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PHARAO MUSS WANDERN...

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Im kommenden Monat geht eines der bedeutendsten technischen Abenteuer unseres Jahrhunderts der Vollendung entgegen: die Rettung des „Großen Tempels“ von Abu Simbel in der Kubischen Wüste. Hier hat sich ein kleines Wunder vollzogen. Nahezu die ganze zivilisierte Menschheit hat finanziell dazu beiigetraigen, ein Kulturdenkmal von unschätzbarem Wert der Nachwelt zu erhalten. In faszinierender Konfrontation stand sich die Baukunst von mehr als drei Jahrtausenden gegenüber. Auf der einen Seite die heute verstandesmäßig kaum faßbare Monumentalkunst der Zeit Ramses II., auf der anderen Seite die nahezu perfekte Technik des Maschinenzeitalters im 20. Jahrhundert! Der große Tempel von Abu Simbel liegt abseits jeglicher Zivilisation. Keine Straße führt zu ihm. Der nächste Punkt, der von Alexandrien auf dem Landweg erreichbar ist, heißt Assuan. Bis zum Tempel sind es von dort noch dreihundert Kilometer. Nur der Nil bietet sich dann noch als Verkehrsweg an.

Assuan und der Nil sind auch die auislösenden Momente gewesen, die dieses kühne Rettungswerk veranlaßten. Denn die Schätze des Tals der Könige schienen der Tribut zu sein, den Ägypten für den Anschluß an die moderne Gegenwartsentwicklung zu leisten hatte.

Der Bau eines gigantischen Staudammes in Assuan, geplant als Energiequelle und zur Fruchtbarmachung des Niitates, forderte seine Opfer: unwiederbringlich drohten die Kulturschätze des alten Ägyptens in den ąufgestauten Fluten des Nils zu versinken, damit das Ägypten von heute einigermaßen Anteil haben kann am Wohlstand unserer Zeit

Wer diese Kostbarkeiten einmal geschaut hat, wind die Qual verstehen, die Ägypten und den Sudan zu einem verzweifelten Hilferuf an die UNESCO veranlaßte.

Vittorino Veronese, damals UNESCO-Generaldirektor, erließ daraufhin im Jahre 1960 einen Aufruf an die Welt zur Rettung von Abu Simbel. Und es gelang, in unserer nüchternen, von merkantilem Denken beherrschten Epoche die Mittel für ein Vorhaben aufzutreiben, das sich ökonomisch einfach nicht verwerten läßt!

Doch damit war das Problem noch keineswegs aus der Welt geschafft. Die Riesen aus der Antike ließen sich so einfach nicht bezwingen. Vom Sand der Kubischen Wüste zugedeckt, schlummerte der „Große Tempel“ von Abu Simbel durch Jahrhunderte, bis ihn der Schweizer Ludwig Burghardt 1813 wiederentdeckte. Es verging fast das ganze 19. Jahrhundert, bis dieses geniale Bauwerk der Menschheit erneut in seiner erhabenen, wahrhaft majestätischen Schönheit wieder zugänglich gemacht war.

Mit bewundernswerter Präzision hat die moderne Archäologie den Zeitpunkt der Erbauung um 1260 v. Chr. durch Ramses II., den glorreichen Pharao der 19. Dynastie, geortet. Die berühmtesten Merkmale des „Großen Tempels“ sind die

22 Meter hohen, sitzenden Kolossalstatuen, herausgehauen aus dem Gestein der Fassade, die acht Ramses- Figuren in der Pfeilerhalle und die reichen Wandreliefs, von denen uns Ramses Sieg über die Hethiter überliefert wird.

Der Große Tempel blickt der Sonne entgegen. Und hier offenbart sich uns die Fähigkeiten der alten Ägypter in Astronomie und Architektur! — Denn dieser Tempel ist zugleich eine Grußadresse a a das damalige Lebensprinzip: die Sonne.

Zweimal im Jahr, im März und September, fallen die Strahlen der Sonne durch die Säulenhalle bis in das innerste Heiligtum des Tempels mit den vier sitzenden Gottheiten. Der Tag, an dem dann die Ramses- figur des Heiligtums im Lichte steht, ist exakt der Jahrestag des 30. Regierungsjubiläums dieses großen Herrschers! Die Erhaltung des „Sonnenwunders“ von Abu Simbel war daher auch eine wesentliche Bedingung, die die Techniker im Zuge der Tempelverlegung zu erfüllen hatten. Doch das war nur ein Detail. Die besten Ingenieure der Welt setztefti ihren Ehrgeiz darein, brauchbare Lösungen vorzuschlagen, wie der Koloß aus dem Berg gelöst und unbeschädigt an eine höher gelegene Stelle gebracht werden könnte. Der den einstigen Erbauern wohl würdigste Vorschlag stammte von dem Architekten Gazzola, der den Großen Tempel zunächst zur Gänze aus dem Fels lösen wollte, Um dann das gesamte Bauwerk — umgeben von einem schützenden Stahlbetonkasten — mittels sechshundert hydraulischer Pressen von

je fünfhundert Tonnen Hubkraft auf den 64 Meter höher gelegenem, neuen Standort zu schaffen! Doch dieses Projekt scheiterte an den gigantischen Kosten von 1,6 Milliarden Schilling.

Das weniger elegante, dafür aber auch bedeutend billigere Ausführungsprojekt sah die Zerlegung des Tempels in Einzelteile von 20 bis 30 Tonnen Gewicht mit anschließendem Zusammenbau der insgesamt 1000 Elemente am neuen Standort vor. Auch diese Lösung kostete immerhin noch 650 Millionen Schilling. In einem wahren Wettlauf mit der Zeit führte eine Firmengruppe aus Deutschland, Ägypten, Italien, Frankreich und Schweden diese schwierige Arbeit durch. An der Spitze dieser internationalen Arbeitsgemeinschaft stand dabei die Hochtief AG aus Essen. Der unaufhaltsam steigende Nil bestimmte das Tempo des Baugeschehens, das Anfang 1964 anlief. Bis zum Herbst 1966, dem Zeitpunkt, zu dem die Baustelle im Fluß versank, mußten sämtliche Tempelteile auf einen höher gelegenen Platz in Sicherheit gebracht sein. Enorme Schwierigkeiten verursachte allein der Antransport des Materials und. der Maschinen, die Unterbringung und Versorgung von etwa 1000 Arbeitskräften mitten in der Wüste.

Monate waren die Geräte und Baustoffe zum Bestimmungsort unterwegs. Nahe dem Großen Tempel entstand eine kleine Stadt mit Transportstraßen, Lagerplätzen und einem Spital.

Das eigentliche Baugeschehen spielte sich hinter einem gegen die

Fluten des Nils eigens errichteten Schutzdamm ab. Das Tempelinnere wurde mit mächtigen Stahlgerüsten gegen Einsturz abgesichert, dann der Berg über dem Tempel bis auf eine Wandstärke von 80 Zentimeter abgebaut. Der in Jahrtausenden teilweise brüchig gewordene Stein erhielt an zahlreichen Stellen Kunstharzinjektionen, um ihn für die heiklen Zerlegungsarbeiten widerstandsfähig zu machen.

Das Zerschneiden der Figuren selbst mag dem einstigen Baugeschehen zur Zeit Ramses II nicht unähnlich gewesen sein. Aus Sicherheitsgründen verzichtete man auf den Einsatz von modernen Maschinen und zerschnitt die mächtigen Statuen mit großen Handsägen. Auf riesigen Gerüsten saßen Arbeiter und zogen Millimeter um Millimeter

das Sägeblatt durch den Stein. Diese Tätigkeit durfte niemals unterbrochen werden, denn der Stein hätte dann Eigenspannungen entwickelt, unter denen er unweigerlich geborsten wäre.

Jeder Block wurde für den späteren Zusammenbau numeriert und sodann mittels Tieflader zum Depot gebracht. Im Laufe der Zeit sammelte sich eine wahre Geste.'ns- bibliothek an.

Wie präzise gearbeitet worden war, erwies sich später beim Zusammenbau. Es gelang, das Bauwerk in seiner ursprünglichen Gestalt zu vollenden, ohne daß Spuren der einstigen Zerlegung zu erkennen waren.

Man hat nun über dem geretteten Bauwerk die ursprüngliche Naturlandschaft wieder künstlich errichtet.

Am neuen Platz steht dieses Denkmal einer längst versunkenen Kultur in alter Schönheit.

Im März und September werden die Strahlen der Sonne Äi das innerste Heiligtum eindringen und jenes Sonnenwunder hervorzaubern, das Menschengeist vor drei Jahrtausenden ersonnen hat.

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