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Der starke Mann wird stärker

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An die alten revolutionären Theorien glaube er nicht mehr, erklärte Gaddafi vor kurzem einem prominenten arabischen Journalisten.

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An die alten revolutionären Theorien glaube er nicht mehr, erklärte Gaddafi vor kurzem einem prominenten arabischen Journalisten.

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Die Erfahrung - so Gaddafi - habe ihn gelehrt, daß durch Revolution in der Regel die Dinge nur schlimmer werden. Zu Verbesserungen sei es kaum gekommen.

Meint der libysche Oberst das ernst? Am gleichen Tag läßt er sich auf einer Versammlung der „revolutionären Volkskomitees" nach alter Manie hochleben. Die Veranstaltung hätte man sich sparen können. Es geht zu wie in einem Fußballstadion, nur dreht sich alles um die Verherrlichung der revolutionären Errungenschaften.

Zum Schluß werden einige Wirtschaftsprobleme erörtert. Die Partizipation der Massen ist unbestreitbar, doch was kommt dabei heraus? Zwei Dutzend halber Analphabeten geben ihre Meinung zvun besten -verständlicherweise alles grober Unsinn - und niemand belehrt sie eines Besseren. Man macht sich keiner Verunglimpfung schuldig, wenn man das ganze als ein Affentheater bezeichnet.

Auf der Fahrt von der tunesischen Grenze zur Hauptstadt Tripolis kommt der 'Besucher an einem Schilderwald vorbei - die alten Parolen aus der grünen Revolution und der Dritten Universalen Theorie.

Auch an der Vorgangs weise gegenüber der Opposition hat sich wenig verändert. Vor zwei Monaten verschwand Kikhia, der einzige liby

sehe Oppositionsführer von Format und durchschlagender Ausstrahlung auf alle Schichten, aus seinem Kairoer Hotel. Mehrere hochkarätige Regierungsdelegationen aus Ägypten wurden in Tripolis deswegen vorstellig, doch der Oberst leugnet jede Beteiligung an der Entführung. In einem Schreiben an Frau Kikhia versicherte er ihr, wie sehr er ihren Mann schätze.

Die Geschichte eriimert an die des libanesischen Schiitenführers Musa Sadr, den Gaddafi wegen politischer Differenzen vor vielen Jahren verschwinden ließ.

AFFRONT GEGENÜBER MOSLEMS

Der Fall Kikhia ist insofern bemerkenswert, weil Libyen genug Probleme mit der Lockerbie-Affäre hat und man erwarten körmte, der Oberst wolle sich brav verhalten, um gegen seine „Volksmassenrepublik" (jamähiriya) verhängte Sanktionen aufgehoben zu bekommen. Offensichtlich macht ihm das Flugverbot jedoch nicht viel aus, und die Drohungen der Amerikaner, Briten imd Franzosen mit militärischen Vergeltungsschlägen nimmt er nicht ernst.

Wie sollte er auch? Die Straffi-ei-heit der serbischen Aggressoren in Bosnien wirkt anfeuernd auf ambitiöse Diktatoren und Möchtegern-Führer in aüer Welt. Erst recht so im Falle Galdafis, den enge Freundschaftsbande mit der serbischen Führung verbinden. Libyen ist wichtigster OUieferant Serbiens, ungestört durch die gegen beide Staaten verhängte Blockade.

Dem bosnischen Ministerpräsidenten Haris Silajdžič gegenüber begründete Gaddafi seine proserbische Haltung ideologisch. Er sei prinzipiell für den Zusammensch uß von Staaten und befürworte die Einheit der Südslawen nicht weniger als die Einheit der Araber. Bosnien hätte sich nicht aus dem jugoslawischen Bundesstaat lösen sollen.

Silajdžič, der sich seine Arabischkenntnisse während des Studiums in Libyen erwarb, weiß natürlich, daß dahinter ganz handfeste materielle Interessen stehen. Seit mehr als einem Jahrzehnt schon sind jugoslawische Militärexperten die Hauptstütze der libyschen Streitkräfte. Und dabei handelte es sich von Anfang an fast ausschließlich um Serben. Sie haben auch die Leitung des Sicherheitsdienstes und des persönlichen Schutzes von Gaddafi übernommen, wofür ehedem Ostdeutsche zuständig waren. Auch wirtschaftlich macht sich die Zusammenarbeit mit Belgrad bezahlt, wichtigste ausländische Unternehmer in Libyen sind nach wie vor die großen serbischen Staatsfirmen Energoprojekt und Tehnogas.

Gegenüber der islamischen Welt, die sich angesichts des serbischen Völkermordes an den Bosniern in Aufruhr befindet, ist die unverhohlen proserbische Politik des Oberst ein Affront ersten Ranges. Er ist nach wie vor unverfroren genug, sich darum nicht zu scheren.

UNBERECHENBARKEIT

In seinem Selbstvertrauen bestärkt hat ihn sicher auch die Niederschlagung eines Militäraufstandes im Oktober vergangenen Jahres. Nach Ansicht mancher Beobachter war die Rebelhon im Militärlager von Bani Wakhd die bisher gefährlichste Infragestellung des Gaddafi-Regimes seit dem Machtantritt 1969. Als Folge des Versagens jener Erhebung spaltete sich die wichtigste Oppositionsfront, die „Front zur Rettung Libyens". Besser könnte es der Oberst gar nicht haben: die gefährlichen Elemente in der Armee sind weg, die „Rettungsfront" ist weg, Kikhia ist weg, Reagan und Bush sind auch weg. Sein „Freund Clinton", sagt Gaddafi, werde die CIA und die NATO abschaffen und als große Persönlichkeit in die Geschichte eingehen.

Die arabischen Nachbarn sind alle darauf bedacht, ihn gütig zu stimmen. Vom isolierten Militärdiktator des Sudan wird Gaddafi umworben, als wäre er eine 17jährige Jungfrau.

Die Islamisten im eigenen Land hat der Oberst schon vor vielen Jah Gaddafi agiert widersprüchlich: vor Jahren dezimierte er grausam die Islamisten; immer wieder gewährte er ihnen aber auch Unterschlupf.

ren grausam dezimiert, doch scheut er sich nicht, Islamisten aus Algerien, Tunesien und Ägypten Unterschlupf zu gewähren. „Mir liegt sehr daran, Omar Abd-ar-Rahman aus New York nach Tripolis zu bringen, lun für die demokratische und fried-hche islamische Bewegung mit ihrem Hauptquartier hier bei uns zu arbeiten."

Mit solchen Schachzügen reibt Gaddafi den Nachbarn unter die Nase, wie unangenehm er sein karm, wenn sie sich nicht mit ihm gut stellen. Bisher sind die angeschlagenen Regierungen der Nachbarstaaten alle zu Kreuze gekrochen.

Er habe einen Reifestand erreicht, der ihn die Fehler der Vergangenheit erkennen lasse, behauptet der Oberst. Tatsächlich erscheint er auf Fotos neben anderen Personen etwas kleiner als zuvor. Offensichtlich trägt er nicht mehr die hohen Absätze, die jeden Damenschuh in den Schatten zu stellen pflegten. Bedeutet das, er habe endlich auf die Rolle eines Staatsmannes von Weltrang verzichtet?

Wie eh und je behält es sich der libysche Diktator vor, jedem Besucher etwas anderes zu erzählen. Der Hang zur Unberechenbarkeit ist geblieben. Beständig ist allein das Verlangen nach chemischen Waffen. An die Stelle der lunstrittenen Produktionsstätte Rabta ist die Chemiefabrik Tarhuna getreten. Was den Deutschen nicht vergönnt war, dürfen nun die Thai. 25.000 von ihnen arbeiten in Libyen, im wesentlichen an zwei Tunneln, die zu einer unterirdischen Fabrik führen, dem „Projekt 300", gegen das die Amerikaner Sturm laufen (ohne jedoch den poH-tischen Willen zu besitzen, ernste Schritte dagegen zu unternehmen).

Als Gaddafi vor einigen Jahren auf seinen „rettenden Engel" aus Ostberlin, Markus Wolf, verzichten mußte, räumten ihm Kenner der Situation wenig Uberlebenschancen ein. Dank der Neuen Weltordnung sitzt der Autor des „Grünen Buches' fester im Sattel als zuvor und feiert demnächst Jubiläum: 25 Jahre absoluter Herrscher über Libyen.

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