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Was wird aus Abu Simbel?

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Inzwischen hat sich ein internationales Hilfsprogramm entwickelt, das zur Entsendung von Fachwissenschaftlern führte und durch finanzielle Beiträge oder direkte Übernahme ganzer Objekte durch einzelne Staaten nunmehr die Rettung der nubischen Tempel zu 60 Prozent sichert. Nicht inbegriffen sind darin die prachtvollen Felsentempel von Abu Simbel, deren Rettung noch immer ungewiß ist. Die Rettung der Bauten erfolgt entweder dadurch, daß man- sie Stein für Steins altträgt oder daß mwt: Töle aus derf Felsen herausschneidet. Die einzelnen Bauwerke werden an drei Orten einen neuen Standplatz finden: Im Wadi Kalabsha liegt die gleichnamige Oase; ähnliche Oasen werden nordwestlich von Wadi es-Sebua und Amada angelegt. Die nubische Bevölkerung wird bei Kom Ombo, 43 km nördlich von Assuan, angesiedelt.

Das dem nubischen Sonnengott Mandulis geweihte Heiligtum von Kalabsha wurde seit 1961 durch die Bundesrepublik Deutschland abgetragen. Gegenwärtig wird noch an der Zusammensetzung der gewaltigen. Steinblöcke (13.ll0 Stück!) in Neu- Kalabsha gearbeitet. Der neue Standort liegt 38 Kilometer flußabwärts von Kalabsha, einen Kilometer südlich des Hochdammes. Im Herbst dieses Jahres findet die Übergabefeier statt. Kosten der Arbeiten: sieben Millionen DM.

Eine besonders schwierige Aufgabe hat Frankreich mit der Abtragung des Tempels von Amada übernommen. Kostenpunkt: eine Million NF. England trägt den erst 195 8 in der Festung Buhen entdeckten Horus-Tempel ab. Holland will Semna-Ost, die USA Semna-West versetzen und Jugoslawien die Fresken von Abdel Gadir vor der Vernichtung bewahren. Die VAR begann vergangenen Sommer mit dem Abbruch der Tempel von Dakka und el-Maharaqa. Ein schwedisches Ingenieurteam arbeitet die technischen Details zur Rettung des Felsengrabes des Pennut in Aniba, der Tempel von Bet al Wali, Abu-Oda, Wadi es-Sebua, Kertassi, Dendur und Gerf-Hussein aus. Ägypten stellt dem Ausland für geleistete Hilfe die bereits auf der Insel Elephantine lagernden Tempel von Debod und Taffeh-Nord zur Verfügung, weiter den Tempel von Derr und die Felsgrotten von Ellesya sowie eine Auswahl altägyptischer Kunstgegenstände und die Hälfte aller Grabungsfunde im Überschwemmungsgebiet.

Die bisherigen Grabungen

Österreichs prähistorische Grabungen im Gebiet von Sayala förderten eine große Anzahl Gräber ans Tageslicht. 80 Skelette lagern in Wien zur weiteren Konservierung und Untersuchung.

Aus den im vergangenen Jahr in Nubien gemachten Funden nur einige Beispiele: Auf der Insel Shahgil fand man eine frühsteinzeitliche Fischverarbeitungsstätte und Inschriften des Pharao Djor, der vor 5000 Jahren dorthin eine Expedition gesandt hatte. Gegenüber von Wadi Haifa wurde eine regelrechte Industriestadt gefunden; in ihr wurde noch vor rund 4600 Jahren Kupfer erzeugt. Aus der Zeit der ersten Dynastie stammt, eine 30 Kilometer von Buhen entfernte Nekropole. Weiter fand man- das Grab des Prinzen Amenemhet bei Debeira, die Festung Mirgissa eine Garnisonsstadt Sowie die Festung von Serra. Bei einigen Objekten werden heuer die Grabungen fortgesetzt. Eine polnische Expedition fand unter einem niedrigen Hügel bei Faras eine christliche Basilika mit schönen, farbenfrohen Fresken und den Gräbern von acht Bischöfen. Diese Kirche ist über einem Tempel erbaut, den der Pharao Thutmo- sis III. 2000 Jahre vorher errichtet hatte. Gegenüber der Festung von Serra liegt eine christliche Stadt, in welcher die Universität von Ghana einen wichtigen Gebäudekomplex freilegte.

Die aufopfernde Tätigkeit der von den einzelnen Staaten entsandten Experten, Archäologen, Photographen, Zeichner usw., die entweder als eigene Forschungsgruppen oder im Rahmen des Dokumentationszentrums tätig sind, läßt erwarten, daß die kunst- und kulturgeschichtliche Bestandsaufnahme Nubiens im nächsten Jahr abgeschlossen sein wird. Allerdings sind alle diese Bemühungen noch immer überschattet vom Finanzierungsproblem der Rettungsarbeiten, da die angekündigten Zuwendungen durchweg noch nicht durch die Parlamente bewilligt sind.

Nur mehr im Juli und August...

Nur acht Kilometer südlich von Assuan liegt im Nil die Insel P h i- 1 a e, deren Tempel und Gebäude nur mehr im Juli und August aus dem Wasser ragen. Nun kommt die Insel zwischen die beiden Staudämme zu liegen. Die ständige Überflutung wird elf Meter betragen, wobei der Wasserspiegel täglich um sechs Meter schwankt; dies-führt zur völligen Zerstörung der Gebäude. Der amerikani-, sehe Kongreß soll die zur Errichtung der Deiche notwendigen sechs Millionen Dollar bewilligen.

280 Kilometer stromaufwärts ließ vor rund 3200 Jahren Ramses II. zwei gewaltige Tempel aus dem Sandsteingebirge meißeln. Erst 1813 wurde Abu Simbel durch einen Zufall entdeckt, und seit 1910 überwältigt der Anblick den mit dem Schiff an- kommenden Reisenden. An diesen Tempeln ist alles grandios: Die Fassade des großen Tempels ist 33 m hoch und 3 8 m breit, mit vier Sitzstatuen des Königs, deren jede 18 m hoch ist. In der großen Säulenhalle stehen acht zehn Meter hohe Osiris- Statuen. 60 Meter tief im Felsen wurde das Allerheiligste des Tempels herausgemeißelt. Zu bestimmten Zeiten dringt dah Sonnenlicht rszanden vier- riesigen GčHtefriitzst hierfcf1 Jeweils1-ei ! ‘Götterbild wifd Ifi gleißendes Licht getaucht; nur der Gott der Unterwelt bleibt in ewigem Dunkel. Zahlreiche Inschriften und Wandreliefs erzählen aus dem ereignisreichen Leben des großen Königs. Der gewaltige Tempel mit seinen Säulen und Figuren wurde aus dem gewachsenen Felsen gehauen! Unweit davon ist die ähnliche Anlage des Hathor-Tempels, dessen Fassade jedoch nur zehn Meter hoch und 27 Meter breit ist.

Eine Hebung um 65 Meter?

Nach voller Aufstauung erreicht hier der Nil eine Höhe von 180 Metern über dem Meeresspiegel; der Wasserspiegel liegt dann 60 Meter über der felsigen Plattform der Tempel. Die Experten sind sich einig, daß Abu Simbel als Ganzes gerettet werden muß. Hierzu gab es verschiedene Pläne, so zum Beispiel eine gewaltige Schutzmauer, zweimal so hoch wie die Fassade des großen Tempels, oder die Glocke aus Eisenbeton des polnischen Professors Zebertowitsch.

Der einzig tragbare Plan, welcher auch der kühnste ist, stammt vom italienischen Kunsthistoriker Professor Piero Gazzola. Er arbeitete den Plan aus zur FJebung der Tempel um

‘MÖPerJ’ Die bis in die letzten tdchj nischen Einzelheiten erstellten und Anfang 1962 öffentlich ausgeschriebenen Bauarbeiten können als achtes Weltwunder bezeichnet werden: Jeder Tempel wird als großer Block aus dem Felsen herausgeschnitten und in eine Kiste aus Eisenbeton verpackt. Mittels 500 elektrischer Hebevorrichtungen, die von einer Elektronenanlage zentral gesteuert werden, hebt man die 250.000 Tonnen schweren „Kisten” jeweils um zwei Millimeter. Sind 30 Zentimeter erreicht, schiebt man vorfabrizierte Betonteile ein, welche ein Betongerüst ergeben, auf dem die Tempel 65 Meter über ihrem gegenwärtigen Standort in Sicherheit sind. Darnach wird der Fels über den Tempeln aufgebaut und das Ufer angelegt.

Ungeheuer sind die Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind. 350.000 Kubikmeter Fels müssen vorsichtig entfernt werden, größtenteils mittels elektrischer Sägen oder Handmeißel. Gewaltiges Material ist erforderlich: unter anderem 30.000 Kubikmeter Beton. 50.000 Kubikmeter stahlverstärktes Betongerüst, sechs Millionen Kubikmeter Felsenfüllung. Fieberhaft arbeiten die verschiedensten Experten, um zeitgerecht die Details zur Ausführung dieses gigantischen rpįekfęs ausruarbeiien.

“Die verzweifelten BetMihüftfcert? der UNESCO, durch freiwillige Beiträge der 82 Mitgliedsstaaten wenigstens die 42 Millionen Dollar für die Kosten der eigentlichen Hebung aufzubringen, sind im März dieses Jahres endgültig gescheitert. Die dreijährigen Anstrengungen der UNESCO erbrachten 7,7 Millionen Dollar, während die VAR, trotz der finanziellen Überforderung, allein ll,5 Millionen Dollar zur Verfügung stellte. Das Projekt mußte aufgegeben werden.

Und nun überstürzen sich die Ereignisse. Die Zeitungen melden: „Abu Simbel versinkt in den Fluten”, „Ägypten verkauft die Felsentempel stückweise an den Meistbietenden”. Glücklicherweise ist dem nicht so. Im Mal wurden dem Exekutivrat der UNESCO zwei neue Pläne vorgelegt: Plan A durch die Regierung der VAR erstellt in Zusammenarbeit mit dem schwedischen Ingenieurkonsulentenbüro, welches die gesamten technischen Details des bisherigen Planes bearbeitete, sowie Plan B des Mitglieds der Französischen Akademie der Wissenschaften, Albert Caquot, zur Hebung jedes der Tempel mittels riesiger Schwimmkörper durch das steigende Wasser im Nasser-See. Der Plan A sieht die Zerlegung der Tempel in 80 Zentimeter dicke und 15 Quadratmeter große Blöcke vor sowie deren Transport auf eine 135 Meter über dem Meer gelegene Plattform und den Wiederaufbau, im zweiten Teil die Nachbildung des ursprünglichen Tempelgeländes. Die Gesamtkosten betragen 36 Millionen Dollar, von denen die VAR, wie bisher, ll,5 Millionen übernahm. Ägypten will die Verträge zur Durchführung des Planes A abschließen, wenn 20,5 Millionen Dollar aus internationalen Mitteln zur Verfügung stehen.

Am 12. Juni 1963 erklärte der amerikanische Delegierte im Exekutivrat, die Regierung der USA wolle den Kongreß Veranlassen, ein Drittel der Kosten des Planes A zu übernehmen. Dadurch wären die 20,5 Millionen gesichert, und es könnte am 1. Oktober dieses lahres mit den Arbeiten begonnen werden. Es bleibt nur zu hoffen, daß sich die USA ihrer kulturellen Verantwortung bewußt sindl

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