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Der poröse Assuandamm

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Weder bestritten noch zugegeben haben bislang Sowjetregierung wie ägyptische Stellen die letzten Herbst zum erstenmal gehörten Gerüchte über katastrophale Konstruktionsfehler am Hochstaudamm von Assüan. Neue Berichte, die trotz sorgfältigster Geheirnhaltungsmaßnahmen aus der Kairoer Dammbaubehörde drangen, bestätigen jetzt diese Meldungen. Ägyptischen Ingenieuren zufolge ergaben Probebohrungen in mehreren sogenannten Kontrölltunneln, daß der Damm erheblich „durchlässiger“ ist, als vorausberechnet worden war. Das einsickernde Wasser führt so viel Treibsand mit sich, daß die dadurch verursachten Ausspülungen ein Loch in den Damm reißen könnten. Das veranlaßte die Bauleitung, erst einmal die Stauseefüllung und alle auf ihr beruhenden Industrieprojekte abzustoppen.

Um Dammbrüche zu verhindern, will man sowjetischerseits einen doppelten „Betonschleier“ vor den eigentlichen Damm legen. Den Ägyptern ist das jedoch zu unsicher und zu kostspielig. In ihrer Not wandten sie sich hilfesuchend an — bundesdeutsche Experten. (Die ersten Baupläne für das Assuanprojekt stammten seinerzeit aus der Bundesrepublik.) Der frühere Entwicklungshilfe-miiniister Wischnewski vermittelte ihnen daraufhin ein vertrauliches Gutachten. Verfasser ist ein In der Bonner Bundesanstalt für Boden-forschung als Regierungsrat tätiger Bodeningenieur. Seine Ratschläge, die streng geheimgehalten werden, fanden offenbar ägyptischen Beifall. Die Waisserdurchlässigkeit ist nicht das einzige Problem. Schon vor dem durch sie erzwungenen vorläufigen EMaufstopp verringerte sich die Zufuhr in den Stausee so drastisch, daß der Wasserspiegel nicht mehr planmäßig anstieg. Hartnäckigen Gerüchten zufolge bildeten sich irn oberen Seeteil, ungefähr an der sudanischen Grenze, riesige Bodenspalten, durch die unabschätzbare Wassermassen in die Libysche Wüste und das Rote Meer abgeleitet werden. An der Baustelle fürchtet man nun, der Druck der bis zu 196 Meter hohen Wassersäule (fast 20 Atmosphären) könne das Flußunterbett noch weiter verändern.

In Kairo diskutiert man mehr oder weniger offen über diese Berichte. Sie verringern die Hoffnungen auf die entscheidende Verbesserung der wirtschaftlichen Ausgangspositionen durch den Hochstaudamm und die von ihm abhängigen Industrialisile-rungsvorhaben. Außerdem tragen sie bei zur Verschlechterung des ägyptisch-sowjetischen Verhältnisses, das durch das anmaßende Auftreten der roten Militär- und Zivilexperten und den mäßigen Moskauer Druck auf die Außenpolitik Präsident Abdel Nassers ohnehin gespannt ist.

Sowjetischerseits schweigt man bisher zu den Katastrophenm-eldungen. Das Regierungsblatt .Jswestja“ berichtete lediglich, die leitenden Techniker am Dammprojekt seien von 2000 (1964) auf 400 verringert worden, und gegenwärtig seien sechs der vorgesehenen zwölf Kraftwerksturbinen installiert. Der Staudamm werde innerhalb der nächsten 18 Monate fertiggestellt. Nach, der gleichen Quelle wird das „kommunistische Weltwunder“ scharf bewacht gegen etwaige israelische Angriffe. Auf den höher gelegenen Punkten rings um die Baustelle injmeft es, wie der„ Augenschein beweist, von. Mascbinefigewehr-nestern. Auch“ die Niltoücken“'• und Hauptverkehrsstraßen nach Assuan sind geschützt durch gut getarnte Luftabwehrraketen, Die Kairoer offiziöse Tageszeitung „El-Achram“ behauptete, man habe eigens sowjetische „Spezialeinricbtungen'' für rund 2,3 Millionen Dollar importiert. Am Nil argwöhnt man, die Abwehrmaßnahmen richteten sich nicht gegen den äußeren Feind, sondern auch gegen dien wachsenden Zorn der ägyptischen Bevölkerung auf die roten Fehlplaner.

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