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In Libyen regieren die jungen Offiziere, die am 1. September den abwesenden König Idris I. stürzten und die Republik ausriefen, jetzt einen Monat. Doch das Land, das nach dem Staatsstreich zunächst hermetisch abgeriegelt worden war, verschlieft sich auch jetzt noch den meisten ausländischen Journalisten. Wer trotzdem hineingelangt, erhält nur spärliche Informationen und ist in ständiger Gefahr. Ein westdeutscher Illustriertenreporter wurde vorübergehend festgenommen, mißhandelt und ausgewiesen, weil er an .der libysch-tunesischen Grenze einen Transport politischer Häftlinge photographierte. Die Nach rich- tenhändler der Hauptstadt sind spurlos verschwunden oder üben sich in Schweigen.

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In Libyen regieren die jungen Offiziere, die am 1. September den abwesenden König Idris I. stürzten und die Republik ausriefen, jetzt einen Monat. Doch das Land, das nach dem Staatsstreich zunächst hermetisch abgeriegelt worden war, verschlieft sich auch jetzt noch den meisten ausländischen Journalisten. Wer trotzdem hineingelangt, erhält nur spärliche Informationen und ist in ständiger Gefahr. Ein westdeutscher Illustriertenreporter wurde vorübergehend festgenommen, mißhandelt und ausgewiesen, weil er an .der libysch-tunesischen Grenze einen Transport politischer Häftlinge photographierte. Die Nach rich- tenhändler der Hauptstadt sind spurlos verschwunden oder üben sich in Schweigen.

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Das Wiedersehen mit Tripolis ist ein Schock. Die früher etwas verschlafen wirkende Landstadt stark italienischen Gepräges verwandelte sich über Nacht in eine unverkennbar arabische Metropole. Überall hängen riesige Fahnen und Transparente mit revolutionären Parolen. Lebensgroße Porträts des noch bis vor vier Wochen allgemein verehrten greisen Königs zeigen ausgestochene Augen oder einen barbarisch mißhandelten Kopf. Das ist typisch arabisch: Hat man schon nicht den Menschen, zerstört man wenigstens sein Bildnis. Auch die an manchen Laternenpfählen aufgehängten Strohpuppen symbolisieren den abgesetzten Senussi- monarchen. Dessen über Präsident Abdel Nasser der Junta mitgeteilter Wunsch, er wolle als einfacher Bürger zurückkehren und in seinem Geburtsland sterben, dürfte unerfüllt bleiben. Die neue Regierung kurbelte eine antimonarchistische Kampagne an, deren Ziel offensichtlich Schauprozesse gegen die Exponenten des alten Regimes sind. Die staatlich gelenkten Zeitungen sind voller nicht immer zutreffender gehässiger Anklagen. Innenminister Oberstleutnant Mussa Achmed kündigte bereits ein Verfahren gegen den ehemaligen Kronprinzen Hassan er-Rida an. Das ist besonders grotesk, weil er weder Einfluß noch auch nur echte Befugnisse hatte.

Vor Pogromen?

Die Junta hat anscheinend noch keinen langfristigen politischen Plan. Sie braucht vor allem die Loyalität der in der Provinz Cyrenaika lebenden königstreuen Senussistämme. Die Erdölarbeiter gewann man bereits mit einer Lohnverdoppelung. Die Bevölkerung verhält sich insgesamt jedoch abwartend. Es gibt zwar keinerlei offenen Widerstand, sondern sogar spontane Massendemonstrationen vor allem jüngerer Leute für das neue Regime, doch spricht man in den traditionellen Nachrichtenbörsen, an den Kaffeehaustischen, nur flüsternd über die Junta und die Zukunftsaussichten. Vor Idris I. fürchtete sich bezeichnenderweise hingegen niemand. Besonders die kleinen und mittleren Geschäftsleute und Händler fürchten Sozialisierungsmaßnahmen. Viele von ihnen möchten so rasch wie möglich ihre Zelte abbrechen. Doch das wurde schon erschwert durch ein Kapitalexportverbot. Angstvoll in die Zukunft blickt auch die bisher unbehelligte kleine jüdische Kolohie. Sie zählt noch etwa 2500 Seelen, etwa 1,3 Prozent der tripolitaniseben Gesamtbevölkerung. Ein Jude entging der Verhaftung nur durch die Flucht. Ein amerikanischer Lehrer startete mit einer Privatmaschine vom USA-Stützpunkt Wheelus bei Tripolis und brachte ihn in einem versiegelten Behälter nach Malta. Diese Flucht war keine Kurzschlußhandlung. Es herrscht eine aggressive antisemitische Stimmung, und man fürchtet Pogrome. Juntatreue Militärs übernahmen die Überwachung des Flugsicherungsturmes der Amerikaner und errichteten einen Zollkordon. Dieser Fluchtweg ist also versperrt.

Durch den Zwischenfall dürften die amerikanisch-libyschen Beziehungen wenig belastet worden sein. Ministerpräsident el-Magrabr machte bereits klar, die Junta werde die Verträge mit den USA und Großbritannien für die Basen Wheelus und el-Adem. die 1970 beziehungsweise 1971 ablaufen, ohnehin nicht erneuern.

Differenzen

Die Verschwörer halten sich noch sehr zurück. Ihr Chef ist der erst 27jährige el-Kadhafi. Er umgibt sich mit strengen Sicherheitsmaßnahmein und verweigert Interviews. Dennoch kennt man seine pronasseristischen Sympathien ebenso wie seine Vorliebe für den Sozialismus der syrischen Baathpartei. Unter seinen Anhängern gibt es offenbar schon Spannungen. Der neue Erziehungs- miinister Mohammed Aisaui demissionierte nach nur dreiwöchiger Amtszeit und steht seitdem unter Hausarrest. Der Rücktritt ist sicher ein Anzeichen für die ideologischen Auseinandersetzungen in der Junta. Zwischen dem von ihren Mitgliedern verehrten Abdel Nasser und dem Baath, der in Ägypten verboten ist, gibt es große Differenzen. Am Nil erhofft man sich von den jungen Herren im Nachbarland trotzdem neue Impulse für die revolutionäre Entwicklung und die Einheit der Araber. „El-Achram”-Chefredakteur Heikal schrieb, Ägypten habe die Menschen, der Sudan den Raum und Libyen das Geld. Jetzt wartet man gespannt auf das Echo aus Tripolis.

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