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Verunsicherung

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Bedauern, Sorge und Betroffenheit - das waren die Reaktionen auf den Rückfall der Sowjetunion in den Panzerkommunismus. Es gab viele Appelle, aber auch massive Proteste von westlicher Seite. Proteste kamen aber auch von den Führungen der 15 Teilstaaten der UdSSR.

Im Schatten eines drohenden Krieges im Nahen Osten nützen militante Kräfte die Chance, ihre Art von Ordnung wiederherzustellen. Und sie begannen in Litauen. Der Westen ist unvorbereitet und mit dem Irak beschäftigt. Erinnerungen an das Jahr 1956 werden wach. Auch damals gab es einen zu bekämpfenden Diktator im Nahen Osten. Er hieß Gamal Abd el Nasser und auch er bedrohte die Interessen westlicher Industriestaaten, als er im Juli 1956 verkündete, daß sein Land die Suez-Kanal-Gesellschaft verstaatlichen wolle.

Als dann Ende Oktober Israel, England und Frankreich das Ägypten des Oberst Nasser angriffen, hatten die Ungarn, die sich zu diesem Zeitpunkt gegen die sowjetischen Besatzer erhoben hatten, keine Chance mehr.

Nach der Aufbruchsstimmung, die noch das gesamte vergangene Jahr geprägt hatte, gibt es zu Beginn des neuen Jahres nicht nur eine akute Kriegsgefahr im Nahen Osten, sondern auch eine tiefgreifende Verunsicherung, welchen Weg die Sowjetunion weiter gehen wird und wie ein Michail Gorbatschow wirklich einzuschätzen ist. Jetzt schon abersteht fest, daß ein Teil der mühsam aufgebauten Vertrauensbasis zwischen den Großmächten gefährdet ist.

Besonders betroffen von dieser gewandelten weltpolitischen Situation sind die Staaten des einstigen Ostblocks, die nun ihren Weg in die Demokratie suchen und eindringlich erfahren müssen, wie labil die Lage in Wahrheit ist.

Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich jetzt die Stimmung in Polen vorzustellen, und die Tschechoslowakei hat sehr spontan mit Aktionen der Solidarität reagiert. Die Erinnerungen an das Jahr 1968 sind noch wach.

Daß diese Länder unter den gegebenen Bedingungen die sowjetischen Truppen noch rascher draußen haben wollen als vereinbart - das ist verständlich.

Gorbatschow zögerte lange mit einer Reaktion. Es steht zwar nun fest, daß er nicht den Befehl zum Eingreifen gegeben hat, daß er erst nachträglich informiert wurde. Aber er distanziert sich nicht und seine Autorität als Präsident mit umfassenden Vollmachten ist angeschlagen. In seiner ersten Reaktion verteidigte er die Armee und bewies damit, wie schwierig seine Position zwischen den Fronten geworden ist.

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