allem aber wird man wieder Tausende von Witwen zu zweiten Ehefrauen erheben, wie schon im Falle Afghanistans. Kurzum, man wird die bosnische Diaspora auf Vordermann bringen.

Als Folge ihrer entsetzlichen Erlebnisse werden die Bosnier eher dazu neigen, sich Irans radikaler Gottespartei anzuschließen, als sich dem saudischen Kalifatsanspruch zu verschreiben. Damit werden sie dann auch dem von Iran und Sudan aus gesteuerten Terroristennetzwerk angeschlossen werden, das heute die gesamte Welt umspannt.

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